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Ausgabe:

1974

Spalte:

780-782

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Geffré, Claude

Titel/Untertitel:

Die neuen Wege der Theologie 1974

Rezensent:

Langer, Jens

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779

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 10

780

Kanon im Kanon (S. 51). „Christliche Offenbarung" ,,gc-
Bchieht" heule „überall dort", „wo ein Mensch den Gott
Jesu Christi als seinen Gott erfährt. Da nun kein Mensch
ohne Erfahrung <les Göttlichen ist. handelt es sieh dabei um
nichts schlechthin Neues und Fremdes, vielmehr wird das
Bekannte vertieft, korrigiert, umgewendet oder in neuem
Licht sichtbar" (S. 44). Wichtig ist der Gott Jesu, nicht
Jesu Gottheit. Die „wesensmäßige Gottgleichheit Jesu
Christi" ist theologisch unnötig (S. 77), nötig ist sein Glaube
an Gott, sein „Sohnesglaube", in dem „die Gotleskindschaft
der Christen" „wurzelt" (S. 97). In diesem existentiellen
Denkansatz hat verständlicherweise der Erfahrungsbegriff
einen achsialen Rang (siehe obige Zitate und S. 03, 70. 113f.,
12'2, 124). Auffällig ist ein durchgehender Heilsindivi-
dualismus, der auch darin zum Ausdruck kommt, daß ein
eigenes Kapitel Uber die Schöpfung oder die W eh fehlt und
der sich vor allem in der thanatozentrischen Eschatologie
niederschlägt: „Die christliche Lehre von den letzten
Dingen hat sich unter den gegenwärtigen Bedingungen des

Denkens weder mit der Zukunft des Kosmos noch mit der
Zukunft der Völker zu befassen. Sie orientiert sich vielmehr
an demjenigen Ereignis, welches für uns am Ende der Zeit
steht: am Tod. Christliche Eschatologie hat heute nur eine
Aufgabe: sie muß eine religiöse Antwort geben auf die durch
den Tod gestellte religiöse Frage" (S. 102).

Nach all dem bisher- Gesagten überrascht das relativ breit
angelegte und höchst aufschlußreiche Kapitel Uber die
Kirche, in dem es sogar einen Paragraphen über die „Kasual-
gottesdienste" gibt. Aber auch sie dienen dem korrelationstheologischen
Ansatz und verdeutlichen besonders gut die
für dieses Werk so charakteristische Anknüpfung der christlichen
an die allgemeine Offenbarung: „Kasualgoltesdienste
sind daraus entstanden, daß bestimmte Lebensumslände den
Menschen nicht nur in Verstand oder Willen, sondern
religiös anrühren. Geburt und Tod, Reife und Eheschließung,
Glück und Unglück des einzelnen und der Gemeinschaft
wecken ein mehr oder minder deutliches Fragen nach dem
Warum und Wozu. Auf dieses Fragen gibt es keine innerweltliche
Antwort." Daher „hat die Kirche" in den Kasual-
gottesdiensten auf sie „geantwortet" (S. 154f.).

Auch die Gotteslebre fügt sieh in das Schema: Korrelation
zwischen christlicher und allgemeiner Offenbarung ein. (iott
ist der „Grund und Abgrund von Vernunft, Wellerkcnncn
und Wollen" (S. 02), sowie die „Macht, die" die „Erfahrung
in mir auslöst": „Ich selbst bin gerufen, behaftet, befreit
oder gebunden" (S. 03). Schon in der „Einleitung" heißt es
programmatisch: „In jedem Menschen wirkt ein ursprüngliches
religiöses Streben. Es drängt aus dem Inneren
heraus mit einem halbbew ußten Fragen nach dem W ober und
Wohin. Wird es geformt und zur Deutlichkeit gebracht,
dann ahnt es im Suchen und Fragen die Macht, der es sieh
selbst, verdankt. Bleibt es sich aber selbst überlassen, dann
verwildert es." „Es sucht Ersatzformen, die weit unter den
Mögliehkeilen der gewohnten religiösen Forinenwclt liegen"

Dieses Buch wird zu scharfer Kritik provozieren. Viele
werden es mit imperialer Geste vom Tisch wischen als
schlechte Neuauflage der altliberalen Erfahrungstheologie,
die ja nun tatsächlic h stark durch dieses Buch hindurchschimmert
. Manche werden Anstoß nehmen an der mangelhaften
exegetischen Begründung und den schattenhaften
Traditionsbezügen, vor allem aber an dem fehlenden wisse n-
schaftlichen Apparat und der mangelnden Auseinandersetzung
mit der heutigen Theologie. Aber vielleicht will
dieses Buch gar nicht eine Dogmatik, sondern nur eine
Meditation zu einer Dogmatik sein. Viele Werdet) das Buch
gerade begrüßen, weil es kein Buch über Bücher ist und
kein von einem Insider für Insider verfaßtes Kompendium.
Wie dem auch sei, dieses Buch ist ein origineller Entwurf,
der es wert ist, im gegenwärtigen theologischen Konzert
gehört zu werden, ja der sich von selber Gehör verschaffen
wird, weil er in dieses oft so homophone Konzert ganz neue

