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Ausgabe:

1974

Spalte:

865-867

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Titel/Untertitel:

Psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte 1974

Rezensent:

Winkler, Klaus

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Theologische Liteiaturzeltung B9. Jahrgang 1974 Nr. 11

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liehe, fast gleichlautende Belichte. Der Giftpilz wird von
amerikanischen Indianern zur Erzeugung von Rauschzuständen
gegessen, sogar als sakramentale Speise in einer
sektenhaften Kultgemeinde. In Buchveröffentlichungen
genügt noch immer der Verweis; die Wiederholungen
sind unfruchtbar. Uber Huxley und Zaehner werden uns
zweimal die gleichen Ausführungen geboten. Wozu?
Rostock Gottfried Holtz

Spiegel, Yorick [Hrsg.]: Psychoanalytische Interpretationen
biblischer Texte. München: Kaiser [1972]. 274 S.

gr. 8°. DM 35,-.

Die Herausgabe eines Sammelbandes verschiedenster
psychoanalytischer Schriften zu biblischem Quellenmaterial
wirkt faszinierend, aber zugleich problematisch. Deshalb
ist es nicht verwunderlich, daß der Herausgeber zunächst
expressiv verbis um Rücksicht und Verständnis
für die wissenschaftlich exegetisch nicht geschulten
Psychoanalytiker bittet, mit dem Widerstand des theologischen
Lesers rechnet und letzteren auffordert, nicht „im
Gefühl des Ärgers über so viel Unwissenschaftlichkeit"
steckenzubleiben, sondern lieber „über die Gründe seines
Unbehagens" zu reflektieren (S. 28). Y. S p i e g e 1 s einführende
Auseinandersetzung mit der schwierigen Materie
(..Psychoanalyse und analytische Psychologie — Instrumente
der Exegese?") zeigt nicht nur einen souverän
zuordnenden Umgang mit der psychoanalytischen Spe-
zialliteratur, sondern auch ein beachtliches Gespür für
die in diesem Zusammenhang heute wesentliche Fragestellung
. Einen besonderen Hinweis verdient seine mit
erstaunlicher Akribie zusammengestellte Bibliographie
im Anhang. Ob der vorliegende Sammelband allerdings
so wie beabsichtigt dazu angetan ist. einen ganz neuen,
lebendigeren Zugang zu biblischen Aussagen und christlichen
Lehrformeln zu ermöglichen, bleibt als Frage offen
.

Dem Leser werden Beiträge von 20 Autoren vorgelegt.
Die „Urväter" der Psychoanalyse bzw. der sog. analytischen
Psychologie, S. Freud und C. G. J u n g , sind mit
charakteristischen Texten zu ihrer Religionsdeutung aufgeführt
. Die gegenwärtige Szene wird bei uns durch Arbeiten
von J. Scharfenberg und H. Harsch repräsentiert
. Ansonsten versucht der Herausgeber ein
Doppeltes: Einmal möchte er ältere Arbeiten namhafter
freudiancr zum Thema Religion wieder zugänglich machen
, wie sie in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg und
in den zwanziger Jahren (vor allem in der psychoanalytischen
Fachzeitschrift „Imago") erschienen sind. — Zum
anderen soll der deutsche Leser mit bisher nicht übersetzter
Literatur aus Amerika und England bekannt gewacht
werden. Die entsprechenden Zeitschriftenartikel
bzw. Ausschnitte aus Monographien stammen hauptsächlich
aus den fünfziger und sechziger Jahren. Geordnet
forden die sehr verschieden geprägten Arbeiten unter
s<'chs Themenkreise, deren Uberschriften gleichzeitig auf
die Schwerpunkte der nach wie vor anstehenden Auseinandersetzung
zwischen Theologie und Psychoanalyse
hinweisen.

Dem ersten Kapitel („Psychoanalytische Hermeneutik
") kommt eine Schlüsselbedeutung im Hinblick auf
das Verständnis der folgenden Texte zu. Eine Arbeit des
frühen Freudschülers Th. R e i k macht einleitend sehr
Plastisch darauf aufmerksam, wie stark und in welcher
Weise sich beim Exegeten unbewußte Faktoren auf die
Wissenschaftliche Arbeit auswirken können. - J. Scharfenbergs
Abhandlung („Verstehen und Verdrängung')
Seht in diesem Buch am theoriebewußtesten mit der Zu-
0,dnung von theologischer und psychoanalytischer Aussage
um. Das geschieht, indem der Vf. Freuds These von
der „Wiederkehr des Verdrängten" (s. u.) im Geschichts-
pl'ozeß auf ein Stück der Jüngeren Theologiegeschichte

