Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1974

Spalte:

71

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Gerhard

Titel/Untertitel:

Gott ohne Masken 1974

Rezensent:

Schnell, Uwe

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

71

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

72

Lohfink, Gerhard: Gott ohne Masken. Predigten und Ansprachen
. Würzburg: Echter Verlag; Stuttgart: Calwer Verlag
; Innsbruck: Tyrolia Verlag [1972]. 152 S. 8°. DM 12,80.
In diesem Band - einer Gemeinschaftsausgabe der Verlage
Echter/Calwer/Tyrolia: «Prediger unserer Zeit" - sind
27 Predigten und Ansprachen vereinigt, die der kath. Vf.
fast alle in derselben Gemeinde gehalten hat. Es sind Predigten
und Ansprachen zu ausgewählten Tagen des Kirchenjahres
(u. a. Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt,
Pfingsten); daneben stehen verschiedene Themen wie: Eucharistie
, Priesteramt, Kritik und Protest, Marienverehrung,
Gleichnisse Jesu, Tod und Auferstehung.

Der Vf. möchte seine Zuhörer nicht langweilen. „Dazu gehört
nicht nur eine ehrliche Theologie, sondern auch der
ständige Wechsel der Predigtgattung" (Vorwort S. 7). Diese
Absicht dürfte dem Prediger an vielen Stellen gelungen sein.
Das Geheimnis des Erfolgs verbirgt sich wesentlich hinter
dem Stichwort „ehrliche Theologie". Der Vf., selbst als Neu-
testamentler ausgewiesen (Die Himmelfahrt Jesu. Untersuchungen
zu den Himmelfahrts- und Erhöhungstexten bei Lukas
. 1971), stellt sich den Anfragen, die sich für die kath.
Lehrtradition und Gemeindefrömmigkeit aus den Erkenntnissen
neuerer Bibelwissenschaft ergeben. Er verarbeitet sie
in klarer Sprache für Kanzel und Pult und enthält die Konsequenzen
der Gemeinde nicht vor. Daß sich dabei zuweilen
ein informatorisches Moment bemerkbar macht, ist
selbstverständlich; müssen doch überkommene Verstehens-
weisen aufgearbeitet werden. In angewandtem Sinn gilt für
mehrere der hier abgedruckten Predigten und Ansprachen,
was der Vf. in seiner Predigt über Gal 2,11-14 - Kritik und
Protest - sagt: „In dem Augenblick, da Paulus sieht, daß
Petrus in einer ganz bestimmten innerkirchlichen Frage der
damaligen Zeit dem Geist des Evangeliums zuwiderhandelt,
tritt er ihm vor der gesamten Gemeinde mit größter Entschiedenheit
entgegen. Offensichtlich hielt Paulus sehr wenig
von einer äußeren Einmütigkeit zwischen kirchlichen
Führern, die doch bloß Fassade gewesen wäre und die letztlich
niemandem geholfen hätte. Und offensichtlich hielt Paulus
den ehrlichen Austrag eines Konfliktes für sehr wohl vereinbar
mit dem Evangelium Jesu Christi. . . echte Kritik (ist)
eine Sache, über die wir nachdenken und die wir einüben
müssen, nachdem wir uns jahrhundertelang bis zum Exzeß
nur mit der Tugend des Gehorsams beschäftigt haben" (S. 90
u. 91). Wohltuend ist der völlig unpolemische Ton. Was der
Prediger zu sagen hat, spricht als „ehrliche" Schriftauslegung
und -anwendung für sich. Die Aufmerksamkeit des kath.
Hörers ergibt sich von selbst auf dem Hintergrund traditioneller
Glaubenslehre. Als Beispiele seien genannt: Der Tod
Jesu und unsere Erlösung (S. 49), Die Angst vor dem Geist
(S. 80), Das Herrenmahl als Zeichen (S. 92).

Ein Kabinettstück „ehrlicher Theologie" ist die Ansprache:
Marienkult und Gottesglaube (S. 113). Der Vf. läßt nur eine
wirklich biblisch begründete Marienverehrung gelten und
findet sie ausgesprochen in Luthers „großartiger Auslegung
" des Magnifikats. „Wenn wir unsere Marienverehrung
in dieser Weise biblisch begründen - dürfen wir dann nicht
auch hoffen, eines Tages mit unseren evangelischen Mitchristen
wieder in einer echten Marienfrömmigkeit zusammenzufinden
?" (S. 121). Diese ökumenische Weite steht dem
Band als Gemeinschaftsausgabe kath. und ev. Verlage gut
an; eine Weite, die - wie bei vielen anderen Predigten -
im Vollzug gemeinsamer Schriftauslegung möglich wird.