Töne hineinbringt. Man w ird diesen eigenw üchsigen und
spröden Entwurf kaum In eine der gängigen theologischen
Systeme und Schulen einordnen können, auch nicht In die
liberale Theologie, noch viel weniger in die Korreln t ions-
thcologie Tillichs oder in die. Anknüpfungstheologie von
Paul Althaus — trotz der Aldilänge an Tillichs [.ehre von der
universalen Offenbarung und an die l ir-( )f fenbarungs-

konzeption von Althaus. Das Werk isi auch keine Weiter-

führung der Existenzlhcologic - wie man es bei einem
Schüler Ebelings vermuten möchte. Am ehesten könnte man
es einer anderen Strömung in der neuesten Theologie zuordnen
, die man mit dem Schlagwort „Wicdcrentdcckiing
der Religion" umschreiben könnte. (Vgl. etwa Heft 1/1973
von Concilium Jg. 9, II. Zähmt, Ev. Komm. Jg. 5 Nr. 9/
1972; W. Pannenberg, Ker. u. Dog. Jg. 19 II. 1/1973.) Ei

wäre dankenswert, wenn Vf. leine Konzeption von der
allgemeinen Offenbarung in einer weiteren Arbeil umfassender
und überzeugender extensivieren würde. Dieses
Buch ist jedenfalls ein sehr wichtiger Beilrag zur heutigen
Diskussion und eine notwendige Alternative zur politischen
Theologie, vor allem aber zur Theologie Karl Barths und
seiner Schüler. Die Kritik müßte an der Chrislologie dieses
Buches ansetzen, die schwerlich vor dem Neuen Testament
zu rechtfertigen ist. „Sache" der Schrift (S. 51) und Kanon
im Kanon des Neuen Testament! ist der Glaube an Jesus,
und zwar an Jesus als den einzigen lleilbringer und Erlöser.
Wäre er aber nicht gottgleich und doli selber, sondern bloß
ein Mensch, dann hätte er uns nicht erlösen können, denn
der Mensch kann sich nicht selbst erlösen. Jesus war mehr
als nur der Anfänger des Klaubens. Von daher könnte man
kritisch weiterfragen: Ist christliche Offenbarung nach dem
NT wirklich nur die vertiefte rcvclalio generalis oder nicht
vielmehr etwas ihr gegenüber grundslürzend Neues, Überraschendes
und Fremdes — man denke an den Zwei-Aonen-
Dualismus bei Johannes und Paulus ?

Karlsruhe Horst Georg Pölilinaiwi

Goffre. (Jaude: Die neuen Wege der Theologie. Erschließung

und Überblick. Mit einem Vorwort von K. Lehmann.

Übers, v. E. Darlap. Freiburg-Bascl-Wien: Herder [1973J.

155 S. 8° = Theologisches Seminar. Kart. DM 18,— .

In einem Vorwort bescheinigt Karl Lehmann dein ain
Pariser Institut Catholiquc lehrenden Autor eine „durch
französische Klarheit und Eleganz ausgezeichnete Vermittlung
und in vielem auch recht glückliche? Vereinfachung
schwieriger deutschsprachiger Theologie, Geffrc steht nach
Lehmann in und über der Situation gegen wärt iger Theologie
Dadurch könne er den Ort der unterschiedlichen Tendenzen
sachgemäß bestimmen. In dem so eingeführten Band, dein
das Imprimatur erteilt wurde, sind sechs Aufsätze aus de11
Jahren 1909—1972 zusammengefaßt. Für diese Ausgabe sind
sie z. T. überarbeitet worden.

„Die neue Orientierung der T'iindnmcu lalt heologtc
(21—48) wird laut Vf. bestimmt durch die Abkehr von eine'
objektivistisch-positiven Methodik. Auch der zunäch*1
alternativ verstandene anthropozentrische Ansatz muß <'■"
weitert werden. Das wird durch den theologischen Bezug
auf das Leben des Menschen in der Gesellschaft möglich
Unter diesem Gesichtspunkt lind eine Reihe von Problem**
aufzuarbeiten. Als Beispiele dafür werden genannt d>"
theologischen T ragen des Unglaubens, der nicht i brist lieh«'"
Religionen, der Gewallanwendung und der irdischen Wirk'
lichkeiten.

Wie muß „Die dogmatische 'Theologie im Zeitalter J'r
Hermeneutik" (49—74) aussehen? Sie darf nicht tili«'1"
bereits bekanntes Wissen weilergeben. Auch durchdacht'
Lebenserfahrung muß einbezogen werden. Wiederum «'r'
auf die notwendige Überwindung von Objektivismus •'"
Existentialismus hingew iesen. Die nicht inetaphysisch''1'1
nicht-autoritären und herineiieutischen Charakterzüge '''r