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Ausgabe:

1975

Spalte:

231-234

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Ehmer, Hermann

Titel/Untertitel:

Valentin Vannius und die Reformation in Württemberg 1975

Rezensent:

Ehmer, Hermann

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hüllnissen nur eine knapp* Sri 1 <■ (S. 20f.) gewidmet, was

symptomatisch für die Studie im ganzen ist. die den histo-
riichen Kontexl der ostfriesischen Schulgeschichte im
wesentlichen unbeachtet lifit. Ausführlich wird hingegen im
zweiten Abschnitt der Untersuchung, der sieh mit den
preußischen und hannoverschen „Gesetzen und Bestimmungen
" für das evangelische Volksschulwesen Ost frieslands
auseinandersetzt, der rechtliche, gleichsam übcrterritoriale
Kähmen ahgesteckt. in dem sielt der ostfriesische Schulalltag
abspielte (S. 20-50).

Schwerpunkt der Untersuchung bildet der dritte Abschnitt
: „Die Lehrer" (S. 51—154). In vier Kapiteln wird
darin über „Ausbildung" (S. 51—73), „Möglichkeiten der
Forlbildung" (S. 73-111), „Wahl" (S. 111-128) und
„Äußere Stellung" (S. 1124—154) der ostfriesischen Lehrer
gehandelt. Iiis zur Gründung des Auricher Lehrerseminars
im Jahre 1852 w ar danach für Ostfriesland die ../unflmäßige
Ausbildung" — Schulgehilfenzeit, ,.\ahlfähigkeitsprftfung"
durch den Superintendenten, Übernahme eines Nebenschuldienstes
, Hauptlehrer — charakteristisch. Fortbildungsmöglichkeiten
fanden die Lehrer neben der Beschäftigung
mit pädagogischen Zeitschriften, besonders dem berühmten
„Ostfriesischen Lehrerschriftwechsel" (S. 90ff.), vor allem in
den „sog. freien Konferenzen" (S. 73ff.), freiwilligen Zusammenschlüssen
Ostfriesischer Lehrer zum Zwecke ihrer
Aus- und Weiterbildung. Gewählt wurden die Lehrer in
Ostfriesland nach vorangegangenem Probeunterriehl durch
die Gemeinden selbst. Ihre äußere Stellung war bis etwa 1840
durch ein hohes Maß an Abhängigkeit von den Geistlichen
und Geineinden bestimmt und durch eine höchst ungenügende
— die verschiedensten Nebendienste erforderlich
machende Besoldung charakterisiert. Entsprechend gering
war das gesellschaftliche Ansehen der Lehrer, das erst seil
den vierziger Jahren eine allmähliche Steigerung erfuhr.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung,
„daß das erwachende Selbstbewußtsein der Lehrerschaft in
Ostfriesland eine betont geistliche Komponente enthielt"
und trotz Konflikten mit der kirchlichen Institution keineswegs
„antikirchlich oder gar antichristlich motiviert" war
(S. 148f.).

Mit zwei kürzeren Abschnitten Uber ..Kinder und Eltern"
(S. 155—186) und „Der Unterricht und seine Früchte"
(S. 187—239) endet die Untersuchung. Sie enthalten im
ersten Teil Ausführungen zu der in Ostfricslund bereits seit
Mitte des 16. Jahrhunderls geltenden allgemeinen „Schulpflicht
", zum „schulpflichtigen Alter" — beginnend mit dem
5., seit 1845 mit dein (i. Lebensjahr und endend mit dem
14. Lebensjahr — (S. 155—150), zum äußerst schlechten und
unregelmäßigen „Schulbesuch" (S. 150— 168) und zur ..Linsteilung
der Eltern zur Schule", die ..mehr als eine Last

