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Ausgabe:

1974

Spalte:

828-829

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Strobel, August

Titel/Untertitel:

Wer war Jesus? Wer ist Jesus? 1974

Rezensent:

Jeremias, Gert

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr: 11

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Aspekte zusammenwirken, um den Bestand der Quelle
abzugrenzen.

Hinsichtlich der Christologie von S wendet sich N. gegen
die herrschende Anschauung, Jesus sei in S als ein
theios aner nach hellenistischem Muster dargestellt, dessen
Göttlichkeit sich in seinen Wundertaten erweise.
Demgegenüber sucht N. vielmehr einen jüdischen Hintergrund
und jüdische Adressaten von S aufzuweisen:
S sei das gewesen, was manche Exegeten für das Johannes
-Evangelium annahmen, nämlich eine Missionsschrift
für Israel, die die Juden davon überzeugen wollte,
daß Jesus der Messias sei. Dafür soll außer dem Schluß
von S (Joh 20,30f.) insbesondere das Vorkommen der
christologischen Titel „Messias" (nur hier im NT in der
aramäischen Form) und „Prophet" sprechen. Nun weiß
auch N., daß es keine genuin-jüdische Messiaserwartung
gab, in der man vom Messias Zeichen in der Art der von
S erzählten als Legitimation bzw. gar als eigentlichen Inhalt
der messianischen Botschaft erwartete (S. 79-81). Er
sammelt aber Traditionen, die von „Zeichen" im Zusammenhang
mit dem Kommen des Messias, vor allem aber
von der Erwartung des „Propheten wie Mose" und der
Wiederholung der Wunder der Exoduszeit sprechen (S.
81-84), und meint, daß S an solche Erwartungen anknüpfend
die überlieferten Jesuswunder nun als „Zeichen
des Messias" verkündigt habe (S. 84 u. 87). Aber
welcher Jude sollte sich durch einen solchen „Messiasbeweis
", bei dem alles für die messianische Erwartung
Wesentliche fehlte, überzeugen lassen? Man müßte an
eine Form des Diasporajudentums denken (mindestens
J setzt auch N. in solcher Umgebung an, S. 143), das eine
schon erheblich hellenisierte „Messias"-Erwartung gehabt
hätte (der Gegensatz von „hellenistischem Einfluß"
und allgemein-orientalischem Hintergrund, den N. auf
S. 91 konstruiert, ist ohnehin fragwürdig). Aber selbst
die hellenisierende Typisierung des Mose-Bildes bei Ar-
tapanos, Philon und Josephus (auf die N. in anderem
Zusammenhang hinweist, S. 50 Anm. 1) zielt ja bei diesen
Autoren keineswegs auf so etwas wie einen „Glauben
an" Mose, der dem, was S erreichen möchte, vergleichbar
wäre. M. a. W.: das Bild des „Messias" nach
S, wie N. es zeichnet (S. 90-92!), und das eines nach dem
Typ des theios aner gestalteten göttlichen Offenbarers
stehen so eng nebeneinander, daß die Unterscheidung,
auf die es N. ankommt, praktisch hinfällig wird. Und
das gleiche muß dann auch für die Adressaten von S
gelten: wenn es sich um Juden handeln sollte, dann hätten
sie alles spezifisch Jüdische eingeebnet. Jüdische
Züge in den S-Stoffen (S. 53-68) wird niemand leugnen;
aber sie gehören doch zum vorgegebenen Szenarium
(daß Jesus Jude war und unter Juden wirkte, ist dem
Urchristentum immer bewußt gewesen) — von ihnen aus
läßt sich die Tendenz der Ausformung der Stoffe in S
nicht charakterisieren. So scheint mir die Beschreibung
der Theologie von S, wie sie z. B. Becker oder Robinson
gegeben haben, durch N. nicht widerlegt, sondern eher
indirekt bestätigt zu sein.

Auch der weitere Versuch N.s überzeugt nicht, die
theologische Differenz zwischen S und J durch die Umstellung
von Judenmission auf Abgrenzung gegenüber
dem Judentum zu erklären. N. denkt für die Situation
von J daran, daß sich um 80 n. Chr. das jüdische Urteil
über die Christen als „Ketzer" lehramtlich verfestigte
(Gamaliel IL), was zu harter Gegenpropaganda geführt
und Judenmission praktisch aussichtslos gemacht habe;
höchstens noch einzelne innerlich schon Uberzeugte habe
J ermutigen wollen, den Synagogenausschluß zu riskieren
und statt dessen den Anschluß an das in Jesus offenbare
Heil Gottes ganz zu gewinnen. So will N. das generell
negative Bild von „den Juden" bei J sowie die Erkenntnis
des J, daß Wunder (nun!) nicht mehr zum
Glauben an Jesus führen, erklären. Aber ist es denkbar,

daß eine christliche Gemeinde in Syrien positiv (zur Zeit
von J) und negativ (zur Zeit von J) so ausschließlich auf
ihr Verhältnis zur Diaspora-Judenschaft ihrer Umwelt
fixiert war, daß alles andere daneben völlig verblaßte?
Ist es nicht doch wahrscheinlicher, daß J die „Juden"
als Repräsentanten der Jesus ablehnenden Menschheit
überhaupt meint?

