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Ausgabe:

1975

Spalte:

195-198

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schedl, Claus

Titel/Untertitel:

Rufer des Heils in heilloser Zeit 1975

Rezensent:

Wanke, Gunther

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Seite 1, Seite 2

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Setzungen in den vergangenen 100 Jahren gewandelt haben,

die zur Beantwortung der Fragen nach Entstehungszeit und
Struktur der beiden Bücher beachtet werden müssen. Ein

willkommener Hinweis auf C. D. Ginsburg and his time
rundet die einführenden Bemerkungen ab. I >;11> diese* Pro-
lcgomenon auf 36 Seiten nicht alles nachtraben kann, was
seit dein Erscheinen der Bücher von (iinsburg in der Wissenschaft
zutage trat, liegt auf der Mauel und war auch nicht
beabsichtigt,

Ginige wenige Druckfehler wurden registriert, die aber
nicht sinnstörend sind: S. XLY, Z. 4 v. u.: Gesenius' statt
Üenesius'; S. 7, /. 7 v. u.: ch.i.2-ii.7 statt eh.i.2,7; S. 164
muß im ersten Absatz, die Verszählung korrigiert werden;
Coheleth S. V: im Inhaltsverzeichnis bei VI: 244 statt 224;
u. a.

Wien Sauer

Schedl, (.laus: Kufer des Heils in heilloser Zeit. Der Prophet
Jesajah, Kapitel 1—XI1 logotechnisch uml bibeltheologisch
erklärt Paderborn: Schöningh 1973. XVI II,
392, 10' S. gr. 8°. Kart. DM 28,-.

Obwohl C. Schedls „exakte, mathematische .Methode",
vorgeführt an Gen 27 (ZAW 77, 1965, 259-267), durch II. W.
Hoffmann eine vernichtende Kritik erfahren hat (ZAW 78,
1966, 219—223), der auch bislang nicht widersprochen wurde,
Hegl nun ein weiterer Versuch des steirischen Alttesta-
mentlers vor, dieser Methode zum Durchbruch zu verhelfen.
Sie heißt nunmehr ..Logotechnik" und beansprucht für sich,
die bautechnischen Strukturprinzipien der biblischen Literatur
erheben zu können.

Ergebnis von Schedls Anwendung der Methode sind logotechnische
Baumodelle, die durch bestimmte '/.ahlenwerte
geprägt sind. Diese /.ahlenwerte gewinnt Schedl entweder
durch Abzählender Wörter einer Texteinheit, durch Abzahlen
von Zeilen oder durch die Berechnung des Zahlenwertes von
Buchstaben bestimmter Wörter. ..Hier treten dann Werte in

Erscheinung, die aufhorchen lassen. Es handelt sich um eine
sehr nüchterne, exakt mathematische, geradezu technisch«
Methode, die jeder nach vollziehen kann. Her Text hat entweder
so und so viele Wörter oder er hat sie nicht. In der
Deutung der so gewonnenen Zahlenwerte wird keineswegs
einer Zahlenspekulation, Zahlenmystik und Zahlenphantasie
Tür und Tor geöffnet. Die Zahlen sind sehr nüchtern. Sie
weisen entweder auf den Kalender, auf Mond- und Sonnenjahr
, auf das Siegel des Gottesnamens; vor allem aber war
die Formung eines Textes nach dem Modell der ,großen
Zebnbeit der Worte', der im griechischen Raum hochberühmten
Tetraktys, beliebt" (S. XIII-XIV). Die erarbeiteten
Baumodelle mit ihren dahinterstehenden Zahlenwerten
sollen den Text vor Veränderung schützen, einen Zaun um
den Bibeltext legen.

Wessen Arbeit diese Texlforniung zu verdanken ist, gellt
aus Schedls Ausführungen nicht klar genug hervor. Einmal
dinkt man bei der Lektüre des Buches, es könnten die
Schriftgelehrten von Liberias sein (S. XIV), ein anderes Mal
wieder fragt sich der Leser, ob Schedl nicht schon die
Gemeinde von Qumran mit dieser logotechnischen Methode
vertraut sein läßt (S. XII); und endlich tauchen in Schedls
Argumentation immer wieder die „Schüler'", die „Propheten-
jünger" (S. 7, 18 u. ö.) auf, die schon sehr früh die Gestaltung
des Textes nach logotechnischen Prinzipien vorgenommen
haben könnten. Diese Unsicherheit in der Beurteilung
der Entstehung der Logotechnik macht ein weiteres
Dilemma offenbar, aus welchem Schedl keinen so
rechten Ausweg weiß. Um nämlich zählen zu können und
um exakte Zahlenwerte zu erhalten, braucht Schedl einen
zuverlässigen Bibeltext. Er entscheidet sich für den Codex
Leningradensis, dessen Gliederung in Texteinheiten er gleich
mitübernimmt, und muß sich damit den Vorwurf gefallen
lassen, daß seine Ergebnisse im besten Fall die rabbinische
Arbeitsweise am Bibeltext erhellen können. Das aber scheint

