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Ausgabe:

1975

Spalte:

212-213

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Verheus, Simon L.

Titel/Untertitel:

Zeugnis und Gericht 1975

Rezensent:

Mau, Rudolf

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Seite 1, Seite 2

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Theologische l.iteraturzcitung KM). Jahrgang 1!t75 Nr. 3

212

Von hier ans ist abschließend auf Jedint Beitrag ,,Katholische
Reform und Gegenreformation" (S. 451— (JOS; 650—80)
zu blicken, der die von Iserloh entworfene Perspektive zumindest
für die katholische Seile in wichtiger Hinsicht
ergänzt und kompensiert, freilich dafür in anderer Hinsicht
aui Probleme führt, Uber die Iserlohs Auffassung bereits

liinaus ist. In einem kurzen Kingangsahschuit t (S. 4491., vgl.
auch S. 4S2ff.) erläutert Jedin zunächst den genannten

Doppeltitel. Wahrend die frühere Geschichtsschreibung weithin
einfach von „Reformation" und „Gegenreformation"
sprach, will Jedin lieber positiv mit den Reformkräften auf
katholischer Seile einsetzen und das gegenreformatorische
Moliv lediglich sekundär hinzunehmen. Dieser Vorsalz, ist

sicher höchst anerkennenswert. Allein diese positive Erweiterung
des gegenreformatorischen Themas hat nun zugleich
die ebenso unerwartete wie einschneidend negative
Folgt, daß damit die reformalurische Perspektive für diesen
Teil des Bandes von vornherein so gul wie völlig entfällt,
d. h., der Vf. behandeil weithin einfach nur den Katholizismus
seil Trienl und seine Leistungen, wahrend das
evangelische Gegenüber, wenn überhaupt, lediglich am Rand
auftaucht, d. Ii- als der selbstverständlich zu überwindende
Gegner behandelt wird, ohne irgendwo ein eigenständiges

Profil zu gewi.....'ii. Seihst eine so beherrschende Gestalt wie

König Gustav Adolf (S. üü2ff.) bleibt im Grunde schattenhaft
(doch wirkt das ganze Zeitalter des 30-jährigen Krieges,
mit dem der Rand zu linde gebt, etwas freskenhafl und
nicht recht durchgearbeitet).

Innerhalb solcher Einschränkungen enthält Jedins Arbeil
freilic h eine stupende Fülle, ja Überfülle von Einzelheiten
und Material, die jeder Fachmann dankbar benutzen wird,
ohne daß daneben die präzise Kontur und Ubersichtlichkeil
entsprechender protestantischer Lehrbücher (Iiier vor allem
K. Müller, Kirchengeschichte Bd. 11/2, 21919) fortan entbehrlich
würde. Hinzu kommt, daß Jedins Darstellung i"
weil stärkerem Maße als diejenige [serlohs katholisch-
apologetische Handschrift verrät, wie sich an zahlreichen
Einzelheiten (vgl. etwa die Behandlung Brunos und Galileis
S. 680f.) leicht zeigen ließe. Aufs Ganze gesehen vermißt man
vor allem eine eingehende Besinnung darauf, wieweit der
Katholizismus seit Trienl sich zwangsläufig selbst in eine
den protestantischen Kirchen analoge katholische Konfession
verwandelt bat (vgl. dagegen Iserloh, S. 445!). Daß
Ignatius von Loyola (S. 4C7ff) ein fleckenloses Heiligenbild
erhält, kann nicht überraschen, dagegen fehlt erstaunlicherweise
eine genaue Schilderung der ignatianischen Exerzitien,
wie sie auf evangelischer Seile etwa K. Holl in seinem bekannten
Aufsatz (Ges. Aufs. Bd. III, S. 285ff.) gegeben hat.
Was den Jesuitenorden betrifft, so wird er vornehmlich in
Hinsicht auf seine Organisation und Ausbreitung (S. 467ff.),
weniger im Rück auf sein theologisches Profil (vgl. lediglich
S. 5t)5ff. und 570ff.) und seine praktischen Metboden bin
transparent. Immerbin werden Bodins Theorie vom ,Ty-
rannenmord' „inhaltlich einwandfreie Grundsätze" bescheinigt
(S. 677), während die Verhaßtheil des Ordens bei
den Protestanten allein in den „unbestreitbaren Erfolgen"
der Societas Jesu begründet sein soll (S. 558). Leider hat der
Vf. gerade „das rühmlichste Blatt in den blutigen Annalen
der Gegenreformation'' (Hcrmclink/Maurer a. a. O. S. 270),
die englische Jesuitcnmission seit 1576 mit ihren mehr als
100 Märtyrern, zu berichten vergessen.

