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Ausgabe:

1974

Spalte:

951-954

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Sudbrack, Josef

Titel/Untertitel:

Beten ist menschlich 1974

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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90]

auch für unsere theologische Ausbildung sagenswert
und sehr beachtenswürdig (nachdem alles andere gesagt

ist):

Vf. will, daß man sich auf die Schriftverlesungen,
die eino „oral intorpretation of tho Scripture" sind, gehörig
vorbereitet — worauf bisher ,,too littlo attention"
«dichtet wurde (36, 190).

„Die ersten paar Minuten einer Rode sind von
großer Wichtigkeit" — mit Schaudorn denkt man an
oft gehörte „Einleitungen" („Heute ist Erntedankfest!".
„Wir kommon von Woihnachten — bzw. Ostern! her"
usw.). Weitor ist verständlich, auch stimmlich-hörmäßig
, zu reden (105). Da vorweist er auf das Beispiel
eines Phillips Brooks, der einst nur noch in der vierten
Bankreihe verstanden worden war und der dann sofort
und bis ans Lobonsendo „speech lessons" nahm, „damit
ilie Darbietung der Botschaft nicht gehindert würde
durch eine inadäquate Stimme" (172). Töricht wäre es,
die einfach „vitale Frage der richtigen Presentation
(der Predigt) zu unterschätzen oder zu vernachlässigen".
Die Stimme des Prodigors ist „sein hauptsächlichstes
Handwerkszeug, aber die Arbeit an diesem Instrument
und dio Kunst des Gebrauches desselben wird in der
theologischen Ausbildung schamlos vernachlässigt",
darum: „Speech training for the preacher" (dort und
bei uns, 172, 193).

Halle/Saale Arno Lehmann

Sudbraek, Josef: Boten ist menschlich. Aus dei Erfahrung
des Lobens zu Gott gohen. Froiburg-Basel-Wien: Herder
|1973]. 250 S. kl. 8° = Herdorbüchoroi 465. DM 5,90.

Kein Zweifel — dieses Buch profitiert von der „meditativen
Welle" (195), wie sie nun nach allerhand Umwegen
über Yoga, Zen und andoro exotische Formen
von Versenkung und Ekstase endlich auch mit aller
Macht das institutionalisierte Christentum erreicht. Sah
man noch vor oiniger Zeit im kirchlichen und theologischen
Lager ziemlich überrascht „Frömmigkeit und
Gebet überall, nur nicht im eigenen Boreich, wieder
aufleben" (25), so hat die neue Stimmung inzwischen
auch große Teile dor traditionellen Kirohen und ihrer
Theologen orfaßt; ein Indiz hiorfür ist u. a. die steigende
Zahl von Publikationen, dio sich mit Fragen der Spiritualität
— und hiorboi vor allem mit dem Thema
„Gebet" — befassen: „Wenn auch manche .Fachloute'
M nicht gerne zur Kenntnis nehmen, so sind doch Meditation
, Selbstfindung, Stille, Feier, und auch Ekstase.
Mystik, Begeisterung zu don großen Themen der Religion
und sicher auch dos Christentums geworden" (192).

Nun muß man dem Vf., dor sich durch zahlreiche
Publikationen boreits als ein ausgezeichneter Kenner
der Geschichte und der Theologie christlicher Spiritualität
ausgewiesen hat, nachdrücklich bescheinigen, daß
er sich soino Sache nicht leicht macht; sein Buch lebt
nicht aus irgendwelchen modischem Stimmungen, son-
dorn von der Nüchternheit, mit dor hier spirituelle Phä-
nomeno im Kontext gegenwärtiger und vergangener
Wcllcrfnhruug gedeutet, kritisch hinterfragt und Bui
zukünftige Realisationsmöglichkeiten hin aufgebrochen
worden. Der Vf. holt dabei weit aus: In einem ersten,
grundsätzlichen Teil („Christlich glauben in dor Welt
von heute", 15—139) stellt er sich nioht nur der „Krise
der modernen Gottoserfahrung" (31—44), sondern zeigt
auch die Zwänge (und Chancen!), die diese Krise mit
bestimmten irroversiblen goistosgoschichtlichen Vorgängen
verbinden. Dio Thesen, die or hier vorträgt, sind
gewiß nicht neu; im Zusammenhang mit dem Thema
„Gebet" verdienen sie jedoch besondere Beachtung:
Die Krise des Gebets, wie sie in der Erfahrung der

