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Ausgabe:

1974

Spalte:

939-940

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Weber, Fritz

Titel/Untertitel:

Schleiermachers Wissenschaftsbegriff 1974

Rezensent:

Jacob, Friedrich

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halb des Bliokfeldes geblieben. Eine befriedigende Aufbereitung
der angezeigten Problematik wird jedoch
nioht von diesen Ansätzen absehen können.

Naumburg Wolfgang Sohenk

Weber, Fritz: Schleiermachers WissenschaftsbegrilY. Eine
Studie aufgrund seiner frühesten Abhandlungen. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1973]. 146 S.
8°. Kart. DM 28,—.

Die Arbeit hat im Jahr 1970 dem Faohbereioh Evangelische
Theologie der Universität Hamburg als Dissertation
vorgelegen. Sie hat sich das Ziel gesetzt, „festzustellen
, was die in den wissenschaftlichen Werken
(Schleiormachers) offenbar intendierte objektive Wissen-
schaftlichkoit für ihn bedeutet" (9). Dabei sioht der Vf.
einen besonders ongen Zusammenhang zwischon der
Persönlichkeit Schleiermaohers und seinem Denken. Ei1
möehto deshalb „ein Stück psychologischer Interpretation
" (9) leisten. Um das Thema abzugrenzen, beschränkt
or sich bei don verwerteten Quellen auf die
frühen von Schleiermacher selbst nicht veröffentlichten
Manuskripte, die bis heute mit wenigen Ausnahmen nur
in der orsten Auflage der Dilthoyschon Biographie, in
den „Donkmalen der inneren Entwicklung Schleierma-
machers" greifbar sind.

Nachdem W. zunächst einen kurzen biographischen
Abriß der Kindheit und Jugend Schloiormachers gegeben
hat, stellt er in den Abschnitten II. (Der Einsatz
bei der Ethik) und III. (Erkonntnisthoorotische und
ontologische Ansätze) die wesentlichen Gedanken der
Frühschrifton nach systematischen Gesichtspunkten
dar. Im Vordergrund steht dabei vor allem der Vergleich
zwischen Schloiermacher und Kant. Anschließend
wird unter der Überschrift „Dio Einheit des wissenschaftlichen
Denkens Sohleicrmaohers" der Ertrag im
Hl ick auf die Denkmethode Sohloiermachers zusammengefaßt
: W. spricht von einem „Zusammonspiel von
Mystik und kritischem Verstand" (84). Schleiermachors
Kritik ati Kant sioht der Vf. vor allem durch den bleibenden
Einfluß der älteren, an Wolff orientierten Aufklärungsphilosophie
bodingt: „Philosophisch unhaltbar
geworden, lebt das Woltbild der älteren Aufklärung
bei Schleiermachor unter dorn ehristlioh theologischen
Vorzeichen fort" (98).

In den lotzton beiden Abschnitten (V. und VI.) gehl
W. über die Quellengrundlage der Frühschriften hinaus.
Vor allom Glaubenslehre und Dialektik worden mit
herangezogen. Dabei geht es im fünften Abschnitt um
die Spannungen im wissenschaftlichen Denken Schleiormachers
, im einzelnen um die Spannung zwischen „begrifflichem
und anschaulichem Denken" (99), „reiner
und einem Zweck dienender Wissenschaft" (102) und
„die Spannung zwischen Skepsis und spekulativom
Denken" (106). Im Hintergrund Steht d t berühmte
Gegensatz von Philosophie und Theologie bei Schleiermachor
.

Schließlich wird im letzten Abschnitt („Die Grenzen
der Wissenschaft") noch einmal der Wissenschafts-
begriff selbst zum Thema gemacht. W. unterscheidet
zwischen einem ursprünglich engen Wissenschaft*
begriff, für den Wissenschaft nur „die Sphäre der allgemeingültigen
Ideen" (143) erfaßt, und späteren Ausweitungen
, durch dir dann auch das Individuelle und
die Religion mit der Wissenschaft in Beziehung gebracht
werden.

