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Ausgabe:

1974

Spalte:

752-753

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gerleman, Gillis

Titel/Untertitel:

Esther 1974

Rezensent:

Bardtke, Hans

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Seite 1, Seite 2

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realite de l'armee" (S. 249). In einer militürtheorelischen
Erörterung an Hand von außerbihlischen Quellen, insbesondere
antiker Herkunft, wird sodann der Struktur
,Ordnung durch Differenzierung' nachgegangen (S. 249—
258). Es folgt eine gründliche Würdigung der entsprechenden
biblischen Aussagen, von denen die Heuschreckentexte
Prov 30,27 und Joel 2 besonders ausführlich behandelt
werden wegen der Identifizierung der wohlgeordneten Ileu-
schreckenscharen mit dem Heere Jahwes. Im Endergebnis
zeigt sich, daß in dem Titel ,Jahwe der Heerscharen' eine
spezielle Bezeichnung des Schöpfergottes vorliegt, sofern
Schöpfung durch Befehl und Separation oder Differenzierung
zur Ordnung des Kosmos führt.

Im vierten Kapitel wird dieser Ansatz weiter ausgebaut
und der Frage nach dem „milieu de vie" der priesterschriftlichen
Kosmogonie nachgegangen (S. 273—348). Es
geht um die soziologische Grundlage, von der aus die Verfasser
des priesterschriftlichen Schüpfungsberichtcs denken
und deren Struktur ihre Kosmogonie prägt. Diese „con-
ception de la vie sociale et eulturelle" (S. 274) findet B. in
besonders ausgeprägter Gestalt in den Chronikbüchern. Der
Aufbau des chronistischen Sozialmodells mit seiner Einteilung
der Kiiltfunklionürc in ,Klassen' (mahleqot) und mit
David als ihrem Gründer und Ordner an der Spitze wird in
einer gründlichen Analyse dem Leser vorgeführt. Dabei
werden auch hier die Verbindungen zum Heerwesen herausgearbeitet
. Der Chor der Leviten spielt speziell im zweiten
Chronikbuch die Rolle „d'unc garde liturgicomilitaire".
Überhaupt werden in der Chronik „des formules ou des
situations de guerre sainte" zur Schilderung der Kult-
feierliehkeiten gebraucht (S. 283). Diesem Phänomen wird
dann in aller Breite nachgegangen, wobei auch Einflüsse der
Wcishcitsübcrlieferung festgestellt werden (S. 295ff.) und die
Vorstellung des Davidsbundes, die hinter dem System der
über ganz Israel als kultisch-militärische Funktionäre des
irdischen Jahweheeres verteilten Leviten steht, eine eingehende
Erörterung erfährt (S. 305ff.). Besonderes Gewicht
liegt auch hier auf der Beobachtung, daß vor allem nach
Auffassung der Chronik mit einer Erneuerung des Bundes-
schlusses in der Kegel die Wiederherstellung der idealen
Ordnung in der Organisation der Gesellschaft verknüpft ist.
Dies aber geschieht vornehmlich durch Differenzierung, in
dem jedem sein Hodenanteil und seine Funktion in Gesellschaft
und Kult angewiesen wird. Von diesen Prinzipien
aus ergeben sich Parallelen zwischen der ßundesordnung und
der Schöpfungsordnung (S. 322ff.), und es zeigt sich, daß die
Bundesvorstellung ebenso wie die Schöpfungsvorstellung
im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht einen horizontalen
Aspekt (z. B. zwischen David und den Leviten oder
Neh 9f., Jer 34) und einen vertikalen Aspekt (zwischen
Gott und König) aufweist.

Das vierte Kapitel, dessen reicher Inhalt hier nur angedeutet
werden konnte, ist wohl der interessanteste Teil des
Buches. Hier bewegt sich der Vf. größtenteils auf Neuland,
das nur in groben Umrissen bisher durch andere Gelehrte —
insbesondere auch G. von Rad — abgeschritten wurde. Auch
der Stil der Argumentation ist glänzend, voll geistreicher
Formulierungen und getragen von einer unverkennbaren
Begeisterung, die so manche von kritischer Vorsicht gesetzte
Hürde elegant überspringt.

Zur Abrundung und Festigung der Interpretation von
Gen 1—2,4a werden im fünften Kapitel noch einige verwandte
alttestamentliche Texte behandelt (S. 345—73) und
schließlich in einem sechsten und letzten Kapitel einige
Fragen des Stils, der literarischen Gattung und des Lebenssitzes
erörtert (S. 375-394).

ncrnn Karl-Heinz Hernhardt

< Zur Methode und Ihrer Geschichte »owie zu ihrer Kritik vgl. die
Abhandlungen von K. Koch und W. Schenk in dieser Zeitschrift, 98,
1973, Sp. 801fr., 882«. P. Heauchamp hat die von ihm speziell angewandte

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Methode SVT XXII, 1972, S. 1130., erörtert. Vgl. auch daselbst den
interessanten Beitrag von R. C. Culley, S. 129ff., und den etwas anderen,
von L Spitzer beeinflußten Ansatz L. Alonso-Schokcls, SVT VII. 1960.
S. 154/T.

