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Ausgabe:

1974

Spalte:

56-58

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schneider, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Passion Jesu nach den drei älteren Evangelien 1974

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

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Auferweckung des Gekreuzigten bedeutete „generell eine
Bestätigung dessen, was der irdische Jesus wollte - das
heißt in erster Linie seiner Bemühung, ausschließlich das
alte Gottesvolk in seiner Gänze als eschatologische Heilsgemeinde
. . . zuzurüsten . . ." (25f). Die nachösterliche Entwicklung
ist als gottgewollter Fortschritt der Christusoffenbarung
zu verstehen (26).

Der Beitrag von H. Geist, „Jesus vor Israel - der Ruf
zur Sammlung" (31ff) geht vom zeitgeschichtlichen Hintergrund
aus. Im Unterschied zu anderen Bewegungen seiner
Zeit will Jesus keinen „Heiligen Rest", sondern ganz Israel
sammeln. „Sein Ruf schließt keinen einzigen aus; ja, er erregt
gerade deshalb Anstoß, weil er sich jener annimmt, die
von den religiösen Gruppen seiner Zeit ausgestoßen werden
" (52). Sogar den Heiden hielt er „den Zugang zum escha-
tologischen Gottesvolk offen" (55); nach Ostern hat sich
dies verwirklicht.

„Der Jüngerkreis Jesu" ist das Thema des Aufsatzes von
H. M e r k 1 e i n (65ff). Er arbeitet die Eigenart des Nachfolgerufes
Jesu als ganz an die Person Jesu gebunden gut
heraus. Der Zwölferkreis soll den Anspruch Jesu auf ganz
Israel dokumentieren (92f). „Sinn und Zweck" des Jüngerkreises
besteht „in der Aufgabe .... an Jesu Sache teilzuhaben
, d. h., das nahende Reich Gottes anzusagen, ja noch
mehr, das in Jesu Wirken jetzt schon anbrechende Reich
Gottes in wirksamer Tat zu manifestieren" (95). Dreifach
wird dieser Ansatz nach Ostern weitergeführt: 1. Da es sich
um kein rabbinisches Schüler-Lehrer-Verhältnis handelte,
fehlte vor und nach Ostern ein Traditionsprinzip. Das „Fluktuieren
zwischen historisch echtem Jesuswort und dem von
der Gemeinde gebildeten . . . Herrenwort" sei „geradezu ein
Zeichen der Kontinuität zwischen der späteren Kirche und
dem historischen Jesus" (97). 2. Zur Nachfolge gehörte die
Aussendung. „Diesen Sendungsauftrag führt die nachösterliche
Gemeinde fort" (98). 3. Nach Ostern „wurde der historische
Ruf Jesu in die Nachfolge .. . für die Gemeinde zum
Ruf der gläubigen Unterordnung unter den erhöhten Herrn"
(99). Die Kirche ist also Reaktion auf die Berufung der Jünger
durch den Irdischen.

Über „Jesus und die Gemeinde" handelt K. Kertelge
(lOlff). Er setzt sich hauptsächlich mit dem viel verhandelten
Text Mt 16,17-19 auseinander und führt in sorgsamer Untersuchung
zu der Einsicht, es handle sich um ein nachösterliches
Wort. „Wenn Matthäus die Intention der Gemeindegründung
aber schon auf den irdischen Jesus zurückführt,
dann drückt sich hierin vor allem das Bewußtsein seiner Gemeinde
aus, in ihrer Zeit nichts anderes betreiben zu können
, als was Jesus gewollt hat." Dies stellt „eine für ihre
Zeit theologisch legitime Weise der Berufung auf den ursprünglichen
Willen Jesu" dar (115).

R. Schnackenburgs Beitrag „Die nachösterliche Gemeinde
und Jesus" (119ff) konfrontiert die Jesusüberlieferung
mit dem Verhalten und Leben der Urgemeinde. So beweist
die Gütergemeinschaft der ersten Christen ihre „Bindung
... an die Weisungen des irdischen Jesus, ihren entschlossenen
Willen, nicht nur seine religiöse Botschaft vom
Heil Gottes aufzunehmen, sondern auch seine Forderung zu
brüderlichem Dienst an den Menschen ernst zu nehmen und
zu verwirklichen" (129). Auch Paulus nimmt „die entscheidende
Forderung des irdischen Jesus auf: das Gebot der
Liebe, des selbstlosen Dienstes für die anderen. Er beruft
sich nicht explizit darauf, aber er hat die Grundforderung
Jesu so tief erfaßt, daß sie seine ganze Mahnrede trägt und
durchzieht" (132). Dennoch sind hier und da „die sozialen
und gesellschaftskritischen Implikationen der Botschaft und
des Verhaltens Jesu" übersehen worden (135f).

