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Ausgabe:

1975

Spalte:

224-225

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lange, Peter

Titel/Untertitel:

Konkrete Theologie ? 1975

Rezensent:

Kreck, Walter

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eilen »erden müssen, um gerade M einer so Wichtigen Stelle

rar Weiterarbeil anzuregen.

1. Ks isi nicht ganz verständlich, warum der Vf. so weit-
gehend auf die Auseinandersetzung mit der Sckundür-
literatur versichtet, Z. B. vertritt er die These, daß der
ontologischc Cottcshcweis hei Wolff nicht streng apriorisch

geführt weide, sondern kosmologische Beweisgründe verwende
. Die gleiche These hatte schon Harry l.cvy vertreten,
was aber nicht erwähnt wird. Dieter Henrichs gewichtige

Studie ober den ontologUchen Gottesbeweia wird genannt —

es wird aber gar nicht erwähnt, daß Henrich Wolff als einen
ih r wichtigsten Vertreter des ontologüchen Beweiset ansieht
. Bei einem so wesentlichen Dissensus wäre die Debatte

unerläßlich (S. 260 ff.).

2. Die traditionsgeschichtliche Fragestellung Bissirigeraerweist
sich im ganzen als zu eng. DaL! die Konfrontation mit
l.cihniz stark zurücktritt, mag vertretbar sein, weil dieser

Bezug am besten bekannt ist. (Allerdings scheint Bissinger

Iiier etwas zu rasch Wulffs eigene Stellungnahme zu übernehmen
, durch die er versuchte, seine Eigenständigkeit
gegenüber l.eihniz. stark herauszustellen.) Die Auseinandersetzung
mit der Sehulmetaphysik kann aber nicht als das
zentrale Problem der Wolffachen Philosophie betrachtet
werden. Das Leitende Motiv der philosophischen Theologie
Wulffs ist vielmehr — wie liissinger selbst (S. 53) feststellt —
apologetisch! die Widerlegung der Atheisten. I m dies zu
klären, müßte aber nach der Auseinandersetzung Wolffa mit
der'zeilgenüssisc hell apologetischen Literatur gefragt werden.
Daa würde dann zu einer anderen Akzentuierung der spezifisch
modernen Elc.....ute des Wölfischen Denkens führen.

3. Offenbar meint der Vf. die Darstellung nicht durch
kritische Erörterungen unterbrechen zu snllen. So bringt er
seine eigenen Rückfragen immer nur ganz knapp, eher anmerkungsweise
an. Er erreicht damit zwar eine systematische
Darstellung, die jeweils ergänzt wird durch den historischen
Rückblick auf die Stellungnahmen des 17. Jh.s. Bissinger
wird aber seiner eigenen Fragestellung nicht gerecht: die
Erörterung der Struktur der Gotteserkenntnis bedürfte der
kritischen Diskussion der Tragfähigkeit der Wolffschen
Systematik im Hinblick auf deren eigene Zielsetzung. /.. I!.
äußert liissinger (S. 295) eine herbe Kritik an Wohls philosophischer
Beantwortung des Theodizec-Problems: „Mit den
scheinbar besten Gründen . . . wird die drückende Frage des
Bösen rational entschärft . . . Es erscheint fraglich, oh die in
Harmonie .....lende Theodizee die sie bewegende frage überhaupt
begriffen hat." Mehr sagt er nicht zu diesem Problem:
wo der Mangel des Wolffschen Denkens hier liege, wird nicht
erläutert. (Iii Wolff überhaupt eine Möglichkeil gehabt hätte,
von seinen eigenen DenkvornusselzuIlgen her die Frage
anders anzugehen, wird nicht diskutiert, b's handelt sich
dabei aber keinesfalls um ein Randproblem: wenn eine
Theologie naturalis vor einer Frage versagt, die das Zeitalter
so elementar bewegte, dann muß sie insgesamt einen
Konstruktionsfehler haben. Nach diesem müßte aber gefragt
werden. — Auch die anderen Fragen ans dem Grenzgebiet
zwischen Theologie und Philosophie, die damals die
aktuelle Diskussion bestimmten und deren Lösung im
System YVolffs richtungweisend wurde für das Denken
mehrerer Jahrzehnte — nämlich die Fragen nach der Bedeutung
der Offenbarung und nach der Möglichkeit der
Wunder—, werden nicht behandelt. Ks ist richtig, daß sie für
den Aufbau des Systems keine entscheidende Bedeutung
hatten: Gotteserkenntnis ist für Wolff auch ohne Offenbarung
möglich. Als Testfragen für das Verständnis der
Kategorien von Kontingenz und .Notwendigkeit, für die
psychologischen Voraussetzungen und für den apriorischen
Charakter der Gotteserkenntnis sind sie aber von größtem
Wert.

