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Ausgabe:

1974

Spalte:

156-157

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Einkehr in die Stille 1974

Rezensent:

Jacob, Günter

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165

Theologische Literaturzeitung 09. Jahrgang 1974 Nr. 2

156

ständnis Jesu „wird dem Jünger sein eigenes Menschsein
offenbaren, seine Möglichkeiten steigern, ja sogar neue
Möglichkeiten aus ihm hervorlocken. So geht seine persönliche
Vertiefung Hand in Hand mit der intimen
Kenntnis Jesu. Die Gegenwart Jesu, die dieser Gläubige
in sich trägt, macht ihn sich selbst gegenwärtig" (97).
Die Doppelbewegung führt schließlich zu der Erkenntnis,
daß Jesus der Sohn Gottes ist. Der Gläubige „öffnet
diesen Begriff auf das Absolute ... und läßt sich von ihm
durchdringen. Er schafft ihn neu mit seiner eigenen Substanz
, aus seinem spirituellen Leben heraus" (101). „Der
Gläubige kann auf diesen Glauben an Jesus immer nur
wieder zugehen", geführt nicht von dogmatischen Sätzen,
sondern von der existentiellen Bewegung. Die Nähe zur
Mystik ist deutlich. An später Stelle wird direkt gesagt:
„Die Erneuerung erfordert notwendigerweise eine neue
Blüte der Mystik" (371). Daß ein Kapitel über die Sünde
und die Begegnung mit ihr in der Meditation fehlt, ist -
mit den Augen des Verfassers gesehen - verständlich.
Aussagen wie die von der totalen Verderbnis des Menschen
sind hier unvorstellbar. In einer schillernden Aussage
, die primär über Jesus gemacht wird, aber in der
existentialistischen Dialektik den Menschen einbezieht,
heißt es, daß am Ende derjenige, der „bei all seiner Begrenztheit
" den Weg mit Jesus bis ans Ziel geht, „Gott
gleich" wird (143). Die Teilhabe an der Schöpfung wird
ausgesagt, wie in der Mystik Schefflers. „Der Gläubige
versteht sich als Mitarbeiter Gottes, als ganz geringer und
zugleich notwendiger, als unmittelbarer Vollzieher der
Schöpfung dadurch, daß er sich dem Handeln Gottes in
ihm in Freiheit öffnet" (315).

Der spirituelle Weg wird durch die Erneuerung des
Abendmahls befruchtet werden. Legaut spricht immer
betont vom Abendmahl, nicht von der Messe. Die Anschauung
des unblutigen Opfers wird verworfen (309).
Man begegnet dem radikalen Satz: „Man kann nicht genug
die tiefe Abneigung der Christen gegenüber der Messe
unterstreichen" (316); das wird wohl besonders eine
französisch-katholische Stimmung wiedergeben. Die Erneuerung
darf sich auf eine liturgische Feier stützen,
braucht es aber nicht. Es „erinnern" sich Christen, die zu
Drei oder Vier im Namen Jesu versammelt sind, der
letzten Nacht Jesu mit ihrem geballten geistlichen Inhalt
, „wie wenn sie selbst dabei gewesen wären" (159).
Es wird gefordert, daß der wahre Jünger von der kirchlichen
Autorität autorisiert wird, „dies zu seinem Gedächtnis
zu tun" (332). Das aber setzt ein neues Verständnis
des Priestertums voraus. Der zur Spendung des
Abendmahls auch im kleinsten Kreis autorisierte Laie ist
Priester. Er ist einfach ein Mitglied der Ortsgemeinde,
/.wischen vielen andern. Wenn ich Legaut recht verstehe,
erkennt er die Mitglieder der Hierarchie - vom Vikar bis
:',um Bischof - nur dann an, wenn sie durch das Charisma
des Apostolates legitimiert sind. Von Weihen habe ich
nichts gelesen, dagegen manches scharfe Wort gegen die
ewigen Gelübde, die rundheraus verworfen zu werden
•icheineu. Da Legaut fest mit dem Schwund der christlichen
Gemeinden in der Zukunft rechnet - er warnt
wiederholt vor jeder Täuschung -, denkt er die Glieder
<ler Hierarchie als Apostel, d.h. als Wanderer, die auch
die kleinsten Geineinden besuchen. Legaut erklärt es als
Schmach, daß in Frankreich Hunderte kleiner Dorfgemeinden
aufgegeben sind. Ein Vergleich mit Forderungen
Hoekendijks drängt sich auf, würde aber hier m weit
tühren.

