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Ausgabe:

1974

Spalte:

684-689

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Luther: Sol, ratio

Titel/Untertitel:

erudio, Aristoteles 1974

Rezensent:

Haendler, Klaus

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083

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 9

084

dos Tuskulanerpapsttums ein. Die Beziehungen der drei
Päpste zu Mönchtum und Reform werden genauer erörtert
und im wesentlichen als positiv gesehen. Nach der
Erörterung des Sturzes Benedikts IX., der zu zahlreichen
Kontroversen bereits der Zeitgenossen Anlaß
gab, wendet H. sich konsequenterweise den Wertungen
und Urteilen zu, die die drei genannten Päpste und ihre
Pontifikate von damals bis heute gefunden haben. Wir
kommen darauf noch zurück.

In einem knappen Exkurs bringt H. alles Notwendige
zur Datierung der Tuskulanerpontifikate zusammen.
Ein Stammbaum, Quellen- und Literaturverzeichnis,
Abkürzungsverzeichnis und Register verdeutlichen, daß
der Autor auf einer soliden Basis steht, und unterstützen
das Verständnis seines Buches.

Soweit ich es übersehen kann, setzt H. sich bis in die
Einzelheiten hinein intensiv' überdies engagiert - mit
seinem Thema auseinander. Er versteht es auch, dem
Leser das Wesentliche nahezubringen, wobei er freilich
oft in eine der Sache wenig angemessene, zuweilen eher
journalistische als wissenschaftliche Ausdrucksweise
verfällt (S.38: diplomatische Sporen; 8.30: Kooperation
[zwischen Kaiser und Papst]; S.28: zogen sich
Kaiser und Papst ... zu einer ersten Arbeitssitzung
zurück"; S.46: ... „partnerschaftlichen Zusammenarbeit
zwischen Königtum und tuskulanischem Papsttum
"; S.52: „zugunsten eines offenen Schlagabtauschs
mit Byzanz"). Man kann zu der gewählten Diktion verschieden
stehen; sie lockert zweifellos auf und mag auch
manchem Leser attraktiv erscheinen. Dem Thema erscheint
sie wenig angemessen, und nicht selten involviert
sie einen Anachronismus. Denn wie beispielsweise soll
der moderne, in der Kirchengeschichte nicht immer sehr
versierte Leser etwas von den komplizierten Beziehungen
zwischen Kaisertum und Papsttum im 11. Jh. mitbekommen
, wenn er hier von gegenseitiger „Kooperation
" hört? An anderen Stellen beleuchtet H. die kirchenrechtlichen
Fragen genauer, so wenn er die Beziehungen
der Päpste zu den Metropoliten und zu namhaften
Äbten wie Odilo von Cluny exakt ausleuchtet.
Obwohl der Adelsstolz der Tuskulaner m. E. stärker war,
als H. dies wahrhaben möchte, sind sie doch oft bereits
für das Reformmönchtum eingetreten, wobei jedoch
«elbst das „generöse" Exemtionsprivileg, das Johannes
XIX. für Cluny erließ, die Suprematie des Päpstlichen
Stuhles - nicht nur gegenüber den französischen
Bischöfen und Metropoliten - besonders gut verdeutlichte
. Die drei Tuskulanerpäpste haben, als echte
Aristokraten die Tendenzen ihrer Zeit wahrnehmend,
ihren eigenen Machtwillen fast eindeutig in den Dienst
der Kirche gestellt, aber doch so, daß bei jeder sich
bietenden Gelegenheit neben der Stärkung der Kurie
auch ein eigener Autoritätszuwachs zustandekam. Das
zeigt sich an ihrer, im einzelnen freilich sehr unterschiedlichen
und meist der jeweiligen Machtkonstellation angepaßten
Haltung gegenüber den Kaisern und den
anderen Fürsten: Etwa in der Süditalienpolitik, wo zunächst
eine gemeinsame Frontstellung Papst/Kaiser
gegen Byzanz zustande kommt, in die bereits normannische
Söldner hineingenommen werden, die später
Unteritalien und Sizilien zu eigenen Domänen machen;
hier waren die drei Tuskulanerpäpste - wenn man von
einigen Elementen in der Klosterreform absieht - am
ehesten auch Wegbereiter einer neuen Entwicklung
(S.73), zumal sie die kirchliche Neuorganisation in
Unteritalien im geschickten Lavieren zwischen den Ansprüchen
der verschiedenen Mächte und Dynasten zu
erweitern wußten.

