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Ausgabe:

1974

Spalte:

902-903

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ruppert, Lothar

Titel/Untertitel:

Der leidende Gerechte und seine Feinde 1974

Rezensent:

Herrmann, Wolfram

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(Kat. VII) oder „Typologie" (Kat. IX), die mit zahlreichen
Beispielen belegt werden. Bei der Lektüre
dieses Abschnitts ist die Benutzung einer Synopse wie
der von P. Vanutelli, Libri Synoptici Veteris Tosta-
menti, I. II. Rom 1931/34 kaum zu entbehren, und es
wäre manchem Leser vielleicht lieber gewesen, wenn
der Vf. eine geringere, aber dafür im Wortlaut ausgeführte
Zahl von Beispielen dargeboten hätte.

Ein wichtiges Element der Tätigkeit des Chronisten
ist die „eigene Geschichtsschreibung", die in den Unterabschnitten
„Kanon, chronistischer Musivstil und das
Verhältnis von Esra-Nehemia zur Chronik" (S. 176
bis 184) und „Aspekte der eigenen chronistischen Geschichtsschreibung
" (S. 184—189) behandelt wird. Mit
dem von F. Rosenzweig (S. 177, Anm. 4) übernommenen
Ausdruck „Musivstil" beschreibt der Vf. die Art, wie
der Chronist die nicht in Samuel — Königo überlieferten
Stoffe darbietet. „Die Schilderung in diesen Abschnitten
des Sonderguts hatte sich der Autorität des überlieferten
Wortes zu unterwerfen; nur dieses war im Grunde gültiges
Ausdrucksmittol. Anlehnung, Anspielung, Zitat
war hier die einzig mögliche Form der Geschichtsschreibung
" (S. 177). Die Chronik als „Auslogung" zu bezeichnen
, wird also durch alle Kategorien der chronistischen
Verfahrensweise gerechtfertigt. Im Zusammenhang
mit dem „Musivstil" wird die Frage erörtert, wie
die Beziehungen zwischen Chronik und Esra-Nehemia
zu sehen sind und ob die Annahme eines „chronistischen
Geschichtswerkes" zu Recht besteht. Der Vf.
bejaht die Zusammengehörigkeit von Chronik und
Esra-Nehemia und sieht ihre Reihenfolge im Kanon als
ursprünglich und beabsichtigt an, während er dio Stil -
unterschiede mit den „völlig verschiedenen Voraussetzungen
der beiden Worko Esra-Nehemia und Chronik,
denen auch inhaltliche, in der verschiedenen Zielsetzung
begründete Differenzen an dio Seite treten" (S. 182 f.)
begründet.

Kapitel III „Die Geschichte der Propheten (I 29,29)
und ihr Ausleger — Die Chronik als spätnachexilisches
Gesohichtswerk" (S. 190—244) kommt zu dem Ergebnis
, daß das Werk „in die ausgehende Perser- oder beginnende
griechische Periode zu datieren" ist (S. 190)
und keinerlei Polemik gegen dio samaritanischo Gemeinde
enthält, mit der es zum „endgültigen Bruch"
erst in der Hasmonäerzeit gekommen ist (S. 193). Weiter
widerlegt der Vf. die Behauptung einer ausgesprochen
kultischen Prägung dor Chronik und verweist diese Elemente
als Zusätze in die Zeit dos 3./2. Jh.s (S. 204).

Mit der Bezeichnung der Chronik als „spätnachexilisches
Gesohichtswerk" wird noch einmal mit Nachdruck
darauf hingewiesen, daß die Chronik als Geschichtswerk
zu betrachten ist und alle Merkmale historischen
Verstohen8 enthält, wie „die genetische Betrachtungsweise
, das Prinzip der Analogie, die intuitiv«-
Erfassung der goschichtswirkenden Kräfte und Ihrer
Zentren und dio Quellenbenutzung" (S. 208). Andererseits
ist es klar, daß die Chronik dio dritto Epoche der
Geschichtsschreibung einleitet, der dio Epoche dor
frühen Geschichtsschreibung und dos deuteronomisti-
schon Geschichtswerkes vorangehen. Diese drei Epochen
werden in dem letzten Abschnitt durch dio Überschrift
„Prophet, Epitomator und Exoget — Primäre, sekundäre
und tertiäre Geschichtsschreibung und die übor-
lieferungsgoschichtliche Konzoption der Chronik" (S.
215—244) nähor charakterisiert. Daboi werden zwei
weitere Probleme behandelt, nämlich die Rollo der vielfach
genannten, /.. T. aus dem deuteronomistischen Geschichtswerk
unbekannten Propheten in der Chronik
(S. 216—229) und die Funktion der zahlreichen, von
den Königsbüchorn abweichenden Qnellenverweise (S.