Über das vom Vf. bevorzugte Prinzip, dem bibl. Text einen
Hauptgedanken zu entnehmen und diesen zu thematisieren
, wird man zuweilen streiten können. Die Titelpredigt
(Joh 14,6-9) arbeitet mit einem sehr poppigen Einfall. Sie
ist allenfalls die werbewirksamste. Immerhin versucht der
Band so, den Leserkreis, für den er bestimmt ist, auf seine
Anregungen aufmerksam zu machen.

Rostock Uwe Schnell

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Vajta, Vilmos (Hrsg.]: Das Evangelium und die Zweideutigkeit
der Kirche. Die Verwirklichung der Kirche im Spannungsfeld
von Sendung und Sein. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht 1973. 281 S. gr. 8° - Evangelium und Geschichte
, 3.

Nach den Bänden „Evangelium und Einheit" und „Das
Evangelium und die Bestimmung des Menschen" beschäftigt
sich dieser dritte Band innerhalb der vom Straßburger Institut
für ökumenische Forschung herausgegebenen Reihe
„Evangelium und Geschichte" mit der Ekklesiologie, wobei
mit dem Stichwort der „Zweideutigkeit der Kirche" vor allem
die geschichtliche Existenz der Kirche betont werden soll.
Vier Beiträge behandeln unter der Überschrift „Die Sendung
der Kirche" Fragen zum Selbstverständnis der Kirche; drei
Beiträge wenden sich unter der Überschrift „Die Gestaltung
der Kirche" den Fragen nach dem Gottesdienst, dem kirchlichen
Amt und dem Lebensstil der Gemeinde zu. Mit dem
Herausgeber bedauert man, daß ein für Leser in der DDR
besonders interessierender Beitrag über „Kirche als Diaspora
in der Welt" von dem Ungarn Karoly Pröhle wegen Terminschwierigkeiten
nicht bearbeitet werden konnte. Im folgenden
soll jeder der sieben Beiträge kurz vorgestellt weiden.

Carl E. B r a a t e n, Professor für Systematische Theologie
an der Lutheran School of Theology in Chicago, untersucht
„Die Botschaft vom Reich Gottes und die Kirche" (S. 11-54).
Das Symbol des Reiches Gottes ist - nachdem es im Gefolge
der dialektischen Theologie jahrelang unterbewertet
worden ist - heute wieder im Gespräch. Mit seiner Hilfe
wird die einseitige Beziehung des Heils auf den einzelnen
und die Auflösung der Eschatologie in die Gegenwart, das
„ewige Jetzt" oder den „existentiellen Augenblick" vermieden
, wie sie nach einer kritischen Analyse von Aussagen des
frühen Barth, Bultmanns, Gogartens und Ebelings durch den
Autor sich ergibt. Die Botschaft vom Reich Gottes ist darum
für das Verständnis der Kirche grundlegend, weil die Kirche
nach vorn auf das Reich Gottes und nach außen auf die Welt
bezogen ist. Einerseits nimmt die Kirche das Reich Gottes
vorweg, denn die verheißene Zukunft wird durch Wort und
Sakramente jetzt schon gegenwärtig gemacht, andererseits
geraten die kirchlichen Institutionen und Traditionen unter
den eschatologischen Vorbehalt der noch nicht eingelösten
Herrlichkeit. Um der endzeitlichen Revolution des Reiches
Gottes willen kann die Kirche Bündnisse mit einzelnen geschichtlichen
Revolutionen eingehen, ohne sich der Illusion
säkularer Utopien hinzugeben. Nicht das statische Nebeneinander
der „zwei Reiche", sondern deren gemeinsame Ausrichtung
auf das regnum gloriae ist heute zu vertreten.

Zu dem weiten Thema „Die Kirche in der Geschichte" gibt
Kristen E. Skydsgaard, Professor für Systematische
Theologie an der Universität Kopenhagen, einige Perspektiven
(S. 55-96). Besonders hervorzuheben ist der Versuch,
die Geschichtlichkeit und die damit verbundene Zweideutigkeit
der Kirche an der Dialektik von Einheit und Bruch zu
exemplifizieren. Wie Jesu Verkündigung durch den Bruch
mit der spätjüdischen Tradition geprägt ist und bei Paulus
die Diskontinuität zwischen der Adam- und der Christustradition
betont wird, geht auch in der Kirche der Kampf
zwischen Christus und dem Antichrist bis zur Wiederkunft
Christi weiter. Darum läßt sich die Kirche nicht geradlinig
mit dem Reich Gottes identifizieren. Neben der „Reichgottesperspektive
" steht die „Religionsperspektive", bei der Kirche
von Religion, d. h. anthropozentrischer Innerlichkeit bestimmt
und damit pervertiert wird. Der Autor gibt zu, daß
dieser Gebrauch des Wortes „Religion" einseitig ist, doch
meint er ihn mit Berufung auf Bonhoeffer an dieser Stelle
so gebrauchen zu können. Die Kirche in der Geschichte ist
von dem Kampf dieser beiden Perspektiven miteinander
erfüllt.