Der letzte Aufsatz „Die Kirche in der modernen Gesellschaft
" (151ff), den der Herausgeber verfaßt hat, ist ein engagiertes
Plädoyer für den Dienst der Kirche an der Welt
im Geiste Jesu von Nazareth.

Man wird den Autoren bestätigen können, daß sie die
schwierigen exegetischen Probleme verständlich und mit abgewogenem
Urteil vorgetragen haben. Freilich wird man
fragen müssen, ob nicht das apokalyptische Jesusbild zu
unproblematisch vorausgesetzt wird, zumal ja der Aspekt
der Gegenwärtigkeit der Basileia durchaus erkannt wird.
Auch die Echtheit von Mt 10,5f wird S. 45 etwas vorschnell
angenommen, die grundsätzliche Beschränkung auf Israel
dürfte doch mehr judenchristlicher Theologie entsprechen
(richtiger: S. 111). Das Fehlen eines rabbinischen Traditionsprinzips
wird zu apologetisch ausgewertet; den sehr andersartigen
Ansatz H. Schürmanns hätte man nicht unberücksichtigt
lassen sollen. Auch die Historizität des Zwölferkreises
ist umstrittener und schwerer beweisbar, als der Leser
hier erfährt.

Diese Anmerkungen sollen den Wert des Bandes nicht
schmälern; er bietet insgesamt erfreuliche Information und
Anregung.

Erlangen Helmut Merkel

Schneider, Gerhard: Die Passion Jesu nach den drei älteren
Evangelien. München: Kösel-Verlag (1973). 174 S. 8° =
Biblische Handbibliothek, XI. Kart. DM 24,-.
Der Bochumer Neutestamentier, der uns 1969 als Schüler
R. Schnackenburgs in seiner Habilitationsschrift eine die Ansätze
H. Schürmanns weiterführende Analyse der Lukaspassion
geschenkt hat (vgl. ThLZ 96, 1971, 905-908) und inzwischen
durch mehrere Aufsätze zur Frage vormarkinischcr
Passionstraditionen hervorgetreten ist (vgl. NovTest 12,
1970, 22-39; ZNW 63, 1972, 188-209; BZ 16, 1972, 222-244),
hat hier das Wagnis einer Gesamtdarstellung unternommen,
um einerseits „eine auf dem heutigen Stand der Diskussion
beruhende, allgemein verständliche theologische Darstellung
der Leidensgeschichte Jesu" zu bieten und andererseits
auch die Forschung anzuregen, „noch ungeklärte Fragen aufzugreifen
und hypothetische Urteile des Verfassers zu korrigieren
oder zu bestätigen" (5).

Der Respekt vor diesem weitgespannten Ziel erweitert
sich zu einem brennenden Interesse an der Lektüre, wenn
man dem Inhaltsverzeichnis abliest, was alles an Themen in
dieser Publikation mit ihrer durchaus überschaubaren Seitenzahl
verhandelt wird: Der erste Teil „Die urkirchliche
Überlieferung vom Weg Jesu in den Tod" (13-42) führt an
Hand von sieben Problemstellungen präzis in die Forschungslage
und die Fragerichtung der Traditionsgeschichte
dieses Komplexes von der ältesten Überlieferungsschicht bis
hin zu den außerkanonischen Erzählungen ein. Der umfängliche
zweite Teil „Die Passionserzählungen der drei synoptischen
Evangelien" (43-153) behandelt exakt und kenntnisreich
die neun Perikopen von der Verhaftung Jesu bis zum
geöffneten Grab ausgehend von der markinischen Ausformung
sowohl hinsichtlich ihrer Vorgeschichte wie ihrer mat-
thäischen und lukanischen Weiterinterpretation. Der dritte
Teil „Theologische Grundzüge in den Passionsdarstellungen"
(155-169) gibt zusammenfassen^ die Passionstheologie der
einzelnen Synoptiker wieder unter dem Leitgedanken: „Die
Passion Jesu als Offenbarung des Sohnes Gottes" (Markus),
„Die Kirche Christi im Lichte seines Leidensweges" (Matthäus
) und „Der leidende Christus geht seinen Jüngern voran
" (Lukas).

Nach der Lektüre dieser ehrgeizig weitgespannten Publikation
wird man dem Verfasser nur höchstes Lob dafür
zollen können, daß ihm hiermit eine Standardmonographie
zum Problemkreis gegenwärtiger theologischer Arbeit an
der Passionsüberlieferung gelungen ist, die man jedem Studenten
, Pfarrer, aber auch interessierten Nichttheologen
empfehlen kann. Das ist bei der Fülle der in den letzten
Jahren auf diesem Forschungsgebiet erschienenen Arbeiten
einfach eine sachlich wie pädagogisch nicht geringer als im-