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Ausgabe:

1974

Spalte:

53-54

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Balz, Horst

Titel/Untertitel:

Heilsvertrauen und Welterfahrung 1974

Rezensent:

Michel, Otto

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

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angehörenden Inhalte mythischer Gottessohnschaft wurden
in einer angesichts der Vielfalt der betreffenden Texte erstaunlich
einheitlichen Tendenz ihres eigentlich mythischen
Gehaltes beraubt und dem Jahweglauben integriert. Bei allen
Verschiedenheiten sind der Ausgang beim Mythischen und
der Weg der Entmythisierung über Abstoßung des jeweils
Mythischen bei partieller Aufnahme durchaus vergleichbar"
(183f). Im einzelnen stellt sich die Sachlage sehr verschieden
dar: Der Mythos wird drastisch verkürzt, „zur Ausführung eines
anderen Themas verwendet" (74), „überwunden" (111),
aber auch zum „Mittel theologischer Reflexion" (70). Er kann
die Aufgabe erhalten, „die Einzigartigkeit und Herrlichkeit
Jahwes zu schildern" (56). Ps 82 „verwendet mythische Vorstellungen
, gerade um den Mythos anzugreifen" (44). Gelegentlich
kann das Alte Testament durch Zusätze den ursprünglichen
Sinn umbiegen (64); die Korrektur kann ausnahmsweise
so spät erfolgen, da5 die griechische Übersetzung
den älteren Text bewahrt (59f. 71").

Ansprechend wirken der Ansatz der Arbeit, der die Einzeltexte
jeweils auf die Umdeutung des vorgegebenen Stoffes
befragt, die Beschränkung der Fragestellung auf einen fest
umrissenen Vorstellungsbereich und der dadurch gewonnene
gute Überblick über den Stoff. Nur enthält das Buch im großen
und ganzen wenig neue exegetische Einsichten; auch
bleibt häufig neuere Literatur unberücksichtigt1. Doch seien
statt Einzelhinweisen nur noch einige allgemeinere Fragen
formuliert. Erlaubt es der Textbefund überhaupt, eine „Traditionsgeschichte
" des Mythos (77; vgl. 114.183ff) nachzuzeichnen
? Steht „die unmittelbare Konfrontation mit dem
Mythos" wirklich „am Anfang" (185), oder kommt der Unterschied
im Laufe der Zeit nach der Landnahme immer stärker
zur Geltung? Ja, wieweit ist die im Alten Testament erkennbare
Kritik überhaupt „Entmachtung des Mythos"?
Eine Schwierigkeit der Themenstellung besteht m. E. gerade
darin, dafj sie im Alten Testament keinen unmittelbaren Widerhall
findet; es steht mythischen Mächten und auch mythischen
Vorstellungen kritisch gegenüber, kritisiert aber
kaum oder höchstens ausnahmsweise „den Mythos". Schließlich
wird man sich fragen, ob sich mythische und weisheitliche
Traditionen so strikt (Teil I—III bzw. IV) trennen lassen
.

Eine Anmerkung zur Buchgestaltung: Laßt sich bei maschinenschriftlichem
Satz nicht ohne weiteres erreichen, daß Anmerkungen auf der
entsprechenden Seite, nicht zwei Seiten später (S. 30ff, 52ff, 74ff u. a.),
ihren Platz finden? Können nicht auch Schreibfehler sorgfältiger korrigiert
werden (zu S. 171. 187 u. a.)? S. 47 fehlt die Überschrift.

Kiel Werner H. Schmidt

' Vgl. beispielsweise zu Gen 6,1-4: J. Scharbert, BZ 11 (1967) 66-78:
C. Westermann, BK 1/1, 491ff; zu Ps 82: H. W. Jüngling, Der Tod der
Götter (1969); zu Ps 29: H. Strauß, ZAW 82 (1970) 91-102; zu den Königspsalmen
: Festschrift G. v. Rad (1971) 452ff (Lit.); zum Fruchtbarkeitsmythos
(S. 116ff): W. Helck, Betrachtungen zur großen Göttin und den
ihr verbundenen Gottheiten (1971). Zur Fragestellung als ganzer wären
zu bedenken: A. Ohler, Mythologische Elemente im Alten Testament
(19*9); W. Pannenberg, Christentum und Mythos (1972).

NEUES TESTAMENT

Balz, Horst R.: Heilsvertrauen und Welterfahrung. Strukturen
der paulinischen Eschatologie nach Römer 8,18-39.
München: Kaiser 1971. 145 S. gr. 8" — Beiträge zur evang.
Theologie, Theologische Abhandlgn, hrsg. v. E. Wolf, 59.
Kart. DM 19,-.

