Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1974

Spalte:

682-684

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Klaus-Jürgen

Titel/Untertitel:

Das Tuskulanerpapsttum 1974

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

681

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 9

682

zählt, Gregor sei von den ihn umringenden Klerikern
seliggepriesen worden und habe dazu gesagt: „Nichts
von meinen Mühen halte ich für entscheidend; ich vertraue
nur darauf, daß ich immer die Gerechtigkeit geliebt
und das Böse gehaßt habe". Im Hinblick auf die
Sorgen seiner Berater habe der sterbende Papst dann
noch mit emporgestreckten Händen erklärt: „Dorthin
werde ich aufsteigen und Euch mit innigen Gebeten
dem gnädigen Gott empfehlen" (S.49). Die daran anschließenden
Kapitel 109 und 110 berichten anders:
Der Papst empfiehlt in Kap. 109 Anfang einen Nachfolger
; H. spricht von einer „die Tatsachen grob verfälschenden
Schilderung" (S. 49/50). Nach kirchenpolitischen
Maßnahmen kommen dann jene „letzten
Worte", die historisch so wirksam werden sollten, also
mit dem Zusatz „deshalb sterbe ich im Exil". Sehr klar
stellt H. heraus: „In Kapitel 109 und besonders 110
trifft der Papst sachliche Anordnungen für die Zeit
nach seinem Ableben. Dagegen schildert Kapitel 108
Gregor VII. in seiner Sterbestunde völlig dem Jenseits
zugewandt. Er bedenkt auf dem Sterbebett den ihm
unmittelbar bevorstehenden Schritt in die Ewigkeit"
(S.51). überzeugend zeigt H., daß das biblische Zitat
ohne Zusatz ganz der Denkweise Gregors entsprach.
Als Zwischenergebnis stellt H. heraus, „daß kein begründetes
Bedenken dagegen, jedoch alles, was an glaubwürdigen
Zeugnissen zu Gebote steht, dafür spricht, der
Papst habe auf seinem Sterbelager Psalm 44,8 in eben
der Form und in dem Zusammenhang zitiert, wie Kapitel
108 der Vita des Paul von Bernried es beschreibt"
(S.56/57).

Freilich wird die bekanntere Form der letzten Worte
Gregors VII. - also mit dem Zusatz - auch in anderen
Quellen gebracht. In Kapitel 38 der Vita Anselmi epi-
scopi Luccensis, die 1088 abgeschlossen war, findet sich
die Erinnerung an den drei Jahre zurückliegenden Tod
Gregors: „Post omnia dilexi justitiam et odio habui
iniquitatem, idcirco morior in exilio" (S.64). Daraus
ergibt sich, „daß der Gregor VII. zugeschriebene Satz
keine spätere Erfindung ist, sondern kurz nach seinem
Ableben bekannt war" (S.64). In der christlichen Lehre
hat aber das Leiden, und dazu gehört auch das Exil,
einen hohen Stellenwert, wenn es um der Gerechtigkeit
willen geschieht. Das geht zurück auf die Bergpredigt
(Mt5,10) und 1 Petr 4, Augustin hat diesen Gedanken
mehrfach geäußert, die Regel Benedikts empfiehlt „per-
secutionem pro justitia sustinere" (S.67, Anm. 210). Im
11. Jh. beriefen sich Gregor VII. und seine Gegner auf
ihre jeweiligen Leiden. „Die Briefe Gregors VII. enthalten
geradezu ein Florilegium von Bibelstellen, die den
Kausalzusammenhang zwischen dem Leiden der Gerechten
hinieden und ihrem jenseitigen Lohn verkünden
" (S.68). So haben denn auch Gregors Anhänger
seinen Tod im Exil verstanden: „Obiit martyr et con-
fessor" (Hugo von Flavigny, S.70). Die dem Tode Gregors
zeitlich nächste Quelle ist ein Stück aus der Hannoverschen
Briefsammlung, der sich H. im VI. Kapitel zuwendet
(S.74-101). Der Domscholaster Bernhard von
Hildesheim legte eine Sammlung gregorianischer Schriftstücke
an, die in die Jahre 1072-1085 führen. Darin
findet sich eine „Aufzeichnung über den letzten Willen
Gregors VII.", die das „letzte Wort" in der ausführlichen
Gestalt überliefert. Dieses Schriftstück dürfte
unmittelbar nach Gregors Tod geschrieben worden sein.
Man mußte der Propaganda des erfolgreichen Gegen-
papstea Wibert entgegentreten, der die Katastrophe
Gregors als ein Gottesgericht ausdeutete. „Der Papst
spricht in der längeren Fassung jenes Maß an sicherer
Heilsgewißheit aus, das dem mittelalterlichen Leser
durch die Kombination von Gerechtigkeit und Tod in
der Verbannung ohne weiteres einsichtig war und nahelegen
mußte, den Toten als heiligen Märtyrer und Bekenner
zu betrachten..." (S.95). Auch Otto von Freising
kannte diesen Zusammenhang, leitete jene letzten
Worte freilich distanziert mit „dixisse fertur" ein
(S.97). Das Ergebnis von H. ist klar: Die letzten vier
Worte „Propterea morior in exilio" stammen nicht von
Gregor, sie sind aber unmittelbar nach seinem Tode aus
propagandistischen Gründen von seinen Anhängern
verbreitet worden. „Die in vollkommenem Einklang
mit Gregors Gedankenwelt vorgenommene Erweiterung
des ursprünglichen Satzes zu dem berühmten Abschiedswort
, die zugleich eine Umprägung bedeutete, diente
dem Nachweis, daß der Verstorbene ein Heiliger sei"
(S.101). Die „bis zum heutigen Tag dauernde große
Wirkung spricht für das publizistische Geschick des
Mannes, der das Manifest der gregorianischen Partei
im Jahre 1085 mit dieser Pointe versehen hat" (S.102).
Der Flugschriftenkampf des ll.Jh.s bildet den Hintergrund
: „Der Satz faßt Wesen, Überzeugungen und Wirkung
einer welthistorischen Persönlichkeit auf die ihr
nächststehenden Zeitgenossen in die denkbar prägnanteste
, ihre Gestalt wahrhaft klassisch resümierende Formel
" (S.104).