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„Abwesenheit Gottes", des „Todes Gottes" kulminiert
, wurzelt in jenem geistesgeschichtlichen Umbruch
, der im philosophisch-theologischen Bereich durch
den Nominnlismus, dio „via moderna", signalisiert wird
(56). „Alles, was ,Sein' hat, kündet von Gott" (49) -
dieses Bewußtsein, in dem der antik-mittolaltorliche
Christ lebte, zerbricht; mit ihm zerbricht die Möglichkeit
, das Verhältnis von Schöpfer und Welt, Gott und
Mensch „nach der Vorstellung von Urbild und Abbild"
zu begreifen (52); das der „Urbild-Abbild-Fiömmig
keit" korrespondierende „symbolische Woltverständ
nis" verliert seine tragende Kraft; „der uns heute so
leicht und freundlich erscheinende Weg der Symbol -
erfahrung wird blockiert" (54, 57). Daß sich hinter
diesem Umbruch die zutiefst theologische Intention
vorbirgt, die absoluto Allmacht und Übermacht Gottos
zu sichern, ist unbestreitbar; daß damit aber zugleich
ein „unüberbrückbarer Abgrund zwischen der Welt und
ihrer Sinnhaftigkeit auf der einen Seite und Gottes
Wirklichkeit auf der anderen" aufgerissen wird, läßt
sich nicht übersehen (56). Hinter diesem Umbruch gibt
es nach Meinung dos Vf.s kein Zurück; im Hinblick auf
christliches Boten (und christliche Glaubensorfahrung
überhaupt!) bedeutet das: ,,. . . der Weg wird niemals
mehr geradlinig aus der Erfahrung dieser Welt odor der
eigenen Innerlichkeit zu ihm (lies: Gott) führen" (08).

Nun verbinden sich mit dem „nominalist ischen"
Umbruch aber noch andere, positivere Aspekte: In dein
Augenblick, wo der „Mensch als Partner, aber nicht
mehr als Bild Gottes" sich begreift, eröffnen sich ihm
neue Dimensionen, sieh selbst, sein Verhältnis zu Gott
und zum anderen Menschen zu verstohon: An die Stelle
des „Urbfid-Abbild-Bezuga" tritt die „personale Beziehung
der Liebe"; sein Gottesvorhältnis gewinnt einen
„worthaften, dialogischen Charakter", eine „personalindividuelle
Note" • -- „man lebt und man botet auf
Grund anderer Erlebnisinhalte, im personalen Ich-Du-
Verhältnis zu Gott" (50—53). In der Schlußfolgerung
des Vf.s —- „daß das neue Realitätsvorständnis dos
Xominalismus nicht weg von Gott führen muß, sondern
ebenso auch hin zum christliehen Gott führen kann" -
deutet sieh bereits die positive Grundlhese des Buches
an: „Die Wirklichkeit ist nicht mehr von sich selbst
offen zum Urbild Gottes. Doch sobald sich der Mensch
einom gegenüberstehenden Einzolnon und Konkroten
zuwendet, sobald er sich in seiner Humanität engagiert,
wird ihm gewiß, daß ein letzter Fluchtpunkt — Gott
und seine Verheißung — erst dasjenige sinnvoll macht,
was zu tun er sich anschickt" (78).

Doch bevor der Vf. vorsucht, diese Grundthose im
zweiten, „praktischen" Teil seines Buches („Leitsätze
zum christlichen Beton in der Welt von heute", 141
bis 256) zu konkretisieren, unternimmt er zunächst noch
einen „Kxkurs in die Linguistik" („Gefangen oder befreit
durch dio Sprache", 79—97; „Sprechen von Gott",
98—115). Wer betet, spricht — und bewegt sich damit
im .Gefängnis der Spraoho', aus dorn es keinen Ausbruch
gibt (85, 90). Wer übor das Gebet reflektiert, muß
sich notgedrungen auch Gedanken machen übor das
Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit im Vorgang
des Botens; die Drohung, daß sieh jedes Beten letztlich
aU eine Rezitation von „Leerformeln" (E. Topitsch)
erweist, steht im Raum (85). Der Vf. entzieht sich der
damit angesprochenen „semantischen" Problematik, indem
or auf die personalen (und pragmatischen!) Aspekte
von „Sprache" ausweicht; er übergeht (um mit K.
Bühler zu sprechen, den or nicht nennt) die Darstellungs-
funktiou der Sprache zugunsten der Ausdrucksfunktion:
„Der Wog führt nicht in die Riohtung dor ausgesprochenen
Sprache, sondern in die Richtung dessen, der

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 12