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ihm selbst zu wenig zu sein, so daß er — ohne Beweisführung
allerdings und sicherlich zu Unrecht — auch die Jesajarollen
von Qumran als Belegmaterial heranzieht. Das kann er
natürlich nur in Ausnahmefällen, denn im Normalfall müßte
ihn jedes Plus oder Minus von lQJes,-b gegenüber 1. in
heillose Schwierigkeiten bringen. Die Tatsache, daß Schedl —
trotz aller Beredsamkeit, mit welcher er die Vertrauens»
Würdigkeit und Bedeutung des Codex I. herauszustellen
versucht — keinen hundertprozentig zuverlässigen Bibelte Kl
zur Verfügung hat, stellt seine Methode grundsätzlich in
Frage, es sei denn, er beschränkt sich wirklich nur auf die
Erhellung einer rabbinischen Methode. Das ist aber ganz
offensichtlich nicht seine Absicht (S. 377).

Damit ist klar, daß die von Ii. W. Hoffmann I9(i!i bereits
herausgestellten redaktions- und textgeschichllichcn Probleme
nach wie vor nicht beseitigt, geschweige denn befriedigend
beantwortet sind.

Wendel man sich Schedls logotechnischen E in/elanalysen
ZU, dann staunt man über die verblüffenden Ergebnisse, die
sich ihm beim Abzählen der Worte geradezu aufdrängen. I nimer
wieder gelingt es ihm. die Texte so zu zerlegen, daß passende

Zahlenwerte herauskommen. Für die Unterteilung der Texte

läßt er alle möglichen Kriterien gelten. Vor allem bedient er
sich der Gliederung in Einleitungsformeln, direkte Rede und
Bericht (E, It und B), aber auch alle möglichen anderen
Gliederungsaspekte sind willkommen, wenn sie nur irgendwie
im Text nachgewiesen werden können: z. B. Suffixe
(S. 18), Tempora (S. 364f ). Kehrverse (S. 64) u. v. a. m.
Je mehr Gliederungsmöglichkeiten man zur Verfügung hat,
um so mehr Kombinationsmöglichkeiten bieten sieh an. Je
mehr Kombinationsmöglichkeiten bestehen, um so leichter
wird das Aufstöbern von ..relevanten" Zahlenwerten. Die
Mittel stellen bereit, mit welchen jeder Text irgendeiner relevanten
Zahl angepaßt werden kann. Der Manipulation ist
damit Tür und Tor geöffnet.

An dieser Stelle kann das Vorgehen Schedls leider nur an
einem Beispiel demonstriert werden, welches allerdings durch
eine Reihe anderer beliebig ergänzt werden könnte. Als
Exempel sei Schedls Umgang mit Jes 1,10—17 ausgewählt.
Bei der logotechnischen Einzelanalyse von Jes 1,10—17
erhält Schedl nach Gliederung der Einheit und Auszählung
der Wörter folgendes Baumodell: 12 Wörter E-f- (55+10)
Kultpredigt + 19 Imperative = 12 E + 84 B = 1 Xi2 E
-)- 7 X B. Daraus geht klar hervor, daß der Text an der
Zwölfzahl orientiert ist (S. 17f.). Dieses Baumodcll ist aber
bei der Erstellung des Bauplanes der umfassenderen Einheit
1,1—5,30 für Schedl nur mehr bedingt relevant und er
wandelt es seinen Vorstellungen entsprechend ah: Auf S. 143
gliedert er den Text von Jes 1.10—17 nunmehr wie folgt :
10 Rahmentext -|- 84 B -f- 2 E. Diese Änderung ist nötig,
weil Schedl sonst für den Bauplan von Jes 1,1—5,30 nicht auf
das Modell '25 Überschrift + 55 Rahmentext + 1200 B + E
-j- 55 IV käme, bei welchem der Zahl 55, der Zahl der
Tetraktys (Summe der Zahlen von 1—10, bestehend aus den
Teilwerten 23 -)- 32), als einer der wichtigsten Baumodelle,
entscheidende Bedeutung zukommt. Vergleicht man die
beiden für Jes 1,10—17 erarbeiteten Baumodelle, so fällt auf,
daß bei der logotechnischen Einzelanalyse die zwei Wörter
Einleitung den zehn Wörtern Rahmentext zugeschlagen
werden, um auf zwölf Wörter Einleitung zu kommen,
während dieselben zwei Wörter Einleitung bei dem Bauplan
von Jes 1,1—5,30 mit anderen den 1190 Wörtern Bericht
zugerechnet werden; was so sein muß, da ansonsten die entscheidende
Zahl 55 bei den Rahmentexten überschritten
würde. Zu alledem erklärt Schedl: „Hier hört jede subjektive
Wunschkombination auf. Die Zahlenergebnisse sind derart
objektive Tatsachen, daß die Exegese daran nicht mehr
vorübergehen kann" (S. 144). Diese Äußerung Schedls spricht
im Zusammenhang mit den vorausgehenden Ausführungen
eigentlich schon für sich selbst. Aber noch nicht genug!

Bei der Erstellung des Gesamtbauplanes von Jes 1—12
muß Schedl Jes 1,10—17 ja ein drittes Mal berücksichtigen,

Theologisehe I.iteraturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 3