Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1974

Spalte:

870-872

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Das Menschenhaus 1974

Rezensent:

Schack, Eckhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

809

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 11

870

sprechende, sorgfältig erprobte Modelle nicht schuldig
bleibt.

Die These von der Kirchengeschichte als der ..Geschichte
der Auslegung der Heiligen Schrift" (1947) hatte - sicher
von Ebeling unbeabsichtigt — zu einer Verengung historischen
Denkens und einer Reduzierung der Stoffe im Unterricht
auf wenige ekklesiologisch bedeutsame Themen
und Personen geführt. Auch daß Stallmann die Methoden
und Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese als
..Hermeneutik des Daseins" in die Disziplin einbrachte
und H. Bornkamm ,,die Geschichte des Evangeliums und
seiner Wirkungen in der Welt" als Gegenstand der Kir-
chengeschichtc bezeichnete, brachte nur geringfügige Modifikationen
. Tatsächlich „reicht diese hermeneutische
Fragestellung zur Analyse der sogenannten nichttheologischen
Faktoren und Interessen (ökonomische Verhältnisse
, soziale Schichtung, politische Strukturen), die in
die Geschichte der Auslegung hineingewirkt haben, nicht
aus" (11).

Demgegenüber geht B. von der Position Kantzenbachs
aus, daß Theologie auch eine gesellschaftliche Dimension
hat. Wenn die gesellschaftliche Dimension des Christentums
nicht erst dort sichtbar wird, wo ausdrücklich von
gesellschaftlichen Fragen geredet wird, dann kommt der
Erfahrung dieser Dimension in ihrer geschichtlichen Konkretisierung
große Bedeutung zu. „Heute begreifen wir.
daß für die Bestimmung der Ziele und die Auswahl der
Inhalte nicht nur die Fachwissenschaft maßgeblich ist,
sondern daß Ziele und Inhalte den Bedürfnissen und Interessen
der Heranwachsenden und den gesellschaftlichen
Erfordernissen und Konflikten entsprechen müssen" (7).

Daraus ergibt sich das Hauptproblem der vorliegenden
Veröffentlichung: „Wie läßt sich erreichen, daß die durch
dli kirchengeschichtliche Fragestellung gewonnenen Einsichten
für die Gegenwart erhellend wirken?" (1).

Wegweisend ist die theologische Grundlegung: ..Kirchengeschichte
ist die Geschichte des durch Jesus von Na-
zareth autorisierten Evangeliums der Befreiungen und
seiner Wirkungen in der (neuzeitlichen) Welt des Christentums
" (12). Auch O. Diehn nimmt diese Position in
seinem kritischen Beitrag auf und präzisiert sie noch einmal
: „Ostern symbolisiert die Befreiung zu authentischem
, angenommenen Leben trotz aller widersprechenden
Erfahrungen. Und die in dieser Tradition aufgehobene
, uneingelöste Tendenz zur Befreiung aller und zur
Humanisierung aller Verhältnisse muß auf den neuzeitlichen
Emanzipationsprozeß kritisch bezogen werden"
(98). In diesem Prozeß geht es darum, alle Strukturen zu
«indem, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes
, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist".
Diehn nimmt hier (98) ein Zitat von Biehl (12) auf und
betont die notwendige Offenheit dieser Ausgangsposition
für weitere Fragemöglichkeiten und Zielvorstellungen.
c,ie neben den Sozialwissenschaften vor allem aus der
theologischen Reflexion und dem Bereich des Glaubens
"'Wachsen.

Erfrischend wirken gegenüber bisherigen Globalzielen
•UCh die Funktionsziele hinsichtlich der denkerischen
Mitarbeit der Schüler, die befähigt werden sollen, „ein
eigenes Selbstverständnis zu finden, im Miteinanderhan-
deln begründete Entscheidungen zu fällen" (14). „Die
Schüler sollen erkennen, daß religiöse, soziale und politische
Vorstellungen und Einstellungen nicht außerhalb
der ökonomischen Ordnung und des Systems der gesellschaftlichen
Beziehungen und Machtverhältnisse zu vergehen
sind; ... daß der Spielraum religiös oder ethisch
•Motivierten Handelns in jeder Situation durch reale sozialökonomische
Voraussetzungen bestimmt wird ... Die
^hüler sollen die zwangsläufig politische Existenz der
Kirehe durchschauen" (17/18).

