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Ausgabe:

1974

Spalte:

856-858

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Evangelische Predigtmeditationen 1974

Rezensent:

Schnell, Uwe

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855

Theologische Ltteraturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 11

BN

dierter Kultur und Zivilisation. Freilich, gerade als Menschen
stehen wir, zur Entscheidung gefordert, der Tradition
gegenüber, wobei wir weder dem Traditiona-
lismus verfallen noch uns der Täuschung hingeben sollten
, wir könnten an einem Nullpunkt voraussetzungslos
neu beginnen. Theologisch: Wir haben Christus nur vermittels
der Uberlieferung. Vergangenes kann nur durch
Tradition zur Gegenwart werden, wobei es freilich „gewandelt
" wird, so daß es „im Kontext der heutigen Welt
und ihrer Vcrstehensmöglichkeiten angeeignet werden
kann" (GO). Dem uns (im doppelten Sinne des Wortes)
„überlieferten" Christus werden wir selbst im Ergehen
des Evangeliums „überliefert" (63). — So wird auch das
Apostolische Glaubensbekenntnis (93ff.) als Tradition
verstanden, die uns aber nicht^an Formeln, sondern allein
an Christus selbst binden will (95), an den Christus, der
allein Grund und Ur-Sache des Glaubens sein kann (97).
Die Bekenntnisaussagen wollen aus ihrer Entstehungs-
situation verstanden sein. An zwei oft kritisierten Aussagen
des Credo — Jungfrauengeburt und Hadesfahrt —
wird gezeigt, wie die Bekenntnisaussagen auf das hin zu
befragen sind, was sie (in der Denk- und Aussageweise
ihrer Zeit sprechend) eigentlich meinen (101 ff.). Wohl
könnte es bei uns zu einem neuen Bekenntnis kommen;
dies müßte dann freilich „Sache der Kirche", nicht aber
bloß Sache einzelner Gemeinden oder gar einzelner Christen
sein (98).

Um Fragen der Wissenschaft und des Weltbildes gehl
es in Beiträgen über das Thema „Glauben und Wissen"
(119ff.) und „Naturwissenschaftlich-technisches Weltbild
und christlicher Gottesglaube — heute". In der Spur von
Karl Heim werden — auf die eine Wirklichkeit der Welt
bezogen — Sachurteile und Vertrauensurteile voneinander
unterschieden und einander zugeordnet. (Ob dies das
letzte Wort zur Sache sein kann, möge gefragt sein.) —
Um Fragen der Ethik und Anthropologie geht es in dem
Aufsatz über „Das ,Böse' im Menschen — .Erbgut' oder
.eigene Tat'?', in dem über „Sexualität und ,Norm' —
heute" und — grundlegend — in der Abhandlung „Die Infragestellung
des herkömmlichen Ethos und die Neubesinnung
des Glaubens auf die .Nachfolge Christi'" (129 IT.,
141 ff., 183ft). Geschichtliches Verständnis des Ethischen
läßt das Wahrheitsmoment der Situationsethik erkennen;
aber die Gefahr, daß der Mensch sich selbst verfehlen
und verderben kann (148), läßt nach dem Richtpunkt fragen
, der in der Liebe Gottes zu sehen ist (149), die als das
„Letzte" (155) die „Hinwendung zum Du hin" (154) bewirkt
. Dies führt auf den Begriff der „Nachfolge" in der
..totalen diakonia Jesu" (191), die „in der Synthese von
Gehorsam und Situation" (192) gelebt wird. — Zwei kirchengeschichtliche
Beiträge aus aktuellem Anlaß (65 ff..
77 ff.) führen zielstrebig auf die im Geschehen von einst
anschaubar werdenden Gegenwartsprobleme.

„Ausgewählte Aspekte der jüngst vergangenen (und
der gegenwärtigen) Theologie" (35 ff.) kann man als eine
Art Vorspann für die Vorschau auf eine „Theologie der
Synthese" (171) ansehen, zu der Vf. sich bekennt. Eine
solche Theologie will Einseitigkeiten vermeiden, indem
sie geistige Phänomene, insbesondere theologische Konzeptionen
, auf ihr jeweiliges Wahrheitsmoment abhört.
Sic will damit Ernst machen, daß alle Wahrheitset kenntnis
„perspektivisch" ist (178), daß darum Spannungen
fruchtbar gemacht werden müssen, wenn theologisches
Denken und kirchliche Verkündigung die Lebendigkeit
und Stoßkraft gewinnen sollen, die sie für die Aufgaben
von morgen und übermorgen brauchen (180). Um der
Sache willen, meint Vf., werden wir künftig „konservative
" und „moderne" Gruppen brauchen, denn die Stunde
der „synthetischen Theologie" habe begonnen. Wollen
wir beisammenbleiben, so müssen wir wohl zu einer solchen
Haltung grundsätzlich bereit sein. Dies ist freilich
leichter gewünscht bzw. gefordert als getan. Vf. selbst