Freilich zeigt sich an dieser Stelle auch die Proble-
umtik d' 'S ganzen Buches. Gerade di r Begriff der
Wissenschaft spielt für Schloiermacher eine geringe
Rolle W. Rehreibt seihst, daß (Ins Wort „in den frühen

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Abhandlungen Schleiermachors sich nur an einer einzigen
, völlig unbetonten Stelle befindot" (56 '). Es ist
deshalb kein Wunder, daß das, was dor Vf. auf weite
Strecken seiner durchaus interessanten Darstellung
bringt, dieses sehr speziell gestellte Thoma geradezu in
Vergessenheit geraten läßt. Dio Stärke der Arbeit liegt
jedenfalls nicht in dem, was sie zum Thema Wissen-
sohaftsbegriff beiträgt, sondern in ihrer gründlichen
Behandlung der schloiermaoherschen Gedankengänge» in
don Frühschrifton. Leider ist der Vf. bei diosor Eingrenzung
des Themas nicht konsequent geblieben. Bei
dem Versucho, Schlüsse auf das Gesamtwerk Schleiermachors
zu ziehen, hätte mit don Quellon sorgfältiger
umgegangen worden müssen. So wird der Gofühlsbogriff
an vielen Stellon sehr undifferenziert vorwendet. Häufig
erscheint er einfach als Sphäre der Freiheit vom begriff
liehen Donken und deshalb am Ende als Gegenpol zur
Wissenschaft. Hier wünschte man sich eine gründliche
Analyse an Hand von Dialektik und Glaubonslohiv.
Wünschenswert wäre auch mehr methodische Klarheit
bei der Frage, inwieweit die Aussagen der Frühschriften
auf den reifen ' Schleiermaoher übertragen werden
können.

Aber diese Desiderate sollen das eigentliche Verdienst
der Arbeit nicht schmälern: Sie vermittelt einon
guten Einblick in dio Gedankenwelt dos jungen Schloiermacher
in seiner vorromantischen Zeit und geben vor
allen Dingen eine anschaulicho Darstellung dor so
schwierigen Auseinandersetzung mit Kant.

Karl-Marx-Stadt Friedrich .Jacob

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Neuenschwander, Ulrich. Denker des (jilaulii'iiR. J: Martin
Buber, Albert Schweitzer, Karl Barth, Kudolf Bultmann,
Diotrioh Bonhoeffor. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gord Mohn [1974]. 156 S. m. Abb. 8» = Güterslohor Taschenbücher
, 81. DM 6,80.
Im Vorwort zu diesem Taschenbuch schreibt Ulrich
Neuenschwander, „die Darstellung der Denker des Glau
bens in unserem Jahrhundert ist aus Vorlesungen, Vorträgen
und Volkshoohschulkursen erwachsen". Diesom
Wntstohungsprozeß ist wohl dio ungewöhnliche pädagogische
Meisterschaft der Darstellung zu danken. Das
Anliegen, die Monographien „in eine möglichst knappe,
aber präzise Form zu bringen, die nur das Wesentliche,
aber dieses zuverlässig, enthält" (S. 7), ist in bewunderungswürdiger
Weise verwirklicht. Neuenschwander ist
eine Darstellung gelungen, die sowohl den Laien verständlich
, klar und dabei Interesse erwockend infor
miert, die aber auch von Theologen gerne und mit
Gewinn gelesen wird.

Dadurch, daß Neuenschwander konsequent darauf
verzichtet, „oin Gesamtbild jeder Persönlichkeit mit
einer möglichst vollständigen Aufzählung aller Leistungen
im einzelnen" zu zeichnen, sondorn Rieh ont
schlössen auf die Frage konzentriert, „wio alle dies.
Denker dio Grundstrukturen des Glaubens durchdacht
haben, welche Gemeinsamkeiten, welche Gegensätze
sieh ihnen dabei ergeben haben, welche Perspektiven
sie uns nahe bringen, sieh gegenseitig bestätigend und
bestreitend" (S. 15), erreicht er nioht nur oine grölte
Geschlossenheit der Darstellung, wird nicht nur fnter
osso und Spannung erzeugt, sondern auch vermieden,
daß eine Darstellung, die jedem Denker nur otwa 25
bis 30 Seiten widmen kann, zu einer oberflächlichen
Kaktenvermittlung wird. Biographische Kurzdaten sind
jedem Beitrag, ergänzt durch ein gut ausgewähltes
Porträtfoto, vorangoschickt, die eigentliche Darstellung

Theologisohe Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 12