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Ausgabe:

1975

Spalte:

199-201

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Betz, Hans Dieter

Titel/Untertitel:

Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament 1975

Rezensent:

Hegermann, Harald

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199

NEUES TESTAMENT

Hol/.. Hans Dieter: Machfolge und Nachahmung Jesu Christi

im Neuen Testament. Tübingen: Mohr 1907. VII, -37 S.

gr. 8° ■ Beiträge /. historischen Theologie, hrsg. v. G.

Ebeling, 37. DM 45,-; Uw, DM 10,50.

Die vorliegende Untersuchung, denn Besprechung durch
unglückliche Umstände leider erst jetzl erfolgt, wurde
1965/66 in Maina als Habilitationsschrift angenommen, Sie
isi unvermindert aktuell, einmal als origineller Versuch, die
theologische Einheil dos NT inmitten seiner Disparatheiten
zu bestimmen, sodann durch Aufarbeitung eines interessanten
Paulusproblems: seines theologischen Gebrauchs des
liellonistischen mimesis-Gedankens. I!. greift mit „Nach-
folge" bzw. „Nachahmung" Jesu Christi je ein Zentralwort
synoptischer, andererseits paulinischer Theologie auf, um
dnreb Erarbeitung des Verhältnisses der beiden iheolo-
gischen Konzeptionen zueinander Kontinuität und Diskontinuität
, Tradition und Neuausprägung innerhalb des NT
aufzuzeigen. So kann er Zugleich unserer heuligen Aufgabe,
die christliche Offenbarung neu zu verstehen und zu vergegenwärtigen
, leitende Kriterien an die Hand geben.

Teil I („Zur Vorstellung der Nachfolge Jesu in den

Evangelien", .r>—47) kann kür/er gefallt werden, da hier
hinsichtlich der- Vorstellungsgeschichte eine reiche Literatur

vorliegt. B. sucht theologisch ZU klären, inwiefern Glaube für
die naehöstcrlicho, synoptische Theologie auf den irdischen
Jesus bezogen, wiefern er ,,Nachfolge Jesu" ist. Man wird
fragen, ob Ii. im Hecht ist. dem historischen Jesus einen
ausdrücklichen Ruf in Jünger nachfolge abzusprechen. ..Vom
historischen Jesus wissen wir sicher nur, daß er Jünger
gehahl hat" (10). B. müßte m, K. die prophetische Jüngerschaft
, wie sie wahrscheinlich letztlich auch hinter dein
rabbinischen Lehrer-Schüler-Verhältnis steht (44f.), als ein
bei Johannes dein Täufer und Jesus neu aufgelebtes Phänomen
in Betracht ziehen. Aber ein solches historisches
Defizit i-i tragbar, da I!. nachdrücklich festhält, daß vor-
Osterliches Jüngertum nicht auf dem religiösen Suchen und
Wählen der Jünger beruht, sondern auf einem konkreten,
existentiellen Anruf, der in der Sache von Jesus ausgeht.
„Im Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern dokumentiert sich
das Spezifische seines Selhsthewußtseins" (13). B. stellt
seine Position inhaltlich dar in interessanten kritischen
Referaten zu Bultmann, Bornkamm, Fuchs, Conzelmann,
J. M. Rohinson und Braun und zeigt dem Leser, wie der
historische Jesus, seihst unter der Voraussetzung einer über-
trieben ängstlichen historischen Traditionskritik, ins
Evangelium, nicht in seine Vorbereitung gehört. „Was sich
zwischen Jesus und seinen Jüngern begibt, ist . . . das
geschehene Evangelium" (22), als Zuwendung der Güte
Gottes an die Verlorenen. Sie lebte Jesus, mit Einschluß
prophetischer Martyriumsbereitschaft (26f.). liier setzt nach
Ostern die palästinisch-urchristlichc Nachfolge-Theologie an,
greifbar in ältesten Nachfolgesprüchen (Lk 14.17 sei möglicherweise
echt), in weiteren vormarkinischen Texten (Mt
8.19L22 parr.). in den Dokumenten von Q, in der Theologie
aller vier Evangelisten. Die Urgemeinde versieht Nachfolge
,.als genuine Form des Glaubens an den Erhöhten" (42), und
zwar so, daß Nachfolge die Annahme der Schicksalsgleichheit
der .länger mit Jesus ist, des jetzt erhöhten, der aber bei
ihnen präsent ist als der irdische, heimatlose, verfolgte,
evtl. besitzlose (29), um des Evangeliums willen sterbende
Jesus. Solche Schicksalsgleichheit gründet in dem Eschaton-
Geschehen, „das sich mit göttlicher Notwendigkeit in Jesus
vollzieht" (30). In der Entfaltung solcher Nachfolgetheologie
durch die Evangelisten sieht H. erstaunliche
Analogien zu Paulus vor allem bei ..Matthäus" und „Johannes
". Mimesis ist letztlich auch hier die des göttlichen
Kyrios; theologisches Anliegen ist auch hier die kritische
Behauptung des Glaubens gegen gesetzliche oder gnostisch-
naturhafte Verfälschung.

