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Ausgabe:

1974

Spalte:

59-60

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Weismann, Werner

Titel/Untertitel:

Kirche und Schauspiele 1974

Rezensent:

Jürgens, Heiko

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

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Gregors Ziele eingesetzt. Die Vertreibung und der baldige
Tod Gregors ließen alles Geplante jedoch im Anfangsstadium
verbleiben, so daß Gerbert von Aurillac (Silvester II.)
ein verhängnisvolles Erbe antrat.

Vf. versteht es in manchen Punkten noch besser als die
bisherige Forschung, Gregor und das Papsttum dieser Zeit
in die allgemeinen Entwicklungslinien einzuordnen, was
freilich durch Gregors vielfältige Abhängigkeit - einerseits
vom Kaiser, andererseits von verschiedenen Klerikern und
in mancher Hinsicht auch von den italienischen und stadtrömischen
Nobiles (besonders von den Crescendi) - mitbedingt
ist. Manche Linien werden vielleicht trotz eines stark
didaktischen Verfahrens innerhalb der Einzeldarstellung
nicht so deutlich, wie man wünschen würde. Freilich geben
die damaligen Quellen für die engeren Beziehungen, vor allem
für die manchem Wechsel unterworfene Einstellung Gregors
zu Otto III., aber auch zu Willigis von Mainz, Gerbert
von Aurillac oder Leo von Vercelli wenig aus, so daß die
Forschung auf Rückschlüsse und allgemeine Hintergrundsanalysen
angewiesen ist.

Der Leser wird für das interessante Lebensbild dankbar
sein und in mancher Hinsicht auch eine Bereicherung seiner
Kenntnis dieser gesamten Periode spüren, die der cluniazen-
sischen Reform und dem Investiturstreit vorausgeht.

Halle/Saale Hans-Joachim Diesner

Weismann, Werner: Kirche und Schauspiele. Die Schauspiele
im Urteil der lateinischen Kirchenväter unter besonderer
Berücksichtigung von Augustin. Würzburg: Augustinus-
Verlag 1972. 243 S. 8° = Cassiciacum. Eine Sammlung
wissenschftl. Forschungen über den hl. Augustinus und
den Augustinerorden, hrsg. v. A. Kunzelmann u. A.
Zumkeller, XXVII, Kart. DM 34,50.

Bei allem Interesse, das die Kirchenväter für ihre grundsätzlichen
theologischen Aussagen verdienen, darf doch nicht
übersehen werden, daß sie als Seelsorger und Kirchenpolitiker
auch zu den praktischen Fragen des Alltags nachdrücklich
Stellung nehmen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist
ihre Beurteilung der antiken Schauspiele, die als Massenunterhaltungsmittel
durchaus auch mit Erscheinungen der
Gegenwart verglichen werden können.

W. untersucht diesen - in der Forschung bisher nur unzureichend
berücksichtigten1 - Komplex, indem er zunächst
eine lebendige Darstellung des gesamten spätantiken Schauspielwesens
gibt. Da hierfür vor allem christliche Zeugnisse
ausgewertet werden, enthält auch dieses Kapitel wichtige Ergänzungen
zu den bereits vorhandenen kulturgeschichtlichen
Untersuchungen, die sich in der Regel auf die leichter
zugänglichen heidnischen Quellen stützen2. Vor allem aber
bietet es eine solide Grundlage für die Behandlung der
eigentlichen Thematik des Buches.

Da die Beurteilung des Schauspielwesens durch Augustin
besondere Beachtung finden soll, werden zunächst die äußerst
zahlreichen Stellungnahmen der übrigen Kirchenväter
bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts (Salvian) untersucht.
W. gliedert seine Darstellung systematisch nach Haupteinwänden
(moralische Argumente, Hinweis auf die kultische
Bedeutung der Schauspiele), praktischen Maßnahmen und
positiven bzw. neutralen Äußerungen'1. Damit erhält er die
Möglichkeit, zu den einzelnen Argumenten auch Parallelen
bei den griechischen Kirchenvätern und selbst bei heidnischen
Autoren anzuführen und so Traditionen aufzuzeigen.

Während sich der erste Hauptteil durch die Fülle des verarbeiteten
Materials auszeichnet, liegt der Vorzug des zweiten
, der sich unter den gleichen Gesichtspunkten mit Augustin
befaßt, vor allem in der subtilen Interpretation der Aussagen
, in denen die besondere Stellung dieses Kirchenlehrers
zum Ausdruck kommt. W. zeigt, daß das Interesse Au-
gustins in erster Linie den Bereichen des Schauspielwesens

gilt, mit denen er im Laufe seines Lebens persönlich in Berührung
gekommen ist. Von hier aus kommt er zu einer
eingehenden Analyse von conf. III 2, 2-4, in der nicht nur
die traditionelle antike Theaterpsychologie - vor allem bei
Aristoteles und dem in diesem Zusammenhang erstmals beachteten
Piaton -, sondern auch die eigene „Erlcbniswelt"
des Kirchenvaters berücksichtigt wird.

