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Ausgabe:

1974

Spalte:

119-120

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Meister Eckharts Predigten 2 1974

Rezensent:

Moeller, Bernd

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119

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 2

120

KIRCH EN GESCHICHTE: MITTELALTER

Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg.
im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die
deutschen Werke. II: Meister Eckharts Predigten, hrsg.
u. übers, v. J.Quint. 1.—11. Lfg. Stuttgart: Kohlhammer
1968/69/70. 704 S. 4°. Lfg. 1-4 DM 51,20; Lfg. 5-7 DM
38,40; Lfg. 8-11 DM 51,20.

Wieder1 ist die Fertigstellung eines wichtigen Teils der
großen Eckhart-Ausgabe anzuzeigen. Der neue Band -
in der Keihenfolge des Erscheinens der fünfte, der abgeschlossen
ist - enthält 37 deutsche Predigten, die zwar
nicht, wie die in dem 1958 abgeschlossenen ersten Band2,
durch äußere Bezeugung mit aller Sicherheit, aber doch
nach vorwiegend inneren Kriterien so gut wie zweifelsfrei
als von Eckhart selbst herrührend erwiesen werden
konnten.

Die Leistung des Herausgebers, des Germanisten Josef
Quint, kann wieder nur mit Bewunderung geschildert
werden. Die wegen des Umfangs und der Eigenart der
handschriftlichen Überlieferung sowie aus philologischen
und philosophisch-theologischen Gründen in der Regel
enorm schwierige Textherstelhing, die mühsame Erschließung
des Textes durch den Nachweis der vielen und
oft vagen Zitate, durch Querverweise und durch die nach
der Übung der Ausgabe am Schluß beigefügte Übersetzung
in modernes Deutsch, endlich die umfangreichen
und mannigfaltigen Register und Verzeichnisse - sie nehmen
allein fast 2Ö0 Seiten ein -, alles dies zusammen ist im
wesentlichen das Werk dieses einen Mannes, der in diese
in ihrer Weise großartige Ausgabe die wissenschaftliche
Arbeit von mehr als vier Jahrzehnten und ein sehr großes
Maß von gelehrter Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Findigkeit
, eine breit fundierte Vertrautheit mit dem komplizierten
Material und wohl auch, wie im Vorwort angedeutet
ist, manches persönliche Opfer eingebracht hat.

Im einzelnen ist zu dem neuen Bande zu bemerken, daß
keiner der Texte ungedruckt ist; allein 31 der Predigten
finden sich bereits bei Pfeiffer. Doch sind schon in der
Textgestaltung die Verbesserungen jeder einzelnen Predigt
groß, in einigen Fällen (z.B. Nr.43 = Pfeiffer
Nr.79) tiefgreifend; vor allem aber dürfte in der Erschließung
der Texte das Maximum des gegenwärtig Möglichen
erreicht sein. Angesichts dieser Leistungen ist es
nur ein Gemeinplatz, wenn man feststellt, daß in Zukunft
keine der älteren Ausgaben dem Eckhart-Studium mehr
zugrunde gelegt werden kann.

Eine vorsichtige Frage mag allenfalls im Blick auf das
Unternehmen als Ganzes erlaubt sein. Ziel und Leistung
der Ausgabe sind es, das Predigtwerk des Meisters mit
dem ganzen Aufwand und aller Kunst moderner Editionstechnik
in seiner ursprünglichen Form wiederzugewinnen
und der ursprünglichen Meinung des Predigers möglichst
genau auf die Spur zu kommen. Das ist eine gerade bei
einem so großen und schwierigen Denker zweifellos sinnvolle
Arbeit; nur kann man vielleicht fragen, ob es die
einzig sinnvolle ist. Es muß einem ja auffallen, daß die
Tätigkeit des gelehrten Editors offensichtlich in der Form
eines ständigen und zähen Kampfes mit der eigentlich
auf ganz andere Ziele ausgerichteten handschriftlichen
Überlieferung vor sich geht. Die Mystikertexte des späten
Mittelalters sind uns - wie viele Texte der älteren Frömmigkeitsgeschichte
- vorwiegend in einer Form überliefert
, die offensichtlich weniger der Vergegenwärtigung
der genuinen Meinung ihrer Urhebor als vielmehr dem
lebendigen Nachvollzug dienen sollte. Die vielen Entstellungen
der Texte, vor allem die Wucherungen, die
Kürzungen und die Kompilationen bezeugen dies, sie
machen aus dieser Art von frommer Gebrauchsliteratur
gewissermaßen ein eigenes literarisches Genus, und wenn

man alle Mühe darauf verwendet, gerade dies zu eliminieren
, gewinnt man sozusagen etwas Gefiltertes und
Künstliches, im vorliegenden Fall: etwas, was so erst seit
der Wiederentdeckung Meister Eckharts im 19. und
20.Jahrhundert breiteres Interesse findet. Man könnte
sagen: Im selben Maße, in dem die denkerischc Individualität
Eckharts freigelegt wird, wird die Rezeption seines
Werkes, also seine Wirkung und insofern seine kirchengeschichtliche
Bedeutung verschüttet; mit einem Gewinn
an historischer Erkenntnis geht ein Verlust einher.