anwendet und von daher die augenblickliche theologische
und religiöse Situation deutet. -H. Harsch („Psychologische
Interpretation biblischer Texte?'-) arbeitet an
der Perikope von der Versuchung Jesu beispielhaft deren
archetypischen Strukturen heraus und möchte dabei aufzeigen
, daß die Anwendung psychologischer Kategorien
einen biblischen Text gerade nicht vergewaltigt, sondern
funktionale Verstehenshilfe leistet. — Eher unbefriedigt
läßt dagegen die fast erbaulich abschließende Studie des
Engländers D. C o x über das Verhältnis von C. G. Jungs
I(i6ividuationsbegriff zu dem der Rechtfertigung bei Paulus
.

Die spezifische Funktion und Bedeutung des Symbols
in der Psychoanalyse ist im zweiten Kapitel („Sexual-
und Traumsymbolik") verarbeitet. In drei Abhandlungen
werden die Simsonsage (durch L. L e v y), das Hohelied
(durch E. König als dem einzigen theologischen
Fachexegeten im Buch) und die Träume des Pharao
(durch E. Lorenz) einer entsprechenden Auslegung
unterzogen. Hier dürfte wohl bei den meisten theologischen
Lesern eher das Interesse an einem besonderen
Aspekt überwiegen, als daß grundsätzliche Auseinandersetzungen
provoziert würden. — In ähnlicher Weise wre-
nig aufregend, sondern eher vervollständigend, wirkt
auch das kurze sechste Kapitel („Biblische Erzählung und
Ethnologie"), in dem G. Röheim den „Durchzug durch
das Rote Meer" in einer bereits 1923 in Amerika erschienenen
Arbeit mit afrikanischen Varianten des biblischen
Motivs in Verbindung bringt.

Sehr viel nachdenklicher können dann aber das dritte
und vierte Kapitel machen („Der Vater, der Sohn und die
Söhne" — „Die Suche nach der Mutter"). Von Autoren
wie Th. Reik, K. Abraham. E. Fromm, E. Jones
u. a. wird bei der Deutung religiöser Phänomene
konsequent nach der psychologischen Wahrheit „hinter"
der zentralen biblischen Aussage gefragt. Es wird „entdeckt
" und auf psychoanalytische Grunderkenntnisse
wie Ödipuskomplex, typische Schuldgefühle und Straf be-
dürfnisse, Parallelität zwischen Religiosität und Zwangsneurose
usw. bezogen. — C. G. Jungs Ausführungen
..Uber die psychologische Bedeutung des Opfers" zeigen
ein paralleles Vorgehen. — Hier wird der theologische
Leser herausgefordert und ist seinerseits nach einem
Zuordnungsmodus gefragt, der psychologische und theologische
Aussagen nicht nur alternativ gegenüberstellt.

Das fünfte Kapitel („Verdrängung und Projektion")
zieht diese Linie noch weiter aus. S. Freud selbst ist
unter dem Titel „Die Wiederkehr des Verdrängten" mit
seinen wesentlichen Ausführungen zur Religion vertreten
. — Neben zwei weiteren Arbeiten zu alttestament-
lichen Themen (P. L a u g h 1 i n. J. A. A r 1 o w) verdient
der Beitrag S. Tarachows: „Judas, der geliebte Henker
" besonderes Interesse. Hier wird bei konsequenter
Anwendung der psychoanalytischen Theorie das Gegensatzpaar
Jesus—Judas als Repräsentant für typische innerpsychische
Ambivalenzen gesehen, öffnet man sich
diesen ungewohnten Gedankengängen, so liegt greifbar
nahe, den Umgang der Christen mit Aggression bzw. mit
den entsprechenden Verdrängungen und Projektionen
nicht mehr einfach als selbstverständlich aufzufassen.

Wie schon gesagt: Es fragt sich, ob solch ein vielschichtiger
Sammelband seinen beabsichtigten Zweck erreicht
oder lediglich die weitverbreiteten Fremdheitsgefühle
der Theologen gegenüber der Psychoanalyse verstärkt.
Diese Frage sollte ihrerseits bei der Lektüre weder verdrängt
noch vorschnell und pauschal beantwortet, sondern
möglichst lange bewußt gehalten werden. Dabei
trägt der theologische Leser wahrscheinlich am meisten
Gewinn davon, wenn er den Psychoanalytikern nicht
unterstellt, jede theologische Sachkritik zwangsläufig als
persönlichkeitsbedingten „Widerstand" auslegen zu müssen
. Vielleicht kann er sich unter dieser Voraussetzung