Daß die Tätigkeit der Inquisition in Italien und Spanien
ohne die Preisgabe näherer Einzelheiten behandelt wird und
auc h die Details der Unterdrückung des Protestantismus in
Bayern und Osterreich hinter einem Schleier verbleiben, ist
natürlich bedauerlich. Desto klarer erhebt sich für den Vf.
dagegen seit Julius III (S. 501ff.) und Pius V (S. 52ff.) das
tridentinisch-nachtridentinische Papsttum als der eigentliche
Träger des „Durchbruchs" der katholischen Reform. Freilic h
muß der an reformatorisehes Denken gewöhnte Leser dabei
versieben lernen, daß sieh katholische Reform und politisches
Handeln (einschl. Nepotenw irlschaft, Inquisition,

Krieg, Hinrichtungen und Fifiansuntcrnchmiiiigcn) dabei
zumindest nie hl ausschließen. Unter den sonstigen religiösen
Ansätzen auf katholischer Seite wird die spanische Mystik
(S. 58(>ff. — der Vf. vermeidet das Wort „ Huielisinus")
eigentlich zu kurz behandelt. Vom geistlichen Ansatz her
müßte sie an sich als das Gegenstüc k katholischer Frömmigkeit
in bezug auf den Jesuitenorden erseheinen.

A cl cl e n et a und Corrigenda: Was die Literaturangabeu betrifft
, so erübrigt sicii eine kritische Würdigung, da der vorausgesetzte;
Stand der Forschung von 1960 inzwischen durch wichtige Neuveröffent-
lichuugcn überholt ist, vgl. z. Ii R. Stupperich, beschichte der Refoneea-
tion (DTV 413,1967), ders.: Die Reformation in Deutschland (DTV 3202,
1972); W. Maurer, üer junge Mclanehthon, 2 Bde, 1968/69; C. Müller.
Itie römische Kurie und die Reformation 1523—1534 (1969); II. G. Leder,
Ausgleich mit dem Papst? Luthers Haltung in den Verhandlungen mit
Milliz 1520 (1969); H. Weigelt, Sebastian Eranck und die lutherische
Reformation (1972) und vieles andere. Wer etwa den Abschnitt Dogmeie-
geec-hleMe, Thcologiegeschkhte im Lit. Verz. S. XXXf. durchgeht, wird
die Angaben nicht besonders präzise linden. Dagegen macht das zur
Orientierung wichtige ausführliche Register dos Randes (S. 687ff.) einen
guten Eindruck. Ich füge, soweit mir aufgefallen, folgende Angaben
hinzu: Ablaß S. 85"; Alumbrado, S. 468, fehlt, wird im Text auch nie Iii
erklärt; Antichrist: Dieser wichtige Begriff fehlt leider ganz. Kr Andel
rieh S. 9; 62; 65f. ; 68; 75f. ; 79; 112; 170; 249; 267; 339; 349; 367; 368
Anin. 38; 386 — zum Teil der Sache nach; Augustinus S. 473*; Bildersturm
: unvollständig; Brautmesse. S. 239 fehlt; Ehrenberger Klause
S. 307': Ewiges Licht, S. 592 fehlt; Islam. S. 679 fehlt; Joden. S. 679
fehlt; Kirchenlied (nicht nur deutsches) S. 13.T; 320 ; 446; Konzil, Einberufung
nach Mantua (1537) S. 484'ff.; Krankenpflege S. 604"; Kranken-
kommuninn, S. 592 fehlt; l.ortz, Josef S. 23*, Mantua S. 282*; Multivoll*
präsenz. muß heißen S. 347f. ; Nepotcn bzw. Nepe.lismiis: S. 50'e'f; 509;
511; 668; Papst. Papsttum S. 85*; Priestertum allgemeines: S. 23t
Anin. 14; Reichsregiment S. 109 fehlt; Revolution z.B. S. 205 fehlt;
Residcnzpflicht S. 5I5T : Titularbischof, S. 655 fehlt: Simonie S. 46*f. ; Syllogismus
practirus, S. 394 fehlt; Tacitus. S. 676 fehlt; Theokratie, S. 384
und 390 fehlt: Thomas von Acjuiu S. 397*; Toleranz staatliche: muß
heißen S. 6731. — Schließlich ein paar Einzelheiten: S. 372 im Text Z. 6
v. u. muß es heißen: verteidigte. Von S. 385—416 wird die sonst durchlaufende
Schreibung des Namens Reetzer in Bucer geändert; ebenso
heißt es ab S. 522 nicht mehr Calvinismus, sondern Kalvinismus. Zwischen
S. 89 und 92 ist Bietst deutlich gemacht, daß Luther noeli einmal
auf die Wartburg zurückkehrte. S. 654 unten (Bau von S. Ignazio usw.)
fehlt die hier nötige Ortsangabe: Rom. S. 678 e-utsteht der Eindruck,
all lel der Ilexcnwahn erst im 16. Jahrhundert entstanden.