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denn als eine für das Leben nützliehe und notwendige Im
richtnng" betrachtet wurde (S. 168—171). Nach einer ausführlichen
Schilderung des sog. „.1 udika-Examens", einer für
I tstfriesland eigentümlichen Prüfung der Schulkinder vor der
ganzen Gemeinde (S. 172—186), beschäftigt sich der fünfte
und letzte Abschnitt der I ntersurhung mit der osl I riesis.clien
„Schulorganisation" (S. 187—191), die in der Unterscheidung
von Haupt- und Nehenschulen und in der 3-Klassen-Einteilung
ihr Charakteristikum hatte, mit dem in der Hegel
unzureichenden ..Schullokal", mit der „Unterrichtszeit und
den Ferien" (S. 196—198) und mit den „Schwierigkeiten heim
Unterrichten" (S. 196—204). Zu „den Unterrichtsgegenständen
" der Volksschule zählen „in der Regel nur Religion,
Lesen, Schreiben, Rechnen und Gesang" und gelegentlich
noc h Realien und Weltkunde, wobei ste ts Heligion „im
Mittelpunkt alles Unterrichts" stand (S. 204—215). Über die
„Formen des Unterrichts" dieser Gegenstände (S. 215—227),
über das „Erziehungsziel" (S. 227—233) und die recht bescheidenen
Ergebnisse des regulären Unterrichts in den
Volksschulen Ostfrieslands (S. 233—239) informieren die
letzten Kapitel der Arbeit. Sie gerade machen noch einmal
in erschreckender Deutlichkeit bewußt, daß an der dargestellten
ostfriesischen Schul wirklichkeil mit ihren gesellschaftlichen
, personalen und lokalen Voraussetzungen, ihren
Organisationsformen, Inhalten und Methoden die pädagogischen
Reformen der Philanthropen und eines Pestalozzi
relativ spurlos vorübergegangen sind. Darüber kann weder
das vereinzelte Auftauchen reformerisch-pädagogischen Gedankenguts
— vor allem II. J. Sundcrmanns Äußerungen
zum Erziehungsziel (S. 229ff.) weisen sehr starke Anklänge
an Vorstellungen Chr. G. Salzmanns auf — bei einzelnen
hervorragenden Vertretern der ostfriesischen Lehrerschaft
noch das gelegentliche Vorkommen entsprechender pädagogischer
Literatur in den Lehrerbibliotheken und Zeitschriften
Oslfricslands hinwegtäuschen. Über we ite Strecken
ähnelt die Darstellung der ostfriesisc hen Schulverhältnisse
in frappanter Weise den bekannten Sehilderungen, die ZU
ihrer Zeit Basedow und Salzmann von der Schulrealität und
ihren Mißständen gaben und die man häufig allzu voreilig
als karikaturistisch überzogen meinte abtun zu können.
Gerade hierin erweist sich die bisher zw eifellos vernachlässig l e
schulpädagogische Forschung unter territorialgeschichtlichem
Aspekt als notwendige Ergänzung und heilsames
Korrektiv der gewöhnlichen an Biographien und pädagogischen
Systemen orientierten Darstellung zur Geschichte
der Pädagogik und zeigt sich der Wert vorliegender Studie ,
deren anschauliche Zeichnung der Realgestalt ostfriesisc her
Schulverhältnisse im 19. Jahrhundert von hier aus dankbare
Anerkennung verdient.

Krlangen Rainer Ladimann

theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1976 Nr. 8

REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN IN MASCHINENSCHRIFT

I.Inner, Hermann: Valentin Vannius und die Reformation in
Württemberg. Diss. Tübingen 1972. V.322 u. 126 S.
Valentin Vannius (1495—1567) ist ein württembergischer
Theologe der Reformationszeit. Für die ersten drei Jahrzehnte
seines Lebens läßt sich nicht viel mehr als einige
wenige Daten feststellen. Soviel ist zu erkennen, daß
Vannius zunächst ins Kloster Maulbronn eintritt, das ihm
im Generalstudium der Zisterzienser in Heidelberg vermutlich
einen — allerdings kurzen — Llniversitätsbesuch ermöglicht
hat. liier muß er mit den Gedanken der beginnenden
Reformation bekannt geworden sein; der Bauernkrieg gibt
ihm dann den Anlaß und die Möglichkeit aus dem Kloster
zu entweichen. Auf eine längere Periode der Besinnung folgt
dann die ausdrückliche Entscheidung für die Reformation;
das zeigt der dreijährige Aufenthalt im Kirchendienst der
Markgrafschaft Brandenburg. Die Reformation dieses
Territoriums wird später in manchem Vorbild für Württemberg
, Vannius war also einer der Männer, die hier wichtige
Erfahrungen vermitteln konnten. Er kehrt nämlich zu
Beginn der Reformation in Württemberg in seine Heimat
zurück (1535) und rückt dann rasch in den Kreis der führenden
Theologen Württembergs auf: schon 1537 ist er Prediger,
später Pfarrer in Stuttgart. Er übernimmt die kirchenleitenden
Funktionen Schnepfs, als dieser sich auf eine
Professur nach Tübingen zurückzieht (1544).

Von dieser Zeit an beginnen die Quellen über Vannius
reic hlicher zu fließen. Eine größere Sammlung von Abendmahlspredigten
läßt erkennen, daß er seine Theologie vor
allem Luther, dann aber auch Brenz verdankt. Die Probleme
der Zeit treten an Vannius heran: ein Zusammenstoß mit
Schwenekfeld zeigt, wie bedrängend die Anwesenheit dieses
Mannes für die süddeutschen Kirchen gewesen sein muß.
Darauf folgt der wiederaufflammende Ahendmahlsstreit; es
stellt sich die Frage der Kirchenzucht, die sieh als