Der weiterführende Beitrag des Buches von N. scheint
mir in seiner Sicht der theologischen Wertung der Semeia-
überlieferung durch J zu liegen. N. stellt heraus, daß die
Wunder für J nicht ausschließlich als Symbole, sondern
zuerst als Realitäten wesentlich sind (nicht alle Wundereizählungen
werden symbolisch gedeutet, während andererseits
auch unwunderhafte Vorgänge wie das Wasserschöpfen
in Joh 4 und die Fußwaschung Joh 13 zugleich
als Symbole benutzt werden). Es geht N. um die
Einheit von Ereignis und Bedeutung. Die Bedeutung der
Geschehnisse sei erst dem vom Parakleten belehrten
nachösterlichen Glauben voll zugänglich (hier erhebt N.
wohl das gelegentlich von J benutzte Motiv vom Jüngerunverständnis
allzusehr zum Schlüssel der Interpretation
, gegen Joh l,50f.; 2,11 usw.); aber diese Bedeutung
sei keine nachösterliche Projektion von etwas, was vorösterlich
nicht da war, sondern erhelle nur die Realität
dessen, was im Wirken des Irdischen schon Ereignis war.
J kritisiert zwar die Theologie von S, die auf Wunder
Glauben bauen wollte. Aber auch J bejaht die Wunder
als notwendige Bestandteile der Überlieferung. Die
Antithese gegen Bultmanns Verständnis der Theologie
von J ist deutlich: der Glaube glaubt nicht paradox, der
Sarxhaftigkeit Jesu zum Trotz an ihn, sondern er kann
die Göttlichkeit Jesu, eben weil er in der sarx gekommen
ist, an seinen Taten schauen. Aber auch gegenüber
Käsemann betont N., daß nach J der Glaube gerade doch
„im Irdischen das Wahre" sieht (umgekehrt E. Käsemann,
Jesu letzter Wille nach Joh. 17, Tübingen 1966, S. 96);
die sarx Jesu ist nicht nur eine eben übergestreifte Verhüllung
des Gottessohnes, sondern bis hin zum realen
Sterben die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß Gottes
Herrlichkeit auf Erden offenbar werden konnte. Darum
ist auch die Darstellung des irdischen Jesus in einem
Evangelienbuch für J nicht nur ein letztlich entbehrlicher
Umweg, um von der Herrlichkeit des Erhöhten sprechen
zu können. Vielmehr meint J eine Realität, die durch
das Wirken des Geistes zwar vergegenwärtigt, aber nicht
einfach in die Gegenwart des Heils hinein aufgesogen
wird (vgl. S. 137).

Manche Einzelheit wäre auch hier noch zu diskutieren.
Aber gegenüber der Meinung, J habe der von ihm so
ausgiebig benutzten Quelle ausschließlich kritisch gegenübergestanden
, scheint mir der Beitrag Nicols zu einem
angemesseneren Verständnis der johanneischen Bearbeitung
der Wundertraditionen und damit eines wichtigen
Punktes der johanneischen Theologie hinzuführen.

Naumburg/Saale Nikolaus Walter

1 Zu Fortna vgl. außer den Beiträgen Nicols auch die Auseinandersetzung
bei J. M. Robinson In seinem Kapitel „Die Johanne-
Ische Entwidclungsllnle", in: H. Köster - J. M. Robinson, Ent-
wlcklungsllnlen durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen
IM, S. 216-250, bes. 221 f. und 230ft.

• Nur gelegentlich mufl der Leser raten. So erfährt man nicht,
daß der auf S. 49f. nur mit .One Jesus" zitierte Aufsatz von H.
Köster der gleiche Ist wie der, auf den S. 12 nur mit dem Zeitschrift
-Fundort hingewiesen wird (er steht deutsch im eben genannten
Buch von H. Köster und J. M. Robinson, S. 147—190:
„Ein Jesus und vier ursprüngliche Evangeliengattungen").

Sirobel, August: Wer war Jesus? Wer ist Jesus? Stuttgart
: Calwer Verlag [1973). 47 S. = Calwer Hefte, 127.
DM 2,90.

Der Frage nach der „Besonderheit der Gestalt Jesu"
(S. 7) will dieses Heft nachgehen, in dem ein Im Evangelischen
Bildungszentrum Würzburg gehaltener Vor-