Ich bin mir dessen bewußt, daß mit diesen Bemerkungen
ein gewisses Unbefriedigtsein des Kirchenhistorikers
an einem Teil unserer gelehrten Editionsarbeit überhaupt
ausgesprochen ist. Daß diese Bemerkungen gerade gegenüber
der Eckhart-Ausgabe formuliert werden, sollte im
Sinn des Rezensenten eher als eine Art von Reverenz
verstanden werden. Gerade weil dies eine so bedeutende,
ja in ihrer Art wohl geradezu vollkommene Edition ist,
kann sie einen zu Überlegungen dieser Art anregen.

OSttlngen Bernd Monitor

1 Vgl. zuletzt meine Besprechung des I. Bandes der Lateinischen
Werke, ThLZ 93, 1968 Sp.756f.

2 Vgl. die Besprechung von K.D.Schmidt, ThLZ 85, 1960
Sp.49f.

Wellmer, Hansjörg: Persönliches Memento im deutschen Mittelalter
. Stuttgart: Hierscmann 1973. XII. 148 S. gr. 8° -
Monographien zur Geschichte des Mittelalters, in Verb. m.
F.Prinz hrsg. v. K.Bosl, 5. Lw. DM 58,-.

Die vorgelegte Arbeit - eine Freiburger Dissertation
von 1969 - untersucht eine bisher wenig beachtete Quellengruppe
: Aufzeichnungen von Gedenktagen, die einzelne
Kleriker vom 9.-11. Jh. zusammengestellt haben. So
ließ Bischof Gundekar von Eichstätt (f 1075) ein Ponti-
fikale schreiben, in das persönliche Erinnerungsdaten eingetragen
wurden. W. stellt dieses Dokument an den Anfang
, „weil sich hier, nicht zuletzt dank der Exzentrität
des Gedächtnisträgers, überdeutlich der persönliche
Charakter der Quelle ablesen läßt. Tm Regelfall tritt dieser
längst nicht so klar zutage" (S.10). Kapitell „Anfänge
" führt in die spätere Karolingerzeit. Bischof Goz-
bald von Würzburg ließ ein Martyrologium schreiben,
dem nekrologische Eintragungen beigefügt wurden. Goz-
balds Nachfolger als Leiter der Kanzlei Ludwigs dl
Deutschen, Abt Grimald von St. Gallen, hinterließ ähnliche
Aufzeichnungen, die ihm „als Gedächtnisstütze ge-
dient zu haben" scheinen (8.23). Während Gozbalds Obi-
tuar als primär religiös anzusprechen war, kommt W
Grimald ein beachtliches historisches Interesse hinzu
(S.34). W. blendet zurück auf Notizen der Bischöfe Willibrord
, Arn von Salzburg und Udalrich von Basel. Die
Anfänge der Sitte vermutet W. bei dem Wunsch Karls d.
Gr. nach Fürbitte für sich und seine Familie (S. 42/43)-
Kapitel II „Neubelebung" führt in die ottonisoh-salisch«
Zeit. Erzbischof Tagino von Magdeburg (f 1012) brachte
aus Regensburg ein Sakramental' mit, dem er „alsbftl"
persönliche Gedenknotizen beifügte oder beifügen ließ
(S.51). Seine Aufzeichnungen sind „Zeugnis eines neue"
Abschnittes in der Geschichte des persönlichen Gedenkens
" (S.61). Nächste Quelle ist das Merseburger Tötet''
buch, als dessen Verfasser W. den Chroniksehreibe''
Thietmar von Merseburg erweist. Es umfaßt runfl
700 Eintragungen, davon „wenigstens 90 Prozent aus der
Zeit von Thietmars Pontifikat (1009 18)" (8.64). Thie*-
mar hat „fast jeden Bischof, dessen Sterbcduhiin er lU
Erfahrung bringen konnte, berücksichtigt" (S.78). Üb«*
Tagino hinaus ist die weltliche Aristokratie und 'l*8
Mönchtum stärker berücksichtigt. „Die Folge ist ein ?e'
wisser Verlust des privaten Charakters des persönlich«"1