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Ausgabe:

1974

Spalte:

69-70

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Worte am Sonntag, heute gesagt 1974

Rezensent:

Winter, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

70

sichtlich der Meßbarkeit pfarramtlicher Tätigkeit hilft er
nicht weiter. Die berechtigte Forderung nach effektiverem,
rationellerem Einsatz der verfügbaren Mittel bedarf wesentlich
detaillierterer Überlegungen, besonders im Blick auf
die leitenden Kräfte. Es spricht nicht gegen das Buch, daß
viele Fragen offenbleiben. Wie sehr die kirchliche Leitungstheorie
noch in den Anfängen steckt, zeigt u. a. die Forderung
der Arbeitsplatzbeschreibung. „Es wird darauf hinausgehen
müssen, die genaue Beschreibung der Leistung, die
nach Erledigung einer Aufgabe erwartet wird, zu umreißen.
Und dies ist ein schwieriges Unternehmen" (93). Wie schwierig
es im Blick auf den Dienst des Pfarrers ist, zeigt die von
Wilken mit Recht ausgeklammerte Diskussion um das Profil
des Pfarrerberufes, die bisher nicht zu exakten Orientierungen
führte.

Neben handfesten praktischen Problemen bleiben natürlich
bei einem so ungeklärten Thema auch theologische Fragen
offen. Auf die Frage, welche Theologie der Autor habe,
antwortet er: „Keine besondere" (135), was heißen soll: Für
dieses Thema sind alle Theologien gleich wichtig oder unwichtig
. Daran dürfte richtig sein, daß keine Theologie überzeugende
Argumente gegen eine Berücksichtigung organi-
sations- und leitungswissenschaftlicher Erkenntnisse vorzubringen
hat. Für eine Theorie kirchlicher „Betriebsführung"
ist aber die Theologie doch bedeutsam. Das zeigt sich z. B.,
wenn S. 44 erklärt wird: „Planung und Leitung sind Teilfunktionen
des kirchlichen Hirtenamtes". S. 140 stellt Wilken
kritisch fest: „Die Stellung des beamteten Pastors ist
ihrem Wesen nach autoritativ." Sollten Theologie des Hirtenamtes
und autoritatives Pfarramt nicht zusammenhängen
? Trotz eindrücklicher Voten für einen demokratischen
Leitungsstil, trotz der Erkenntnis, daß die „Hierarchien wanken
" (74ff), bleibt der Eindruck, kirchliche Leitungstätigkeit
sei weiterhin hierarchisch strukturiert, wenn auch durch
Methoden moderner Menschenführung modifiziert. Das Modell
des Management scheint doch eher einer hierarchischen
Struktur als einem partnerschaftlichen Verständnis der Gemeinde
und ihrer Leitungsdienste zu entsprechen.

Erfreulich ist, daß Wilken die praktischen Probleme nicht
theologisch verschleiert. Große theologische Wörter wie
„christokratische Bruderschaft" nützen wenig, wenn einfache
Formen der Zusammenarbeit unbekannt sind. Eine breiter
angelegte Theorie der kirchlichen Leitungstätigkeit wird berücksichtigen
müssen, wie die praktischen Erfahrungen auf
die theologische Grundlegung zurückwirken. - Wilken verzichtet
auf einen wissenschaftlichen Apparat, erwähnt aber
wichtige Literatur. Er möchte „etwas vorlegen, das leicht und
angenehm zu lesen ist". Das ist gelungen und wird hoffentlich
dem Buch helfen, Impulse für eine bessere Leitung des
Betriebes namens Kirche zu geben. Kirchliche Leitungsorgane
sollten sich auf jeden Fall mit Wilkens Anregungen beschäftigen
. „Tiefsinnige und wissenschaftliche Arbeiten und
detaillierte Untersuchungen werden sicherlich eines Tages
folgen", meint der Autor (8). Möge seine Zuversicht sich bald
erfüllen. In der DDR müßten so'che Arbeiten natürlich von
den hier gegebenen kirchlichen und gesellschaftlichen Realitäten
ausgehen.

Holle Saale Eberhard Winkler

Nitschke, Horst [Hrsg.]: Worte am Sonntag heute gesagt.

Predigten der Gegenwart. Die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres
. I. Perikopenreihe. Bd. 2: Lätare bis 7. Sonntag
nach Trinitatis. Bd. 3: 8. Sonntag nach Trinitatis bis
Ewigkeitssonntag. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn (1972). 144 S. u. 148 S. Kart, je DM 12,80.
Dem Herausgeber ist auch für die Herausgabe dieser Teil-
bändc zu danken, die für den Prediger, der Sonntag für
Sonntag zu verkündigen hat, positive und negative Anregungen
in reichem Maße bieten. Das Bild, das sich in der
Besprechung des 1. Bandes zeichnen ließ, bestätigt sich (vgl.
ThLZ 98, 1973 Sp. 788).

