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Ausgabe:

1974

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 11

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und Bilder sind keine Materialsammlung, die eingesetzt
werden soll zur „Veranschaulichung", „Konkretisierung"
oder „Anwendung" von biblischen Wahrheiten im Unterricht
. Die Herausgeber haben an ein Lese buch gedacht
mit Texten, die darauf aus sind, den Leser da anzusprechen
, wo er seine eigenen Erfahrungen macht oder gemacht
hat, um ihm so die innere Dimension zu eröffnen
für das, „was ihn unbedingt angeht" und was ihm die
eigene Ich-Findung erleichtert. Sie sprechen ihn dort an,
wo er wirklich betroffen ist: in Freude und Angst, im
Hoffen und Resignieren, im Streit und in der Liebe, in
Schuld und Versagen und wollen ihm den Weg weisen zu
seinen eigenen Möglichkeiten. Indem der Leser diese
eigenen Möglichkeiten entdeckt, weil er sich in den Menschen
, von denen er liest, selbst erkennt, wird ihm geholfen
, die religiöse Dimension des Lebens freizulegen, so
daß er für den menschgewordenen Gott ansprechbar ist.
Das hat zur Folge, daß sich der Leser öffnen kann für
Veränderungen im eigenen Leben und in dieser Welt.

Mensch, Welt, Mitmensch, Gesellschaft und Gott sind
die fünf Themenkreise des Buches, eine anthropologisch
orientierte Textauswahl, gedacht als Wegbereiter des
Religiösen und als Wegweiser zum Christlichen. Brauchbar
sind den Herausgebern Texte, die den Menschen so
beschreiben, wie er ist, und wo das Christliche im Menschlichen
aufleuchtet, also Texte, die eigene Existenz erhellen
, indem sie zu Modellgeschichten gemachter Erfahrungen
werden. Bevorzugt sind Texte von nichtchristlichen
Autoren (z. B. Brecht), die diesem Anspruch oft besser gerecht
werden als das, was „christliche Dichtung" anzubieten
vermag und die den traditionellen Religionsbüchern

leicht einen Hauch von Peinlichkeit verleihen. Kritisch
muß allerdings gefragt werden, wieweit diese z. T. anspruchsvollen
Texte Kindern wirklich schon zugänglich
sind. Hier werden wohl erst Erfnhrungswerte gesammelt
werden müssen.

Insgesamt weiß sich dieses Buch einer Unterrichtskonzeption
verpflichtet, die „die Fragen des Menschen nach
dem Glück des Lebens" thematisiert, die zur Selbstfln-
dung des Schülers beitragen und zu kritischem Verhalten
und kommunikativem Leben befähigen will. Es ist eine
Absage an einen Religionsunterricht, wie er in der BRD
nach 1945 konzipiert wurde, und der, wie sich inzwischen
herausgestellt hat, einer grundlegenden Revision bedarf,
wenn er sich nicht weiterhin nachsagen lassen will, daß
er zu einer gefahrvollen Konvergenz von theologischen
und gesellschaftlieh-restaurativen Tendenzen beiträgt.
Es wird freilich noch einige Zeit brauchen, bis eine solche
Konzeption didaktisdi und methodisch ausgereift und
für den Religionslehrer realisierbar ist. „Das Menschenhaus
" ist ein ermutigender Anfang und eine Fundgrube
für die, die auf diesem Weg mitzugehen bereit sind in
dem Bemühen, den ihnen anvertrauten Kindern ihre
Welt erkennen zu helfen und für die Dimension des
Glaubens zu eröffnen.
Jena Eckhard Schade

Frieling, Reinhard: Emanzipation und Konfessionalität
im Religionsunterricht (MdKI 24. 1973 S. 106-113).

Richards, Lawrence O.: You, the Parent. Chicago, III.:
Moody Press 1974. 121 S. fi° -« EffectiveTeaching Series.
$ 1.95.

REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN IN MASCHINENSCHRIFT

Schulze, W.: Die Bedeutung der Frage nach dem historischen
Jesus in der Bultmann-Schule für den kirchlichen
Unterricht. Diss. Berlin 1972. XIII, 278 S.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Teil 1 beinhaltet
ein kritisches Referat der Diskussion um Jesus in der
Bultmann-Schule seit 1954 bis zum Abschluß 1964/65:
Teil 2 zieht die Folgerungen aus Teil 1 und fragt nach der
Gestaltung des kirchlichen Unterrichts unter Berücksichtigung
der Erkenntnisse der neueren Theologie und der
Ergebnisse der sog. Allgemeinen Didaktik. Teil 1 wird
resümiert in Thesen auf S. 80—86; das Gesamtergebnis
ist kurz zusammengefaßt auf S. 176—178.

S. 179-198 finden sich drei Exkurse zum 1. Teil; S. 199
bis 243 die Anmerkungen zu Teil 1 und 2; S. 241-277 ein
umfangreiches Literaturverzeichnis zu Teil 1 und 2.
1. Die Frage nach Jesus ist eine typische Frage der liberalen
Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts.
Die Forscher hatten versucht, Jesus aus den Fesseln
der kirchlichen Dogmatik und des neutestamentlichen
Mythos zu befreien. Sie wollten den Menschen
Jesus finden, der als sittliches Neubild gelten könnte.

1.1 Nachdem Rudolf Bultmann infolge der Erkenntnis
der Evangelien als kerygmatischer Texte und im
Festhalten an der reformatorischen Grundeinsicht
„Fides ex auditu ' generell die Rückfrage hinter das
Kerygma verboten hatte, fragten seine Schüler trotz
des strikten Verbotes erneut nach Jesus. Sie stellten
diese Frage, weil sie der Meinung sind, daß unser
Glaube eine Vorgeschichte hat, die theologisch relevant
ist.

1.2 Käsemann, Fuchs, Ebeling und Braun verfolgen mit
der „neuen" Frage nach Jesus eine andere Absicht als
die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts: sie wollen
nämlich den Zusammenhang zwischen urchristlicher
Christusbotschaft und Verkündigung Jesu nachweisen
.

Indem besonders Fuchs die Kategorie des Verhaltens
Jesu hinzunimmt, stellt sich für den Schülerkreis
Bultmanns die Frage: Ist das Kerygma bei der
„Sache" Jesu geblieben, stimmt beides in der Intention
überein?

In der Antwort auf die Frage wird deutlich, daß
sachliche Ubereinstimmung auch historische Kontinuität
voraussetzt. Diese kann Käsemann jedoch nur
im Zeichen der Diskontinuität konstatieren: die vorösterliche
Geschichte des christlichen Glaubens ist in
eins zu sehen mit dem Osterbekenntnis der ersten Gemeinde
nur so, daß wir dabei Karfreitag als Bruch
mitdenken.

1.3 Urchristliches Christuskerygma und Verkündigung
Jesu sind als dialektische Einheit zu sehen. Fuchs: „Interpretierten
wir früher den historischen Jesus mit
Hilfe des urchristlichen Kerygmas, so interpretieren
wir heute dieses Kerygma mit Hilfe des historischen
Jesus — beide Richtungen der Interpretation ergänzen
sich."

Wenn wir die Bedeutung Jesu für das Werden des
urchristlichen Christusglaubens ausdrücken wollen, so
müssen wir sagen: die Verkündigung Jesu — sein Reden
in Vollmacht an Gottes Stelle — und sein Verhalten
— als Kommentar zu seiner Verkündigung — implizieren
eine Christologie. Darin sind sich Bultmnnn
und seine Schüler einig.

Die Differenz entsteht an der Stelle, wo die Schüler
meinen, daß alle chrlstologischen Hoheitstitel eindeutig
auf Jesus zurückverweisen und nur von ihm her
gefüllt werden können. Jesus ist (nach Fuchs und Ebeling
) das Kriterium der Christologie. In der Feststellung
dieses Sachverhaltes liegt eine eindeutige Aufwertung
der Bedeutung des irdischen Jesus für unseren
Glauben. Der „Zeuge des Glaubens" ist nach
Ostern zum immerwährenden „Grund des Glaubens"