An dieser Stelle ist freilich zu fragen, ob W. nicht des Guten
zuviel tut, wenn er zur Stützung seiner Interpretation
auch noch eine Erörterung über „Augustins Empfinden für
das Tragische" (im allgemeinen, nicht auf das Theater bezogenen
Sinn) anfügt. Mit der Stellung des Kirchenlehrers
zu den Schauspielen hat dieser Abschnitt doch wohl höchstens
am Rande zu tun4.

Noch etwas gewichtiger als diese Frage ist ein Einwand,
der u. E. gegen eine These der Arbeit erhoben werden muß:
Wenn W. sagt, daß dem Hinweis auf die kultische Bedeutung
der Schauspiele bei Tertullian „das gleiche Gewicht
zukommt wie den moralischen Vorbehalten", während er
von den späteren Kirchenvätern „fallengelassen" werde
(S. 99, 185; S. 201 u. ö.), so wird er damit weder der Auffassung
Tertullians ganz gerecht, für den hierin der „p r i n -
c i p a 1 i s titulus" liegt (spect. 15,1), noch der der späteren
christlichen Autoren, die zumindest bis zur Mitte des fünften
Jahrhunderts auch diesen Gesichtspunkt ernst nehmen
(vgl. z. B. Salv. gub. VI 11, 59-61; Leo M. serm. 84,1 und
selbst noch Cod. Iust. I 4,34,1). Die Beziehung der Schauspiele
zur heidnischen Religion ist erheblich realer, als häufig
angenommen wird5, und es ist deshalb nur folgerichtig,
wenn etwa Augustin (civ. I 35,11; in ps. 61,10 u. ö.) dem
Theater als Versammlungsort der Heiden dieselbe Bedeutung
beimißt, wie sie die Kirche für die Christen hat.

Dieser Einwand kann jedoch den Wert der Untersuchung
im ganzen ebensowenig herabsetzen wie eine Reihe von
kleineren Versehen, Mißverständnissen und Druckfehlern,
die noch stehengeblieben sind. Auf beides soll vielmehr vor
allem für den Fall hingewiesen werden, daß es zu einer
zweiten Auflage kommt - ein Fall, der wegen der Bedeutung
des Buches durchaus wünschenswert ist.

Tübingen Heiko Jürgens

1 Dos gleichzeitig erschienene Buch von H. Jürgens, Pompa Diaboli,
Stuttgart 1972, befaßt sich in erster Linie mit den philologischen und
kulturgeschichtlichen Aspekten des Themas und berührt die theologischen
und pastoralen Probleme nur an Rande.

2 Dies gilt vor allem für die Bereiche Amphitheater, Wagenrennen
(Circus) und Sport (Agon); für den Bereich des Theaters vgl. dagegen
die ausführlichere und in den Einzelheiten wohl auch genauere Darstellung
von Jürgens (s. Anm. 1).

3 Diese systematische Darstellung wird jedoch ergänzt durch einen
Überblick über die historische Entwicklung auf S. 1°9ff.

4 Eine ähnliche Länge läßt sich nur noch auf S. 177—180 konstatieren,
wo ein quellenkritisches Spezialproblem ohne direkten Bezug zum Thema
allzu ausführlich behandelt wird.

5 Vgl. Jürgens, S. 175-183.

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe. 48. Bd.

Revisionsnachtrag. Weimar: Böhlau 1972. 157 S. 4°. M 31.-.

Das vorliegende Revisionsheft berücksichtigt die erste
Hälfte von WA 48 (die Seiten IX-297), d. h. Luthers Bibel-
und Bucheinzeichnungen nebst zahlreichen disparaten kleinen
Luthertexten in den sogenannten Anhängen. Erstellt
wurde RN 48 von der Göttinger Arbeitsstelle der Kommission
zur Herausgabe der Werke Martin Luthers unter der
wissenschaftlichen Verantwortung von Prof. D. Dr. H. Volz
und unter Mitarbeit von Dr. H. Laubner und cand.
theol. H. Blanke, die die germanistischen und theologischen
Artikel verfaßt haben. Zu den Bibel- und Bucheinzeichnungen
, aber auch zu dem in sich sehr differenten Material der
Anhänge (z. B. handschriftliche Dedikationen Luthers, die
z. T. im Blick auf ihre Authentizität ungesichert oder gar ge-