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Ausgabe:

1974

Spalte:

67-68

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Die Vorstellung von Zwei Reichen und Regimenten bis Luther 1974

Rezensent:

Mau, Rudolf

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Seite 1

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67

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

68

Duchrow, Ulrich, u. Heiner Hoffmann [Hrsg.] i Die Vorstellung
von Zwei Reichen und Regimenten bis Luther. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1972]. 115 S.
8° = Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte, hrsg.
v. G. Ruhbach unter Mitarb. v. G. A. Benrath, H. Scheible
u. K.-V. Selge, 17. Kart. DM 19,80.

Das Anliegen der Herausgeber des bisher umfangreichsten
Heftes der „Texte", bestimmten Fehldeutungen der
Zweireichelehre sowie der Vorstellung, es handle sich bei
ihr um ein konfessionelles Sondergut Luthers, entgegenzutreten
ist zu begrüßen. Ein sachgemäßes historisches und
theologisches Verständnis der lutherschen Zweireichelehre
ist schwerlich ohne Beachtung des traditionsgeschichtlichen
Hintergrundes zu gewinnen.

Die ausgewählten Texte werden in drei in Luthers Zweireichelehre
verbundenen, aber historisch und sachlich zu unterscheidenden
Gedankenkomplexen (jeweils in chronologischer
Folge) dargeboten: I. Die zwei Menschengruppen unter
der Herrschaft Gottes und unter der Herrschaft des Bösen
(„zwei Reiche"), S. 19-50; II. Gottes direktes neuschaffendes
Handeln (geistliches Regiment) im Verhältnis der Menschen
zu ihm selbst und der Dienst der Kirche, S. 51-56; III. Gottes
indirektes Handeln (weltliches Regiment) im Verhältnis
der Menschen untereinander und die socio-politischen Institutionen
, S. 57-115. Diese Gliederung ist für den Einstieg
in die Problemgeschichte zweifellos hilfreich. Zahlreiche Zwischentitel
, die freilich z. T. einfacher formuliert sein sollten
(z. B. S. 97 zu Luther, Von weltlicher Obrigkeit: „Der Friedensschutz
gegen die Folgen des Bösen im zivilen Zusammenleben
der Menschen als traditionelle Aufgabe der weltlichen
Gewalt"), sowie Anmerkungen dienen der sachlichen
und historischen Einordnung der einzelnen Stücke bzw.
Textgruppen.

Der zeitliche Rahmen der dargebotenen Texte reicht von
Gen 1,26-28 (unter der verwunderlichen Überschrift „Der
Jahwist(!) in der .Salomonischen Aufklärung'...") über
Apokalyptik und hellenistische Tradition, Jesus und Paulus,
Augustin und das Mittelalter bis Luther. Augustin (bes. „De
civitate dei") und Luther (auch frühe Exegetica) liefern je
etwa ein Drittel der Texte. Der Abdruck einer Übersetzung
nach jedem fremdsprachigen Text ist angesichts der schwindenden
Sprachkenntnisse zu begrüßen. Die Herkunft der
Übersetzungen muß aber deutlich erkennbar sein: Daß die
Übersetzungen zu „De civitate dei" insgesamt aus der „Bibliothek
der Kirchenväter" übernommen sind, ist aus dem Hinweis
S. 36 nicht zu entnehmen (die Hrsg. ändern einzelne
Ausdrücke und Wendungen, insbes. „Herrschaftsverband"
für „Staat", passim). Die Gliederung des deutschen Textes
sollte mit der des Originaltextes übereinstimmen (S. 31ff
fehlen die Nummern der Abschnitte und Absätze des lateinischen
Textes S. 29ff).

Leider sind noch eine Reihe weiterer editorischer Mängel
zu nennen. Die Texte werden ohne erkennbaren Grund teils
mit, teils ohne Anführungszeichen wiedergegeben; Quellenbezeichnungen
sind nicht einheitlich (S. 71 Epistula; S. 74
EP.); Hinweise auf benutzte Editionen sind unvollständig
(zu MPL werden S. 82 u. 86 zwar Band und Kolumne, S. 26,
27, 31, 52 u. 84 jedoch nur der Band angegeben; zu CSEL
fehlt teilweise jede Angabe). Dazu kommt eine Reihe von
Druckfehlern. S. 8, Zeile 3 muß es W. Herrmann statt W.
Hermann heißen; S. 11,11 treten st. tritt; S. 26,9 exuere st.
exsuere; S. 26, 4 v. u. promptu st. promtu; S. 27, 6 v. u. ut
opinor st. utopinor; S. 30,13 qui st. qa; S. 30,17 suo genere
st. sougenere; S. 31,20 perficiatur st. persiciatur; S. 35,12
homines st. hommes; S. 36, 2 v. u. enim, qui st. eninqui;
S. 35, 36 u. 38 (Überschriften civitate st. cicitate; S. 39,1
pertinens st. pertineus; S. 39,15 regni st. regui; S. 43, 13 v. u.
subiacebit st. subiucebit; S. 101, 2 v. u. servo st. serve. Das
AbkürzungsVerzeichnis S. 17 kann fehlen, da außer CuW
(= U. Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung, s.

schon S. 7!) nichts erklärt, sondern lediglich für MPL auf
RGG:I und für CSEL unnötigerweise auf das „Buch" (offenbar
CuW) verwiesen wird.