Bei dieser Zielsetzung werden vier Entwürfe iür die
Unterweisung älterer Jugendlicher angeboten, nachdem

begründet worden war, warum „dem Exemplarischen
das Repräsentative als für den Raum der Geschichte sachgemäße
didaktische Kategorie" hinzugefügt werden muß
(19). Die Modelle zeichnen sich dadurch aus, daß sie eine
personalisierende Einengung der Probleme durch Konzentration
auf Persönlichkeiten wie Luther, Münzer oder
Wichern vermeiden, sondern von vornherein eine ereig-
nisgeschichtliche Darstellung mit einer strukturgeschichtlichen
Orientierung verbinden. Auf diesem Hintergrund
können dann immer wieder auch heilsgeschichtliche
Aspekte zum Tragen kommen.

Als besonders zweckmäßig hat es sich erwiesen, die
Themenbereiche in 12—14 Unterrichtseinheiten als Kursunterricht
zu planen und so die Möglichkeit zu schaffen,
die Kurse als Projekte mit klarer Lernzielorientierung,
sinnvollen Teilzielen und einer reichen Auswahl an Möglichkeiten
der Lernorganisation anzubieten.

Entwurf 1 von P. Biehl: Ein kirchengeschichtlicher
Kurs zur sozialen Frage im 19. Jahrhundert (24-43).

Entwurf 2 von B. W. Happel: Thomas Müntzer und
Martin Luther und ihre Stellung zum Bauernkrieg 152 ")
— Ein exemplarisches Beispiel für reformatorische Glaubensentscheidung
(44—58).

Entwurf 3 von B. Gabriel: Meister Eckhart — Ein Unterrichtsmodell
zur spätmittelalterlichen Kirchenge-
schichte (59-71).

Entwurf 4 von H. J. Schwager: Utopie — die Christiano-
polis des Joh. Valentin Andreae (80—96).

Die Textauswahl und Materialzusammenstellung kann
insgesamt als vorzüglich bezeichnet werden. Die Lernziele
, die im Blick auf geschichtliche und theologische Erkenntnisse
präzisiert werden, der lerntheoretisch geschickte
Aufbau von lernintensiven Widerspruchskonstellationen
(26/27, 64, 89 u. ö.), die Vermittlung von Arbeits
- und Denkimpulsen sowie die Vorschläge für den
Unterrichtsablauf lassen den Wunsch aufkommen, es
möchten Konzeptionen und Entwürfe von derartiger
Qualität auch für andere komplizierte Stoffgebiete und
l'ioblemkreise der Kirchengeschichte baldmöglichst angeboten
werden.

Eine kritische Einschränkung muß allerdings gemacht
werden: Schüler werden diese Entwürfe erst dann so
zielstrebig durcharbeiten können, wie die Vf. es vorschlagen
, wenn wenigstens eine gewisse Anzahl von Religionspädagogen
und Theologen es in den kirchengeschichtlichen
und katechetischen Seminaren während
ihrer Ausbildung gelernt haben, die anstehenden Themen
so theologisch und pädagogisch verantwortet durchzuarbeiten
und dann auch didaktisch so überzeugend zu
konzipieren, wie dies in den vorliegenden Entwürfen geschehen
ist.

Greifswald Günther Kehnschcrper

Halbfas, Hubertus, u. Ursula [Hrsg.): Das Menschenhaus.

Ein Lesebuch für den Religionsunterricht. Zürich: Benziger
Verlag; Stuttgart: Calwer Verlag; Düsseldorf:-
Patmos-Verlag (1972). 255 S. 8°. Kart. DM 9,-.
Mit diesem ..neuen Religionsbuch" macht H. deutlich,
daß er weiter an seinem katechetischen Entwurf arbeitet.
Der in der Fundamentalkatechetik umrissene Neuansatz
wird konkretisiert, das dort in Aussicht gestellte und in
seinen Umrissen skizzierte Religionsbuch liegt nun vor.
Ein erster Entwurf, ein Angebot, das sich sehen lassen
kann, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen lesenswert
, ein Buch, das zum Gebrauch, aber auch zur Diskussion
anregen will.

Dieses Lesebuch will ein R e 1 i g i o n s buch sein, will
zeigen, „wie der Mensch wahrnimmt und erkennt, urteilt
, entscheidet, fragt und denkt, glaubt, hofft und liebt"
(S. 228); es will helfen, „die religiöse Dimension der
Wirklichkeit" zu entdecken. Die ausgewählten Geschichten
. Erzählungen. Gedichte, Fabeln, Sprüche. Bibeltexte