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Ausgabe:

1974

Spalte:

912-914

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wikenhauser, Alfred

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament 1974

Rezensent:

Strecker, Georg

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Theologisohe Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 12

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Entscheidung gegen das Böse" gründet. S. 115 wird
offenbar der Täufer zu den Apokalyptikern gorechnet;
daß in seiner Verkündigung auch die Ethik eine Rolle
spielte, kann schwer bezweifelt worden, wie immer man
auch die Überlieferung über ihn bourteilt. Besteht aber
in der Frage der Ethik zwischen Gnosis und Apoka-
lyptik ein fundamentaler Unterschied, dann kann man
schwerlich ihr Dasoinsverständnis noch als wesentlich
identisch ansehen.

Bezüglich der Beziehung zwischen Apokalyptik und
frühem Christentum urteilt Sch., daß man mit Blick
auf das historische Verhältnis „dem Satz, die Apokalyptik
sei die Mutter der christlichen Theologie gewesen,
nicht jedos Recht absprechen" kann. „Hinsichtlich des
sachlichen Verhältnisses dagogen trifft diese Behauptung
keineswegs zu. Denn sachlich steht das neu-
testamentliche Dasoinsverständnis in starker Spannung
zur apokalyptischen Wirklichkoitserfassung und relativ
nahe bei der ursprünglichen alttostamentlichen Statuierung
des Verhältnisses zu Gott, Welt und Mensch"
(S. 129). Die Stellung Jesu ist aufgrund der Überlieferung
nicht sicher orkennbar, Sch. neigt aber dazu, Jesus
als der Apokalyptik zugehörig anzusohen. Gerade das
in einer fundamentalen historischen Beziehung zur Apokalyptik
stehende Bekenntnis zur Auferstehung Jesu
wird damit zur entscheidenden Aufhebung der Apokalyptik
im Urchristentum!

Das Schlußkapitol über die geschichtlichen Wirkungen
der Apokalyptik will die bleibende Bedeutung
des apokalyptischen Daseins Verständnissos in der Gei-
stesgoschichto andeutend aufzeigen. Wenn zum Zwecke
dessen auch die Frühsozialisten, der junge Marx sowie
die sog. Neomarxiston der Gogenwart herangezogen
worden, so ist das nach dem Vorangehendon des Buches
gorade nicht überzeugend. Der Marxismus-Leninismus
wird denn auch zu Recht von Sch. nicht in diesen
Horizont oingoordnot.

Das entscheidende Problem des Buches wie der
Forschung zum Thema Apokalyptik überhaupt ist das
der Quellen und ihrer Beurteilung als literarischer
Niederschlag einer wenigstens prinzipiell in sich geschlossenen
Gruppo odor Bewegung. Daß eine Literaturgattung
„Apokalypsen" im Judentum (und Christentum
) der Zeit nach dem 3. oder 2. vorchristlichen Jahrhundert
existiort hat und gepflegt wurde, ist gewiß
nicht zu bezweifeln. Zumindest in dor literarischen Überlieferung
aber, die auf uns gekommen ist, liegt sie kaum
irgendwo in reiner Gestalt und ohne Vorbindung mit
anderen Gattungen vor. Selbst wenn es also Kreise
gegeben habon sollte, die sich und ihre Überzeugungen
ausschließlich in dor literarischen Gattung der Apokalyptik
, in gleiohsam reinon Apokalypsen artikulierten,
dann bloibt doch als religionsgeschichtlich entscheidend
wichtig zu bedenken, wie die Apokalyptik zu vorstehen
ist, die sich mit anderen Gattungen der Litoratur und
des Denkens zu einer wie auch immer goartoten Einheit
verbunden hat. Dann abor treten die wichtigen Fragen
nach dor Bodeutung von Goschichto, Gesetz und Ethik
in ein neues Licht! Jedenfalls kann einen dio Beschäftigung
mit der Apokalyptik in dor uns überkommenen
literarischen Gestalt lehren, wio gewagt es ist, traditions-
geschichtlicho Urtoilo ohne zusätzliche weitere Belege
zu historischen Urteilen werden zu lasson. Damit aber
ist ein Grundproblem gegenwärtiger historisch-kriti-
schor Arbeit berührt.

Halle/Saale Traugott Holt«

\ ikenhauser, Alfred, u. Josef Sehmidi Einleitung in «Ins
Neue Testament. Ct., völlig neu l.eur)>. Aufl. Kroihurg-
Basel-Wien: Herder | 1973]. XVT, 677 S. gr. 8". Lw.
DM 72.—.

