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Ausgabe:

1975

Spalte:

234-235

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Heinonen, Reijo E.

Titel/Untertitel:

Die Bremer deutschen Christen 1975

Rezensent:

Heinonen, Reijo

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. '!

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Problem des Verhältnisses von Kirche und Staat erweist.
Besonders wird hieran deutlich, daß in Württemberg ein
eigentliches kirchenleitendes Gremium fehlt. Ein Ansatz dazu
ist allenfalls darin zu finden, daß Vannius und einige andere
Theologen von Fall zu Fall mit visitatorischen Aufgaben
betraut werden.

Immer wieder werden Anläufe unternommen, die württembergische
Kirche durch Visitationen zu ordnen, besonders
nach der Katastrophe des Schmalkaldischen Kriegs kann für
kurze Zeit intensiv visitiert werden, um neuen Ordnungen
Geltung zu verschaffen. Diese Maßnahmen werden durch das
Interim unterbrochen, das Württemberg mit voller Schärfe
trifft. Die theologische Problematik, ferner auch die Folgen
für die Kirchenverfassung in Würllemberg konnten hier
verdeutlicht werden. Der „Interimskirchenrat", in dem
Vannius als maßgeblicher Theologe mitarbeitet, stellt das
Bindeglied dar zwischen den unständigen Visitationskommissionen
unter Herzog Ulrich und der von Herzog
Christoph eingerichteten Kirchenbehörde.

Der Regierungsantritt Herzog Christophs (1550) markiert
die Wende des Interims und den Beginn der zweiten Phase
der württembergischen Reformation. Das Württembergische
Bekenntnis (1551) und die Gesandtschaft auf das Trienter
Konzil, an der Vannius teilnimmt, ermöglichen die Reorganisation
der würtlembergischen Kirche, wobei nun
einerseits die vertriebenen Theologen der Reichsstädte, wie
lirrnz und Alber. dann auch die zweite Generation, wie
Andreä und die Brüder Bidembach, zur Wirkung kommen.
Vannius rückt aus dem Zentrum, er ist inzwischen Pfarrer in
Cannstatt, im Nebenamt General- und Spezialsuper-
intendent. Die Entstehungsgeschichte dieser Amter und des
damit verbundenen Synodus konnte besonders dahingehend
aufgehellt werden, daß es nunmehr wahrscheinlich ist, daß
diese Organe der Kirchenleitung gemeinsam, und zwar schon
1551, eingerichtet wurden.

Die immer weiter ausgreifende Religionspolitik Herzog
Christophs gibt nun auch Vannius die Möglichkeit, nach
außen zu wirken: seine beiden Bücher, die sich mit der
Messe, vor allem mit ihrer Geschichte, befassen, sind einJTei]
des publizistischen Programms der christophinischen Politik.

Die Reformation der Klöster als Umwandlung in Klostcr-
schulen bringt einen neuen Aufgabenbereich für Vannius: als
erster evangelischer Abt des Klosters Maulbronn wird er der
Lehrer zukünftiger Theologen (1558). An ihm, den man als
einen Autodikadten bezeichnen muß, wird der pädagogische
Impuls der Reformation sichtbar. Vannius hat. deshalb auch
an den einschlägigen Teilen der Würt tembcrgischen Großen
Kirchenordnung von 1559 mitgearbeitet. Ferner zeigten sich
hier neue Aspekte des Unterrichts an den frühen Kloster-
tchulen, wie z. B., daß diese Schulen auch der Fortbildung
der benachbarten Pfarrer dienten.

Die evangelischen Äbte der großen württembergischen
Mannsklöster hallen die staatsrechtliche Stellung ihrer
katholischen Vorgänger als Prälaten mit Sitz im württembergischen
Landlag behalten« Damit stellt« die evangelische
Kirche einen Landstand dar. So war auch die Möglichkeil
gegeben, vom Herzog die verfassungsmäßige Absicherung der
Ergebnisse der Reformation durch einen Landtagsabschied
zu verlangen. An dieser Forderimg des Landtages von 1565

war Vannius maßgeblich beteiligt; der Vermittlung von
Brenz ist es zu verdanken, daß diese Forderung, nämlich der
Verzicht des Herzogs auf das ins reformandi, durchgesetzt
werden konnte. Damit war als Abschluß einer dreißigjährigen
Befonnalionsperiode die Gestalt der württembergischen
Kirche festgelegt, die in vielem auch noch heute nachwirkt.