Erlangen Karlmanu Beysehlag

Verdens. S. I..: Zeugnis und Gericht. Kirchengeschichtliche
Betrachtungen bei Sebastian Kranck und Matthias
Placius, übers, v. K. Vogelesang und R. I.amotle. .ieuw-
koop: I). de Graaf 1971. IX, 121 S.. 14 Taf. gr. 8° =
Bibliothecu Humanisticn & Reformatorica, I. Lw. hfl.
15,-.

Der Vf. legt mit der Neubearbeitung seiner Dissertation

von 1958 einen interessanten Beitrag n Fragender Kirchen -
geschichtsschreibung vor. Seine Untersuchung der Geschichtbibel
Francks und der Magdeburger Zenturien richtet sie h
vor allem auf die Bedeutung der Fschatologie für ein theologisches
Verständnis von Geschichte. Besonders die Geschichtbibel
Francks erschließt sich unter dieser Fragestellung
. Ihr ist auc h der Buchtitel entnommen: Erzählung
von Historie ..zum Gericht und Zeugnis'1 über die Well
(zit. S. 13).

Meide Geschichtswerke des Reformationsiahrhunderti
werden je für sich nach Aufbau und Inhalt charakterisiert
und auf ihren theologischen Gehall hin befragt; eine theologische
Beurteilung schließt jeden dieser beiden Hauptteile
des Ruches ab. Eine vergleichende lieurteilung beider Werke
(S. 05—113) faßt schließlich die gewonnenen Ergebnisse zusammen
. Dieses Vorgehen führt zu manchen Wiederholungen,
verdeutlicht aber auch die wichtigsten Linien der Untersuchung
und die vom Vf. selbst bezogene Position.

Ein bemerkenswertes Krgebnis der Arbeit ist der an der
Geschichtbibel erkennbare Zusammenhang der „eschatolo-
gischen Struktur" mit einer theologin crucis und einem stark
betonten Welt bezug des Glaubens. Dem steht in den Magdeburger
Zenturien die vorherrschende Thematisierung der
doctrina und der sie vertretenden Kirche und ein damit zusammenhängender
Zug zur t heologia gloriae gegenüber. Indem
hier Christus ganz, als Versöhner gesehen und die „Herrlichkeit
der Versöhnung" betont wird, vollziehen die Zenturien
nach Meinung des Vf.s einen illegitimen Vorausgriff auf die