Zur theologischen Eigenart: Existentiale Interpretation im
weiteren Sinn interessiert mehr als theologische Reflexion
im engeren Sinn. Z. B. sind die Aussagen von Karfreitag,
Ostern und Pfingsten nach den vorhandenen Predigtangeboten
kaum oder nur schwer zu verstehen. Das wird anders,
wenn wir mit dem Gekreuzigten bzw. Auferstandenen „im
Rahmen des Alltäglichen" (2,43.36) leben und uns mit ihm
„identifizieren" (2,27). Daß Gott selbst in Christus gehandelt
hat, ohne daß der Mensch immer sogleich in den Blick
kommt, wird erst zu Himmelfahrt und am Pfingstmontag
(2,75.95) deutlicher bezeugt. - Wie eng theologisch verbunden
und ähnlich durch die Textvorgabe von Mt 25,31-46
H. Gollwitzer und M. Mezger (Mt 5,3-10) predigen können,
ist frappierend, obwohl die Ränder der theologischen Aussage
unterschiedlich bleiben: Ersterer schließt mit einem Gebet
; letzterer hebt zum Reformationsfest den Satz heraus:
„Gott hat keine anderen Hände als die unsrigen, und was
er tun will, tut er allemal durch uns" (3,146). - Auch gegenüber
der Wunderfrage hört man angesichts der Texte der Alten
Evangelien unterschiedliche Informationen. Das zeigen
z. B. die Auslegungen der Speisungswunder nach Joh 6 (2,7)
und nach Mk 8 (2,137). Wider exegetisches Erwarten wird
Johannes recht „realistisch", Markus weltlich modern interpretiert
.

Zur Hörer- und Sprachsituation: Der Welt der BRD stehen
die Predigten in Optimismus und Pessimismus gegenüber,
während die Kirche sehr viel kritischer in den Blick kommt.
Freilich wird nun schon zweimal der Gottesdienst als Fest
und Tanz proklamiert (3,45.78). Einige Reizwörter fallen
durch die Wiederholung ins Auge: Welt, Wirklichkeit, Politik
(z. B. Gastarbeiter, dritte Welt, Hunger, Behinderte,
Hasch, Revolution, Gesellschaft). Daneben wird die Autorität
und die Sprache der Psychologen nicht selten beschworen
: Identifikation, aggressive Tagträume, verdrängen, Gefühl
, Angst, Unsicherheit. Endlich gehört die Religion wieder
zum Begriffsstandard: religiöse Welle, Jesus-People. Anthropologische
Befindlichkeiten, die häufig vorkommen,
sind: Hoffnung, Resignation, (Un-)sinn, Isolierung, Geborgenheit
, Kompliziertheit, Schwäche, Macht, Krankheit, Tod.
Nicht zu übersehen sind die Wörter „Chance" und „makaber".
Besonders geschätzt sind auch „Liebe" und „Hilfe". Gewiß
ist diese von uns gebotene Wortauswahl nicht statistisch errechnet
; aber es wird klar, wie die Moderne sie beeinflußt
hat. Daneben wird offenbar, wie situationsnahe und ethisch
vielschichtig - aber dann doch auch wieder seltsam homogen
- die Predigten in der Mehrzahl aussehen. Vergleiche
mit anderen Bänden zur Evangelienpredigt vor einer Generation
würden das noch mehr illustrieren können. Reizvoll
wäre gewiß auch der Vergleich mit der Predigt der Aufklärung
, deren Weltoffenheit ja bekannt ist. - Unter den nichtbiblischen
Autoritäten steht D. Bonhoeffer an der Spitze;
aber auch die Namen von B. Brecht, M. L. King und K. Marx
kommen vor, einmal der von K. Barth. - Wieweit der einzelne
Prediger in seiner Predigt mehr Situationsklischees
aus den Massenmedien „abzieht", d. h. „abstrahiert", als daß
er die wirklichen kleinen und großen Fragen seiner Gemeinde
minutiös aus dem täglichen seelsorgerlichen Umgang
mit den Menschen seiner Umgebung beantwortet, soll
nur gefragt werden, ohne daß hier ein Urteil möglich ist.
Dennoch scheint mir die Frage, woher heute der Prediger
das Material für seine Meditation und Predigt bezieht, äußerst
wichtig. Bleibt er wirklich „vor Ort"?

Im 3. Band, S. 13, handelt es sich nicht um den Text Lk
18,1-8, sondern um 16,1-9.

Rüdersdorf bei Berlin Friedrich Winter