Die hier vorgelegte Arbeit ist als Habilitationsschrift im
Frühjahr 1969 in gekürzter Form an der Universität Kiel
vorgelegt worden. Sie hat eine stark systematisch ausgerichtete
Tendenz, zieht aber an den einzelnen Punkten des paulinischen
Textes gewissenhaft sprachliche und religionsgeschichtliche
Beobachtungen heran. Schon gleich im Anfang
stellt sich die Frage, ob der mit Rom 8,18ff beginnende Text
mehr von der menschlichen Existenz her oder von einem
universalen Kosmosverständnis gedeutet werden soll. Man
bedarf einer gewissen Klärung der von B. gebrauchten Begriffe
. Auf S. 129 sagt er, dafj für ihn Apokalyptik eine Form
der Eschatologie ist, Eschatologie dagegen „der Typus einer
Theologie, die die Bedeutung des Glaubens und der christlichen
Existenz für eine vom Unglauben und von der Gottesferne
gezeichnete Wirklichkeit erfassen will". Damit wird
der Begriff „eschatologisch" in einem abgeblaßten, übertragenen
Sinn verstanden, der vielleicht Widerspruch erregen
wird. Unter den Denkgrundlagen findet sich 6. auf S. 130 der
Satz: „Da das Heil Gottes ausschließlich an die von Christus
repräsentierte Wirklichkeit gebunden ist, fordert diese
Eschatologie als unverzichtbaren Grundsatz die strenge
Orientierung am Vorbilde Christi und damit die christus-
förmige Existenz als eschatologische Existenz." Hier wird
bestimmt werden müssen, was „strenge Orientierung am
Vorbilde Christi" und damit „christusförmige Existenz"
meint; ist damit noch das Leben aus der Gnade und aus dem
Evangelium gemeint, wie es die Reformation herausgestellt
hat? Ein weiteres Problem ist die ständig wiederholte Gegenüberstellung
der beiden „Wirklichkeiten" (z. B. Thesen
7,8): göttliche Heilswirklichkeit gegen Unheilswirklichkeit
der Welt als Kampfgeschehen, die beiden rivalisierenden
Wirklichkeiten, wobei das Denken, das der göttlichen Wirklichkeit
zugehörig ist, als „doxologisch-enthusiastisch" beschrieben
wird („insofern als es sich nicht am Vorfindlichen
orientiert, sondern die vorgegebene Wirklichkeit von einer
an Christus gewonnenen Sinngebung her zu bewältigen versteht
", S. 131). Zum Begriff des „Enthusiasmus", wie er sich
jetzt theologisch durchzusetzen versucht (ganz anders z. B.
die schöne Studie von G. Schrenk, Geist und Enthusiasmus
in Wort und Geist, Festgabe für K. Heim 1934), vgl. S. 124:
„Bei allem Enthusiasmus bleibt Paulus aber Realist. Seine
Heilsgewißheit macht ihn nicht zum pneumatischen Ekstati-
ker, sondern konfrontiert ihn aufs schärfste mit den Bedingungen
der Existenz in dieser Zeit und in dieser Welt." Ist
der Begriff des „Enthusiasmus" als Charakterisierung des
neutestamentlichen Geistes hier im positiven Sinn verwendbar
, obwohl Wortbildung und Geschichte dieses Begriffes
zum Warnzeichen werden? Alle diese Fragen werden vom
Kritiker gestellt werden müssen, gerade um der „systematischen
Tendenz" des Buches willen. Der eigentliche Wert des
Buches liegt in den sorgfältigen exegetischen und philologischen
Beiträgen vor allem des 3. Kapitels. In Unordnung
S. 84, Z. 9 von unten; Z. 4 von unten; S. 100: E. Lohse (statt
B. Lohse).

Tübingen Otto Michel

Müller, Karlheinz [Hrsg.]: Die Aktion Jesu und die Re-Ak-
tion der Kirche. Jesus von Nazareth und die Anfänge der
Kirche. Würzburg: Echter-Verlag; Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn; Innsbruck: Tyrolia Verlag (1972).
168 S. 8°. DM 10,80.

Seit den Anfängen der historisch-kritischen Betrachtung
des NT ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen
dem Auftreten Jesu und der nachösterlichen Kirche umstritten
. Der vorliegende Sammelband mit 6 Beiträgen katholischer
Autoren will einen weiteren Leserkreis über diese
Problematik informieren.

Der Herausgeber behandelt das grundlegende Problem
„Jesu Naherwartung und die Anfänge der Kirche" (9ff). Er
weist auf „eine Reihe ekklesiologisch relevanter Akte" Jesu
hin: a) die Gründung einer auf Israel beschränkten Heils-
gemeinde, b) den Jüngerkreis als „Ausdruck, Bekräftigung
sowie Repräsentanz der sich in Jesu Heils- und Bußruf an
Israel rudimentär durchsetzenden eschatologischen Basileia"
(21), c) den Zwölferkreis als „Kern jener eschatologischen
Heilsgemeinde" (22), Mk 9,1 u. 14,25 zeigen, „daß der irdische
Jesus an einem Fortbestand jener Gemeinde von Heilsanwärtern
in der Zeit zwischen seinem Tode und dem endgültigen
Einbruch der Basileia interessiert war" (24). Die