Man liest die gründliche Quellenuntersuchung von H.
mit Spannung und Freude. Die Deutung aus den zeitgenössischen
Vorstellungen ist überzeugend. Von diesem
Ergebnis her fallen frühere Deutungsversuche über den
„verbitterten" oder „gescheiterten" Gregor einer ausführlichen
Kritikanheim (Kap.III, S.24-48). Am Schluß
freilich nennt H. Stimmen, die schon früher in seine
Richtung wiesen: Haller und Grundmann hatten gesagt
, daß Gregor sich „als Märtyrer fühlte" (S. 106).
Der oft unterschätzte Berliner KirchenhistorikerAugust
Neander hatte geurteilt, Gregors „Tod im Unglück"
sei der „für das System der kirchlichen Theokratie
eifernden Parthei ... als ein Märtyrertum für die heilige
Sache erschienen" (S. 106). Der Theologe hat zu danken
für reiche Hinweise zur Auslegungsgeschichte bestimmter
Bibelstellen (S.58-62 u.a.) sowie auf Kirchenväter;
zu bedauern ist nur das Fehlen von Indices. Das Buch
von H. gehört zu den seltenen Arbeiten, die mehr bieten,
als im Titel versprochen wird.

.Rostock Wert Haendler

Herrmann, K laus-Jürgen: Das Tuskulanerpapsttum (1012 bis
1046). Benedikt VIII.,' Johannes XIX., Benedikt IX. Stuttgart
: Hiersemann 1973. VII, 220 S. gr. 8° = Päpste und
Papsttum, in Verb. m. R.Elze, O.Engels, W.Gessel,
R.Manselli, Ü.Müller, T.Nyberg, W.Ullmann, E.Wein-
zier), P.Wirth u. H.Zimmermann hrsg. v. G.Denzler, 4. Lw.
DM 84,-.

Eine Geschichte der aus dem Tuskulaner Grafengeschlecht
stammenden drei Päpste ist durchaus Desiderat
und paßt in diese Reihe gut hinein. H. unternimmt
es, die kurz vor der großen Reform des ll.Jh.s
regierenden Pontifices vor allem in den wechselseitigen
Beziehungen zwischen den römischen bzw. italienischen
Adelsparteien, dem deutschen Königtum und den sonstigen
geistigen und weltlichen Gewalten Europas zu zeigen
, wobei er r ganz zu Recht - übergreifende Gesichtspunkte
und somit, von der Gliederung seines Buches her,
synchrones Vorgehen dem chronologischen vorzieht.

So wendet H. sich nach Erörterung der Fragen „Adlige
auf dem Papstthron", „Im Schlepptau der imperialen
Politik" und „Angriff auf den Süden" den Beziehungen
dieser Päpste zu den wichtigsten Metropoliten und
Patriarchen (Mainz, Trier, Köln, Ravenna, Aquileja-
Grado, Mailand) zu und geht auch auf die allgemeine
Entwicklung Westeuropas zur Zeit und „im Zeichen"