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In Teil II wird „Geschichte und Struktur der Minn'sis-

vorstellung" (48—130) in der griechischen Antike nachgezeichnet
. Das von B. ausgebreitete und einleuchtend interpretierte
Material gehört besonders zu den Mysterien des
Dionysos. Sie waren von großer Strahlkraft. Kronhoispiel
ist Alexander der (Irolle. Von seinem dionysischen mimesis-
Glauben ist es unrein Schritt zum Vergottungsglauben (57).

So etwas macht unter den Diadochen Schule, /nerst in
Ägypten. In Rom sind Caligula und spate? ( aravalla hervor-

ruheben. Primär ist niimesis kultische Vergegenwärtigung

des Mythos; diese wird aber heim König, teilweise auch hei
den Mysten ..auf die ganze Wirklichkeit ausgedehnt" (60).

Dabei ist ein Element dramatischer Zuwendung, ein „Geschehenscharakter
" bedeutsam, der sich von der späteren,
kontemplativ angelegten Vergottung gänzlich unterscheidet
(01). Eine analoge kultisch-sakramentale Mimesis weist R.
nach für die l'Jeusiuien (Gl—04), Artemis und Ariadne (04f.),
Adonis und Attis (66f.) sowie Isis und Osiris (08—74).

Wie sieht es im jüdischen Kontext des Paulus? In der
Septuaginta herrscht eine große Zurückhaltung gegen
mimesis-Terminologie (84—8G). Im AT vergleicht Ii. die
Forderungen, heilig zu sein wie Jahwe heilig ist und wie er

die Fremden zu lieben (Lev 19,2; Deut 10,17-19) und

Sklaven frei zu lassen (15,12—15). Jedoch werde eine eigene

theologische Tendenz nicht deutlich. Wo mythisch-symbolische
iniinesis-Handlungen nachwirken (prophetische
Symbolhandlungen bei I losen. Ezechiel u. ».). stehen sie im

Dienst einer neuen Konzeption (Gerichtspredigt), Eni im
späteren, hellenistischen Judentum (biblisch: Sapientia, 4.
Makkahäer; sonst Test XII, Ps Aristeas) und gelegentlich
bei den Rabhinen gibt es Nachahmung Gottes. Sie wird
durchweg ethisch gefüllt (93-100).

Thesen von Eliade aufnehmend, sucht I!. den Sinn der
außerhalb des AT-Einflusses so mächtigen mimesis-Reli-
giosilät zu verstehen. Der antike Mensch sucht auf archaische
Geborgenheil in kosmischen Ordnungen zurückzugreifen
(101—107). Aufschlußreich ist ein Blick auf „die Mimesis in
rler Interpretation der antiken Philosophie" (107—136). Py-
thagoras, Piaton, die Stoa nach Posidonios und Plutarchs
Piatonismus sind hervorzuheben; schließlich, nahe an Paulus,
Philon von Alexandreia. Ihn versteht B., m. E. zu Unrecht
und damit Philons Zeugnis für Paulus verfehlend, helle-
nist isch-sy nkrelistisch. Das grolle Gewicht des mimesis-
Gedankens zeigt Philon als Pia toniker; aber in der Sache,
darin hat Völker gegen B. (135) recht, ist Nachahmung
Gottes bei Philon, von seinem Gottesglaubcn her, biblisch-
jüdisch.

In diese breite, gewichtige Geschichte von mimesis-
Theologie und -Philosophie der griechischen Antike kann
Teil III („Die Mimesis in der Theologie dos Paulus", 137 bis
189) Paulus nun keineswegs einlach hineinstellen. Wie kommt
Paulus trotzdem dazu, Christsein als mimeisthai Christon
zu bestimmen? Kannte er die Nachfolgetradition der Urgemeinde
nicht, oder mied er sie'.' Die Untersuchung der
nicht zahlreichen Belegstellen (7 Thoss 1,0; 2,14; Phil 3,17;
1 Kor 4,lü; 11,1) ergibt: Paulus setzt ganz selbständig an.
Er meint inhaltlich das dem Christus in seinem leid und

seinem Auferstehungsleben Gleichgestaltetwerden (Phil 3,10).
Dies bestimmt das Leben des Paulus seihst; dies ist auch
Gegenstand seiner Paränese. Der Hymnus in Phil 2 spricht
es maßgebend aus. Er hält nicht ein aachzubildendes Vorbild
vor, sondern verkündet das Christusgeschehen als befreiende
Macht. Also deutliche Analogien zum Iloilsgeschohon in den
Mysterien, jedoch radikal neugefaßt, vorgeschichtlich!: das
Christusgeschehen ist Anruf zu freiem Gehorsam (170). Anschaulich
wird diese Abhebung gerade in der Konfrontation
mit einer Imitatio-Jesu-Frömmigkeit, die auf die sakramentale
Heilsmacht einer Schicksalsgcmeinschaft mit Jesu hofft
(Polycarp-Martyrium; S. 181f.).

In intensiven Interpretationen vermag B. solche mimesis-
Theologie immer wieder den zentralen Aussagen der So-
teriologie des Paulus abzugewinnen, um dann schließlich ..die

I I.....logische Literaturzoitung 100. Jahrgang 19/ä Nr. .',