Zehn Jahre nach dem Erscheinen dor 5. Auflago legt
Josef Schmid eine um mehr als 200 Seiten erweiterte
Ausgabe dieses nicht nur in der römisch-katholischen
Exegese anerkannten Einleitungswerkes vor. Wenn
auch dor äußere Aufriß und inhaltlich dio besondere
Beachtung dor patristischen Bezeugung erhalten blieben,
so wird dio Absicht einer nouon Ausrichtung des Stoffes
doch schon an der umfassenderen Einbeziehung dor Sekundärliteratur
erkennbar, wobei dio bibliographischen
Angaben dor toilweise allordings referierenden „Ergänzungen
" Wikenhausers (5 1963, S. 406 449) übernommen
worden sind. Daß es sich um eine grundlegende,
spezifisch intendierte Bearbeitung handelt, zeigt sioh
auch an der Tatsache, daß die von Wikenhauser noeli
zitierten Entscheidungen dor päpstlichen Bibelkommission
nach der von demselben Gremium am 21. April
1964 verabschiedeten Instructio „De historica Evange-
liorum veritate" als überholt betrachtet worden können
und nunmehr in Wegfall gekommen sind (vgl. S. 9 f.).
Hierdurch ist für die Anwondung einer modernon exegetischen
Arbeitsweise ein Freiraum gewonnen worden

Es ist daher auch kein Zufall, daß einer der wenigen
Paragraphen, die zusätzlich in den Aufriß des BucIioh
eingefügt worden sind, sich mit dor „Sprache des Neuen
Testamentes" befaßt, hat doch dor Spruchcharakter
für die Beurteilung der Entstehungsverhältnisse der neu-
testamentlichen Schriften eine nicht geringe Bodeutung
(§ 23, S. 186—202). Ist festzustellen, daß unboschadot
der Annahme von älteren aramäischen Überlieferung*-
geschichten „keines der Ew. . . eino Übersetzung dieser
aramäischen Überlieferungen" repräsentiert, so ist,
selbst wenn man voraussetzt, „daß das NT in sprachlicher
Beziehung keineswegs eino Einheit ist" (S. 187),
Zurückhaltung gegenüber voreiligen Schlußfolgerungen
auf palästinisch-aramäische und zugleich apostolisohe
Autorschaft geboten. Steht das neutestamentlicho
Griechisch in Zusammenhang mit dor „Koine", so mag
seine „semitische" Färbung auf Einflüsse dos Aramäischen
bzw. des Hebräischen odor dor Soptuaginta zurückzuführen
sein, ohne über seinen ursprünglichen
Sprachbereich grundsätzlich hinauszuwoison (S. 190,
194 f.), wobei die Frage speziell zu bedenken wäre, ob
„ein besonderes Judengriechisch als ein eigener Dialekt
innerhalb der Koine anzunehmen ist, der von den Diasporajuden
gesprochen wurde". Möchte Vf. diosos Problem
auf Grund der erhaltenen Litoratur ober negativ
■ Utscheid Ii, so gesteht er andererseits zu, daß uns im
Blick auf das Griechisch der palästinensischen Juden zur
Beantwortung dieser Frage dio notwendigen Quollen
fohlen (S. 193). Eine erfolgversprechende Aufgabe ist
es dagegen, den Sprachstil der individuellen Schriftsteller
dos Neuen Testamentes zu erhoben. Wio Vf.
durch eino bis ins einzelne gohonde Darstellung bestätigt
, handelt es sich in keinem Fall um ursprünglich
semitische Schriften, wohl aber möchte or für MarkiiH-
evangelium, Johannesevangelium und -apokalypse Dop-
polsprachigkoit der Autoren erschließen.

Wie der Vergleich mit der 5. Auflage zeigen kann,
ist kaum ein Abschnitt inhalt lich unverändert geblieben.
Im ersten Teil („Der Kanon des Nouon Testamentes")
wird nun auch zum Kanon dor armenischen und georgischen
Kirche Stellung genommen (§ 9, S. 08 f.), im
Zusammenhang der Geschichte des Kanons nicht nur
die Position Luthers, sondern auch die der übrigen Reformatoren
gestreift und das Problem dor „Motive und
Normen dos Kanons" erörtert (| 10, S. 60. 62—64).