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229—241). Der Prophet ist für die Chronik das notwendige
Gegenstück zum israelitischen König, und so gibt
es wie dort eine Sukzession. Die Propheten waren aber
nicht nur die Künder des geschichtsmächtigen Gotteswortes
, sondern sie haben auch die Geschichte ihres
Volkes als das Wirkungsfeld eben dieses Gotteswortes
niedergeschrieben (vgl. 2 Chron 26,22 mit 2 Kön 15,6).
Der Vf. entwirft nun dieses Bild von den überlieferungs-
geschichtlichen Vorstellungen des Chronisten, wie es
sich in den Quellenverweisen dokumentiert: Am Anfang
stehen „einzelne Zeitberichte der prophetischen Annalisten
" (S. 238), wobei der Begriff „Midrasch" mit „Zeitgeschichtsstudie
, -aufzeichnung" (S. 236) wiedergegeben
wird. Aus diesem Material entstand ein synchronistisches
Königsbuch, auf das sich der Deuteronomist bezieht
und damit die Stellung eines Epitomators einnimmt
. Da neue Quellen nicht mehr zur Verfügung
standen, war es dem Chronisten vorbehalten, das deute-
ronomistischo Geschichtswerk auszulegen, wozvi auch
die Spezifizierung der Quellenverwoise zuzurechnen
sind.

Nachdom der Vf. seine Auffassung von der Chronik
als Auslegung auf vielfältige Weise dargelegt und untermauert
hat, zieht or zum Schluß dio geistes- und theologiegeschichtliche
Linie von der Chronik weiter zu dor
Literatur der spätnachexilischen Zeit, die „insgesamt
unter dem Glaubenssatz der erlöschenden oder erloschenen
Prophetie steht" und geprägt ist „von jener
Haltung gogenüber kanonischer Literatur, die in der
Chronik explizit zum Ausdruck kommt" (S. 242), wobei
dann auch „das Besondere, die Einmaligkeit der Formen
der Evangelien und der Apostelgeschichte, der einzigen
spezifischen Literaturformen des NTs, ins rochto Licht"
tritt (S. 243). Das Buch wird durch eine Vorbemerkung
(S. 5) eröffnet und durch „Abkürzungen" (S. 245 bis
249) und das eingangs erwähnte „Bibelstellenregister"
(S. 250—263) sowie ein „Namenregister" (S. 264—267)
abgeschlossen.

Halle /Saale Karl-Martin Beyse

Huppert, Lothar: Der leidende Gerechte und seine Feinde,

Eine Wortfelduntersuchung. Würzburg: Echter Vorlag
T1973]. X, 299 S. 8°. Kart. DM 48,—.

Der Vf. legt hier den zweiten, nämlich philologischen
Teil seiner im November 1970 von dor Theologischen
Fakultät der Universität Würzburg angenommenen
Habilitationsschrift vor. Wie der Untertitel besagt,
handelt es sich um eine der die Forschung fördernden
Wortfelduntersuchungen, im vorliegenden Falle des
Wortfeldes der „passio iusti".

Die Einleitung knüpft boi den Ausführungen des
ersten Teiles über Herkunft und Geschichte des Motivs
vom leidenden Gerechten an. Dem dort gebotenen
Längsschnitt wird als notwendige Überprüfung ein
Querschnitt in systematischer Ordnung an dio Seite
gestellt. Daß R. hier so verfährt, ist zweifellos richtig,
zumal er, soweit os gelingt, die jeweiligon traditionsge
schichtlichen Daten notiert. Die motivgeaohiohtliehe
Studie orfährt, wie sich herausstellt, durch diese stärker
quorschnittartig arbeitende Wortfelduntorsuchung in
wesentlichen Punkten Bestätigung und Ergänzung.

Es ist sicher hinsichtlich der Stoffglioderung des
Guten etwas zuviel getan, wenn die drei Seiten umfassende
Einleitung als erstes Kapitel und obendrein erster
Teil deklariert wird, die wenig mehr als fünf Seiten
langen abschließenden Erwägungen als sechstes Kapitel
und dritter Teil, zwischen denen als zweiter Teil (2. bis
5. Kap.) die also fast das gesamto Buch füllende Mate-

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 12