Dem Hinweis auf diese Stimme aus (lern modernen
• uropäischen Katholizismus, der die kirchenamtliche Ablehnung
sicher ist, soll ein Wort protestantischen Dankes
mgefügt werden. Mir sind prophetische Rufe begegnet,
besonders in der Forderung spirituellen Lebens und seiner
dauernden Pflege in kleinen Gemeinschaften und Kongregationen
, wie in der apostolischen Erneuerung der Kir-
chenleitungen. Ich bekenne, daß ich von dem wesentlichen
Inhalt des Buches tief betroffen bin, wenn ich auch
die existentielle Identität zwischen Gott und Mensch
völlig ablehne. Gott ist mir kein Ich, sondern bleibt mir
immer ein Du.

Koetock Gottfried Holte

Moes, Johann-Friedrich, Mederlet, Eugen. Slök), Walter,
Canz, Martcl, Heufelder, Emmanuel, St «kl, Andrea», u. Hans
Eisenbergt Einkehr in die Stille. Kassel: Stauda Verlag 1972.
104 S. 8° = Kirche zwischen Planen und Hoffen, hrsg. von
der evang. Miehaelsbruderschnft, Schriftleitung H.Löwe, 8.
Kart. DM 10,-.

In den zwanziger und dreißiger Jahren haben sich der
Berneuchener Dienst und die Ev. Michaelsbruderschaft.,
der mehrere Autoren der hier angezeigten Schrift angehören
, um Retraiten, Meditation und bruderschaftliches
Leben bemüht. Von ganz anderen theologischen
Voraussetzungen her hat Dietrich Bonhoeffer, der während
der Judenverfolgungen einer vom EskapismuS in die
Liturgie bedrohten Kirche zurief: „Nur wer für die Juden
schreit, darf auch gregorianisch singen", ein kommuni-
täres Leben in Finkenwalde praktiziert und auch während
seiner Tegeler Haftzeit an der Zuordnung von „Arkandisziplin
" und „hichtreligiöser Interpretation" der
christlichen Botschaft festgehalten, die E.Bethge (Ohnmacht
und Mündigkeit, München 1969, S. 129) so gekennzeichnet
hat: „Interpretieren ohne Arkandisziplin war
für ihn Boulevard, Arkandisziplin ohne weltliches Interpretieren
Ghetto." Nach dem zweiten Weltkrieg sind in
Westeuropa im protestantischen Bereich zahlreiche
Kommunitäten von ökumenischer Prägung entstanden.
Unter ihnen übt die Communaute von Taize' mit der gelebten
Einheit von Kontemplation und Aktion, Bpiri
tualität und gesellschaftspolitischem Engagement eine
stärke Strahlungskraft vor allem auf junge Menschen
auch aus Afrika und Lateinamerika aus.

In diesen Zusammenhang ist die in der Schriftenreihe
„Kirche zwischen Planen und Hoffen" als Heft 8 von der
Michaelsbruderschaft herausgegebene Schrift „Einkehr
in die Stille" als ein Versuch einzuordnen, in kleinen, anschaulichen
Darstellungen mit dem spirituellen Leben.
Einkehrtageu und Retraiten bekannt zu machen, wie sie
z. B. im katholischen Raum in Schloß Craheim (E.Meder-
lct OFM) und in benediktinischen Abteien (E.M. Heufelder
OSB) und im evangelischen Bereich - jeweils aber
in ökumenischer Weite! - in Kirchberg (W. Stökl), m der
Kommunität Casteller Ring (M. Ganz) und in Imsham cn
(H. Eisenberg) gehalten werden. A. Stökl berichtet in seinem
Beitrag „ Jugendretraite in Taize'" im wesentlichen
über Vorgeschichte und Zielsetzung des von Taize' für
1974 proklamierten „Konzils der Jugend". Diesen Einzeldarstellungen
hat Johann-Friedrich Moes eine in aller
Kürze prägnante, grundsätzliche Betrachtung zur Begründung
und Gestaltung von Einkehrtagen in unserer
Zeit vorangestellt. Es wird dem in der Welt präsenten
Christen von heut« die Einkehr in die Stille nun eben nicht
als Flucht in die Innerlichkeit, sondern als „verantwortliche
Distanz" in Schweigen, Gruppcngespräcb,Meditation
tion, Gebet, Feier und Eucharistie empfohlen. „Einkehrtage
dienen nicht der Erfüllung religiöser Sonder-
wüusche. Sie dienen der Erfüllung des Auftrages, zu dein
Gott die Seinen in die Welt Bendet" (S.20).

Wenn man diese Begründung für ein ausgesondertes,
spirituelles Leben in Einkehrzeiten bejaht, müssen an
einige Beiträge kritische Bückfragen gestellt werden. Gelegentlich
scheinen doch die Kultivierung einer seelischen
Inncrliehkeit, ein ,,Heimgang in unsere Mitte" (S.33), W*