Hinter diesen methodischen Rückfragen steht ein Sachproblem
. Daß in der Philosophie Wolfis unaufgelöste
Spannungen sind, stellt Bissinger selbst fest. Die philosophie-
geschichHiebe Bedeutung des Wolffschen Ansatzes wird aber

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erst dann völlig klar, wenn man sein Verhältnis zur Aufklärung
untersucht. Die Erneuerung der Sehulmetaphysik
hätte die Epoche nicht bestimmen können, wenn sie nicht

verbunden worden wäre mit den Fragestellungen der neuen

empirischen Wissenschaften. Ks sind nicht nur das andere
Beweisverfahren und die Ausweitung des Krfahrungs-
horizontet, die Wölfl von der scholastischen Tradition unterscheiden
: es ist tatsächlich ein anderer, ein spezifisch moderner
tieist, der hier ilie Prägen stellt. Ks ist das Progressive
im Znsammen wirken mit dem Konservativen, was
W nlfl zum Lehrer Deutschlands werden ließ. Seine besondere
Leistung liegt doch offenbar in der Verbindung von Theo-
logia naturalis. Kosmologie und Anthropologie, wie es schon
der Titel der deutschen Melaphvsik ausdrückte. Gerade der
Ertrag der Bissingerschen Arbeit ist es, der in dieser WCise
den Blick nach vorn, auf das Fragen und Meinen der Anf-
klärung hin, frei macht.

MagddlUff Harald Schultz«

Lange, Peier: Konkrete Theologie? Karl Barth und Friedrich
Gogarten „Zwischen den Zeiten*' ('J22— 1933). Eine theo*

logiegeschiehtbch-systematische Untersuchung im Blick

auf die Praxis theologischen Verhaltens, Zürich: Theologischer
Verlag [1972], 454 S. gr. 8° = Basler Studien
zur historischen und systematischen Theologie, hrsg. v.
M. Geiger. 1!). I.w. sfr. 58.-; DM 52,—.

Der Anregung K. Barths, der 1928 an Bull man n schrieb:
..Mag (ba h über seine (Gogarlens) und meine Gemeinschaft
und Verschiedenheit einmal irgend ein Jüngling ... eine
schöne Arbeit schreiben folgt P. Lange mit dieser

laust Fuchs gewidmeten und in Zürich als Dissertation angenommenen
Arbeit. .Nachdem er in den beiden ersten
Kapiteln den Versuch beider Theologen. Gott und Mensch

..konkret zu denken ", an Hand ausgewählter Aufsitze, sie
paraphrasierend und kommentierend, nachgezeichnet hat,
arbeitet er in einem dritten Kapitel „Übereinstimmung und
Differenz" zwischen beiden unter dem dreifachen Aspekt
Thema, Situation und Aufgabe der Theologie heraus, um im
Schlußkapitcl das Ergebnis zusammenzufassen und Konsequenzen
zu ziehen. Ks folgen noch 55 Seiten Exkurse mit
zeitgeschichtlichen Querverbindungen und Auseinandersetzungen
und 05 Seiten Anmerkungen.

Da Vf. die Quellen ausführlich zu Wort kommen läßt, die
Vor- und Naehgesehi« hte der Auseinandersetzung aufzeigt,
historisches und systematisches Interesse verbindet und
referierend und interpretierend zugleich Stellung bezieht, isi
ein Opus entstanden, das sieh gerade nicht durch methodische
Strenge und Übersichtlichkeit auszeichnet. l er dem
aufmerksamen Leser bietet dieser Ausschnitt aus der damaligen
Diskussion eine hülle von Kenntnissen, die ihn
behutsam und überzeugend an den Kern des damaligen
Konflikts heranführen. Bei aller Gemeinsamkeit zwischen
Barth und Gogarten. die beide Gott und Mensch ..konkret"'
und <l. h. ehristologiscb denken wollen, zeigen sieh zunehmend
Differenzen. So stehen Wort Gottes vind verantwortliebes
Menschenwort für Gogarten in einem gegenseitigen
Bedingungsverhält nis, für Harth in einem einseitigen,
weshalb er eine vorangebende Klärung seiner Anthropologie
ablehnt. Gogarten möchte von der geschehenen Fleisch-
werdung, d. h, von dem Menschen aus, zu dem Gott geworden
ist, denken, Barth geht es um das .Nachdenken des
uns entzogenen Ereignisses. Gogarten fürchtet bei Barth
(fälschlicherweise) eine abstrakte Theologie, die von Gott au
sich her denkt, Barth würde gerade in einer vollzogenen
Einheit von Gott und Mensch, die nicht bedenkt, daß Gott
nicht im pro nobis aufgebt. Spekulationen sehen. Ks stehen sich
also nicht 'Theologie und Anthropologie hier abstrakt gegenüber
, sondern beiderseits wird im Zirkel von Theologie und
Anthropologie, d. h. christologiseh gedacht, aber von Barth
im Sinne einer unumkehrbaren Bewegung innerhalb dieses

Theologische Lileraliirzeilung KM). Jahrgang I(l7ä Nr.'!