Zwei Jahre nach diesem Landtag, am 27. Aug. 1567 starb
Vannius in Maulbronn. Sein Leben umgreift somit das
Ganze der württembergischen Reformation; mit dem
methodischen Ansatz einer Biographie konnte also eine Reihe
Wichtiger Aspekte der Reformation, besonders in Württemberg
, betrachtet, und der ein Menschenleben umfassende Weg
vom spät mittelalterlichen Katholizismus bis hinein in die

Anfänge der protestantischen Frühorthodoxie abgeschritten
werden.

Hei nonen, Reijo: Die Bremer Deutschen Christen. Ein
Beilrag zur Theologie und Kirchenpolitik der Deutschen
Christen im Dritten Reich. I. Diss. Tübingen 1972. 491 S.
Zu Beginn des zweiten Weltkrieges waren die von Landes-
bisehof Lic. Dr. Heinz Weidemann geführten Bremer
Deutschen Christen (DC) die einzigen bedeutenden Gegenspieler
der größten DC-Gruppe, der Thüringer „National-
kirchlichen Einung DC" unter Pfarrer Siegfried Leffler. Das
seit 1936 stelig wachsende Interesse verdankten die Bremer
Deutschen Christen ihrer utopischen Idee einer überkonfessionellen
, nationalen „Kommenden Kirche", die nicht nur
Deutsche Christen, sondern auch Vertreter der kirchlichen
Mitle auf die Tagungen und Bibelkurse aus dem ganzen
Reich nach Bremen zu locken vermochte. Im Jahre 1936
hatte Weidemann seine Anhängerschaft unter diesem
Namen neu geordnet, nachdem seine Versuche, die Reichsleitung
der deutsch-christlichen Bewegung zu erlangen,
gescheitert w aren, und er mit seiner Gruppe aus der Reichs-
bewegung ausgetreten war. Diese Neuordnung geschah nach
zwei Prinzipien:

1 Konkurrenzverzicht auf organisatorischem Gebiet;

2 Konzentrierung auf die Vorbereitung der »Eindeutschung
", d. h. „Entjudaisierung und Nationalisierung
-' des kirchlichen Lebens, angefangen von neuen
Bibelausgaben und Liederbüchern bis zur Liturgie und
Feiergestaltung.

In ihrer Landeskirche hatten die Bremer DC bis zum
Anfang des Krieges erreicht,daß die Bremische Evangelische
Kirche im ganzen Boich am stärksten nach dem Führerprinzip
geordnet war. Die fast unbegrenzte Macht des
Landesbischofs schränkte sogar die Verfügungsbefugnisse
des Reichskirchenministeriums ein, dessen interne Rivalitäten
Weidemann zu seinen Gunsten auszunutzen vermochte
.

Eine Möglichkeit zur Verwirklichung besaß diese Theologie
, die eine Synthese zwischen Christentum und Nationalsozialismus
erstrebte, nicht; denn sie wurde als ideologische
Untergrabung der NS-Weltanschauung von der Parteileitung
verurteilt; hingegen wurden ihre Anhänger jedoch
wegen ihrer propagandistischen Brauchbarkeit zunächst geduldet
. Im Verlauf des Krieges verloren sie auch diese
Funk l ion und wurden mit wachsendem Mißtrauen beobachtet.

Der anmittelbare Grund für das Scheitern der Pläne der
Bremer DC war aber nicht allein der politische Druck von
außen, sondern der innere Zerfall der Bewegung. Die das
Privatleben und die kirchliche Amtsführung betreffenden
Prozesse YVeiileniauns trugen wesentlich dazu bei. Dem
Reichskirchenminister treu ergehen distanzierten sich auch
die meisten DC-Pasloren im Jahre 1941 von Weidemann.
Ein danach erfolgter Versuch, die „Deutsche Volkskirche"
zu gründen, war nur eine individuell motivierte kirchen-
pohtische Notlösung. Die frühere Konzeption der „Kommenden
Kirche", durch langsame Schulungs- und Reformarbeit
eine Umwandlung der Kirche herbeizuführen, war mit dieser
sieh auf Millers „Mein Kampf" stützenden Kirchenneubildung
aufgegeben worden.

Um das eigenartige Schwanken der Bremer DC zwischen
völkisch-politischem Radikalismus und ernsthaften theologischen
Bemühungen erklären zu können, sind in ihren
Reformbemühungen drei Phasen zu unterscheiden, 1. Bis zu
(h in Wahlerlaß Hitlers im Februar 1937 waren die Entwürfe
laienhafte, stark politische Versuche, die nationalsozialistische
Wellanschauung mit dem christlichen Gedankengut
zu verbinden. Die zweite Phase folgte im I lei hst
1937, als die Bremer Bibelschulc gegründet wurde, die zua
Vertiefung der Ansichten und Akademisierung der Arbeit