läßt (z. B. 173, 177) erkennen, daß die Lösung nicht darin
bestehen kann, für alles und jedes Verwendung und einen
Platz zu haben. Es ist wohl mehr als eine Frage der theologischen
Geschmacksrichtung, wie stark man dies betont
. Das Neue Testament zeigt bei aller Vielstimmigkeit
seines Zeugnisses die klaren Konturen der Verkündigung
. Wir werden dem Willen zur „Synthese" zustimmen
, solange wir, um der Begrenztheit der „Perspektive"
willen hörbereit, doch deutlich sagen können, wieso
und mit welchem Recht das einander Widerstrebend
! zusammen gesehen oder auch in Spannung ausgehalten
werden kann und muß. Wo dies nicht gelingt,
wird die Theologie auch künftig zu klaren Grenzziehungen
bereit sein müssen.

Corrlgenda: S. 28 Z. 12 v. u. lies: 1 Kön 8. - Auf S. 163 In Z. 6
gehören die Worte „Wir empfinden . . . wo sie" nach Z. 16.

Leipzig Gottfried Voigt

lilauert, Heinz, Bernhardt, Karl-Heinz, u. Johannes Ilem-
pel [Hrsg.]: Evangelische Predigtmeditationen. 1972/73:
Ordnung der Predigttexte. Reihe I. Bd. I: 1. Advent bis
Pfingstmontag. Bd. II: Trinitatis bis Ewigkeitssonntag.
Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1972 73]. 347 S.
gr. 8'. Lw. M 8,20 u. M 6,20.

Als neue Reihe von Predigthilfen erscheinen in der
Evangelischen Verlagsanstalt, Berlin, die „Evangelischen
Predigtmeditationen" (EPM). Sie sind an die Stelle der
.,Göttinger Predigt-Meditationen" (Berliner Ausgabe)
getreten, die achtzehn Jahre lang gemeinsam in der BRD
und der DDR gedruckt wurden. Die EPM werden in
Iialbjahresbänden ausgeliefert. Die Aufmachung ist solide
; das nachträgliche Binden bleibt dem Benutzer erspart
. Als erster Doppelband liegt die Bearbeitung der
1 erikopenreihe I (Alte Evangelien) für das Kirchenjahr
1972/73 vor. Mitgearbeitet haben neben einigen Autoren
aus der Ökumene (Österreich, Ungarn, CSSR, Schweiz,
BRD, Berlin-West) Theologen und Pastoren aus der DDK.
Herausgeber der EPM sind Direktor Dr. H. Blauert, Prof.
Dr. K.-H. Bernhardt und Landesbischof Dr. J. Hempel.

Im Vorwort nennen die Herausgeber kurz die Intention
dieser neuen Reihe. Die EPM wollen sich in besonderer
Weise der Aufgabe zuwenden, „die jeweilige Botschalt
biblischer Texte mit den Fragestellungen und Auffassungen
der Menschen unserer Zeit und in unserer gesellschaftlichen
Umwelt so eng wie möglich zu verbinden .. •
Genaue Rückfragen ... nach den Konturen der Botschaft,
als auch die mutige Suche nach der den heutigen Verste-
hensmöglichkeiten angemessenen Sprache und den der
Vergegenwärtigung dienenden methodischen Hilfen" sollen
diese Aufgabe lösen helfen (7). Diese Sätze sind weniger
ein Programm als selbstverständliche Konsequenz
und Ausdruck jeder ernsthaften hermeneutischen Arbeit,
zumal wenn sie im Blick auf Predigthilfen getrieben wird.
Die besondere Chance der EPM ist darin zu sehen, daß in
ihnen vornehmlich Autoren zu Wort kommen, die selbst
die Lebenswirklichkeit der Gemeinden in der DDR teilen
. Denn sachgerechte Konkretionen der Botschaft biblischer
Texte werden im Feuer der Gemeindewirklichkeit
ent-deckt und wollen andererseits durch eben diese Wirklichkeit
auch ab-gedeckt sein. Die für die aktuelle Verkündigung
zu beachtende Situation besteht ja nicht allein
in der vorflndlichen gesellschaftlichen Umwelt. Zu ihr gehört
gleicherweise eine dem konkreten Lebensraum angemessene
und praktizierte Ekklesiologic, die vom Evangelium
her unter dem Hören der biblischen Botschaft
Gestalt empfängt.

Es wäre verfrüht, unter diesem Aspekt nach einem
ersten Jahrgang schon kritische Urteile zu fällen. Nicht
nur aller Anfang ist schwer. Die nötigen Konkretionen
liegen nicht auf Abruf bereit. Sie sind selbst das Ergebnis