So sehr es zu begrüßen ist, daß wichtige Texte zur Zweireichelehre
in einer für Übungszwecke geeigneten Ausgabe
vorliegen, so bedauerlich sind gerade unter diesem Gesichtspunkt
die genannten Mängel. Es ist zu hoffen, daß künftige
Veröffentlichungen der verdienstvollen Reihe wieder das
zu erwartende editorische Niveau haben werden.

Berlin Rudolf Mau

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Wilken, Waldemar: Ein Betrieb namens Kirche. Menschenführung
in Kirche und Gemeinde. München: Claudius
1973. 167 S. 8°. Kart. DM 12,80.

Wilkens Veröffentlichungen zeichnen sich durch Praxisnähe
, Gespür für vernachlässigte Aufgaben der Kirche und
nicht zuletzt durch einen lebendigen Stil aus. Das gilt auch
für dieses Buch, dessen Thema in der Praxis so wichtig ist,
daß man kaum begreifen kann, warum es bisher in der
Praktischen Theologie so wenig Beachtung fand. Die Geringschätzung
empirischer und organisatorischer Faktoren
seitens der akademischen Theologie vergangener Jahrzehnte
, wahrscheinlich aber auch die verbreiteten Ressentiments
gegenüber Vorgesetzten und Leitungsorganen in der
Kirche sind Gründe dafür, daß Wilken bei der Suche nach
einer Theorie kirchlicher Leitungstätigkeit „Fehlanzeige auf
der ganzen Linie" (7) erstatten mußte. Ganz berechtigt ist
die Fehlanzeige freilich nicht (Y. Spiegel, K. F. Daiber u. a.).

Wie der Titel zeigt, geht Wilken davon aus, daß die Kirche
in verschiedener Hinsicht einem Betrieb gleicht. Betrachtet
man diese Ähnlichkeit wertneutral - was in der Kirche
nicht selbstverständlich, aber trotzdem richtig ist -, so legt
es sich nahe, Erkenntnisse der Organisations- und Leitungswissenschaften
auf ihre Bedeutung für die kirchliche Leitungstätigkeit
zu befragen. Ein personalintensiver Betrieb
wie die Kirche kann auf die Erfahrungen der Menschenführung
in anderen Betrieben nicht verzichten, zumal jeder Eingeweihte
weiß, daß das kirchliche Betriebsklima oft gar
nicht vorbildlich ist. Entsprechende Beispiele werden anschaulich
geschildert.

Helfende Impulse sucht Wilken beim kapitalistischen Management
. Er übernimmt es keineswegs unkritisch, wie z. B.
S. 117 zeigt, wo bestimmte Methoden dieses Management
als „letzten Endes menschenfeindlich" beurteilt werden. Es
geht also nicht um Identifikation mit bestimmten von einer
Gesellschaftsordnung abhängigen Methoden und kritiklose
Übernahme in den kirchlichen Leitungsstil. Der Vf. zeigt die
Bereitschaft, bei anderen zu lernen, ohne auf das eigene
Urteil zu verzichten, das er recht temperamentvoll und
manchmal auch anfechtbar vorträgt. So erklärt er z. B. S. 33,
er halte von Geist und Erfolg des Kollektivs „nicht allzuviel
". Es wird aber nicht deutlich, was er unter einem Kollektiv
versteht und wie sich ein solches zum demokratischen
Führungsstil - für den Wilken eintritt - verhält oder verhalten
kann.

Die positiven Konsequenzen der Leitungstheorie sind im
letzten Kapitel zusammengefaßt. Besonders wichtig erscheinen
mir die Hinweise auf die Zusammengehörigkeit von
Delegation und Kontrolle, die Frage nach der Effektivität
der Arbeit sowie die Erwägungen zur Planung und Bildung
von Expertenstäben. Wilken hält nichts vom kirchlichen Lamento
über Leistungsdruck. Er ist so frei, auch in der Kirche
zu fragen, „was der Stelleninhaber innerhalb seiner acht
Stunden Dienstzeit tut und was dabei herauskommt" (101).
Natürlich sieht er die damit verbundenen Probleme, und hin-