Im übrigen scheint mir H. die Leistungen dieser
„Baronalpäpste" doch etwas zu überschätzen. Es gelingt
ihm nur selten, die meist negativen Zeugnisse der

damaligen Geschichtsschreibung (und mag diese noch so
sehr libellistisch bestimmt gewesen sein, so enthält doch
fast jedes ihrer Zeugnisse einen realen Kern) über diese
Triade' wesentlich zu entkräften. Man wird dabei
natürlich unterscheiden und Leistungen Benedikts VIII.
und Johannes' XIX. positiv-nüchtern einzuschätzen
versuchen, wenngleich ihre simonistischen Praktiken
und ihr, wo möglich, übersteigertes Geltungsbedürfnis
nicht zu übersehen sind. Daß das „tuskulanische Papsttum
sich seiner Eigenständigkeit voll bewußt war"
(S.24), soll nicht bestritten werden; liegt aber in dieser
Feststellung nicht vor allem die Möglichkeit verborgen,
daß diese selbstbewußten Adligen die gesamte Kirche
etwa so ähnlich wie eine „Eigenkirche" ansahen? Um so
eher wären ja die Maßnahmen der Reformpäpste auch
von diesem Ausgangspunkt her zu begreifen. Dieser
Gesichtspunkt wäre wohl auch in die Untersuchung ein
zubauen, inwiefern es nach einein, wie H. will, ruhigen
und verantwortungsbewußten Pontifikat Benedikts IX.
über 12 Jahre hinweg (1032/44) zum Sturz dieses
Papstes kam, der dann - trotz seines Verzichtes von
1045 - den Pontifikat 1047 erneut übernahm und den
Versuch nach dem Tode Leos IX. wiederholte.

Die Verdienste Benedikts IX. insbesondere um eine
Kurienreform mögen unbestritten bleiben; dieses Vorhaben
dürfte jedoch durchaus pragmatische Ursachen
gehabt haben. Und die Trennung des päpstlichen Privat-
haushaltes vom offiziellen Sacrum palatium (S.24;
sicherlich eine Imitation spät antiken Verwaltungs- und
Finanzgebarens) kann man gerade andersherum werten,
als H. es will, der darin eine Art Verzicht sieht: Der
Papst wollte seine „monetäre Selbständigkeit" bewahren
; und vielleicht nur, weil er dies tat, war er nach
1045 auch noch mehrmals imstande, mit Hilfe seiner
Hausmacht „kräftig" um die Wiedererlangung des
Thrones zu kämpfen.

Halle/8. Hans-Joachim Diesner

Düring, Walter: Das Ordal der Psalterprobe im Codex Latinus

Monacensis 100 (MThZ 24, 197:! S. 266-278).
Rock, Martin: Aggression einmal anders. Zum Stellenwert der

„aggressio" bei Thomas von Aquin (TThZ 82, 1973 S. 307

bis 373).

KIRCH EN GESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Luther: Sol, Ratio, Erudio, Aristoteles. S.A. aus „Archiv für
Begriffsgeschichte" XIV, 2 (SOL, Ratio) und XV, 1 (Erudio,
Aristoteles) S. 172-265 u. S.7-93. Probeartikel zum Sachregister
der Weimarer Lutherausgabe (Abt. Schriften),
im Auftrag der Kommission zur Herausgabe der Werke
Martin Luthers unter der wissenschaftlichen Leitung von
Heiko A. Oberman bearb. V.Mitarbeitern der Abt . „Register"
am „Institut für Spätmittelalter und Reformation" in
Tübingen. Bonn: Bouvier [1971]. gr. 8°.

Das Sachregister zum Hauptkorpus der Weimarer
Luther-Ausgabe - seit Jahrzehnten als Abrundung und
zwecks voller Ausnutzung der unübersehbaren Schätze
der WA erhofft, vor einem Vierteljahrhundert versuchsweise
und von vornherein insuffizient bleibend begonnen
(Georg Buchwalds Material in WA 58 I), seit einem
guten Jahrzehnt im Tübinger „Institut für Spätmittelalter
und Reformation" unter Hanns Rückert und Heiko
A.Oberman tatkräftig in Angriff genommen: nunmehr
also scheint es Wirklichkeit zu werden! Indiz dessen sind
vier Probeartikel, die im Rahmen des „Archivs für
Begriffsgeschichte" vorgestellt werden: „Sol" (Werner
Bohleber; ABG XIV/2. S. 177-191), „Ratio" mit Ab-