J Einfache Formen, Halle 1929, S. 10.

3 Ebd., S. 265.

4 Vgl. VT XIII, 19G3, S. 45611.; Diblica XLIV, 1965, S. 189ff.

5 Vgl. W. II. Schmidt, Die SchöpfungggcsiJiichte der Pricstersihrift,
Neukirchen 1964.

Gerienun, Gillis: Esther. Lfg. 2. Neukirchen-Vluyn: Neu-
kirchener Verlag des Erziehungsvereins [1973]. S. 81—151,
VI S. Titelei gr. 8° = Biblischer Kommentar. Altes
Testament, XXI, 2.

Die vorliegende zweite Lieferung enthält die Übersetzung
ab Kap. 2,21 und die Kommentierung ab Kap. 2,12ff des
Estherbuches. Alle Eigenschaften der ersten Lieferung des
Kommentars sind auch in der zweiten Auflage vorhanden,
z. B. Knappheit der Auslegung, gute Literaturangahen,
treffende philologische Bemerkungen. Die These von der
Verbindung des Estherbuches mit dem Exodusstoff in Ex
1—12 ist in den kommentierten Kapiteln, wie zu erwarten,
eindrucksvoll durchgeführt. So wird die Bemerkung in 2,11,
daß Mardochai Tag für Tag vor dem Hof des Frauenhauses
sich erging, um etwas über das Wohlergehen Esthers zu erfahren
, als Erzählzug gedeutet, der sein Gegenstück in der
Erzählung, daß die Schwester des Mose sich in einiger Entfernung
aufstellte (Ex 2,4), habe (S. 81). Zu 2,21-23 wird
bemerkt, daß Mardochai die Rolle des Schweigsamen und
des hinter den Kulissen Arbeitenden einnimmt, während
Esther die Rolle in der Öffentlichkeit übernimmt. Gerleman
sieht hierin das Verhältnis zwischen Mose und Aaron widergespiegelt
(Ex 4,10.15f). Eine Parallele zwischen der Einführung
des Mardochai in 2,5—7 und der des Ilaman in 3,1
soll nach Gerleman zeigen, daß der Erzähler sich dem neuen
Rolleninhaber gegenüber distanziert, während er den
Mardochai „gesprächig und fast liebevoll" eingeführt habe
(S. 89).

Auch in Kap. 3 findet der Vf. eine Parallele zu Exodus.
„Die Erzählung vom Purimtag mit den rituell anmutenden
Vorbereitungen erinnert an die Exodusgeschichtc und ihre
Kulmination im Passafest. In dieser sind gerade die Vorbereitungen
und das Bereitsein ein durchaus begreiflicher
und notwendiger Erzählzug, der darin begründet ist, daß
Jahwe als der Handelnde erscheint und die Menschen für
das göttliche Eingreifen hereit sein müssen: bereit zur Abwehr
der Mordengel und zum Aufbruch aus Ägypten" (S. 99)-

An verschiedenen Stellen setzt sich der Vf. mit der Arbeit
von J.C.II. Lebram, Purimfest und Estherhuch (VT 22, 1972,
208—222) auseinander, ohne ihr freilich zustimmen zu können.
Gerleman sieht in der Weigerung der Esther in Kap. 4
„einen der zahlreichen Erzählzügc, deren Vorbilder in der
Exodusgeschichte liegen" (S. 103, 100). Der Vf. verweist auf
Ex 3,11; 4,10.13; 6,12.30; 10,28. Esth 4,14 wird auf die
Möglichkeit einer göttlichen Führung gedeutet, „ohne Gott
zu nennen" (S. 107). 4,16 wird übersetzt: „Wie ich umkomme
, so komme ich um" und will vom Vf. kausal verstanden
werden (S. 107). 5,4—8 erinnert Gerleman „an
die wiederholten Billsiellerszenen des Mose vor dem Pharao
(Ex 7-10) (S. 110). In Esth 9,2-3 wird die Entsakrnlisiening
des Heiligen Krieges im Estherbuch festgestellt (S. 132). In
Ex 15,16 erregt Jahwe den Schrecken, aber nicht Mose und
auch nicht Israel. Im Ksthcrbuch ist der Schrecken vor
Mardochai und den Juden deutlich bezeugt. In 9,10 wird der
Verzicht auf Beute als eine Kritik an den israelitischen Vorfahren
in Ägypten erklärt (Ex 3,21f.; 11,2; 12,361.) (S. 133)-
Auch in Kap. 10,1—3 findet der Vf. „eine gewisse

Ähnlichkeit

mit Mose als Mittler und Fürsprecher Israels" (S. 144).

Es kann in dieser Besprechung nur auf einzelne Punkt''
hingewiesen werden. Auch wenn man die Grundlhesc 00
Verfassers (vgl. ThLZ 97, 1972, 185f) nicht teilt, wird m»n
seinen Kommentar mit großem Gewinn benutzen können-
Der Hinweis auf zahlreiche entlegene und wenig bekannt0

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 10