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Ausgabe:

1974

Spalte:

680-682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hübinger, Paul Egon

Titel/Untertitel:

Die letzten Worte Papst Gregors VII. 1974

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 9

(WO

tel 3; „Wachablösung! Kin neuer Mann übernimmt den
Posten eines anderen, dessen Kräfte von Wachen und
Kämpfen verzehrt sind. Hangen erfüllt das Herz, das
sich eben noch geborgen gefühlt hat im Schöße seiner
Familie. Wohl dem, der sich von anderen umsorgt weiß!
Weh dem, der die Sorgen der anderen trägt..." (S. 117).
Manchmal geht solche Ausdrucksweise etwas weit.
Da ist S. 137 die Rede von Teutberga, der verstoßenen
Gemahlin König Lothars, die ins Kloster gehen will:
„Doch der unerbittliche Kämpfer in Rom für Zucht und
sittliche Ordnung erklärte sich damit nicht einverstanden
; denn sie war der Stachel im Fleisch Lothars, den zu
entfernen sich niemand unterstehen sollte. Damit das
wunde Gewissen des Königs sich nicht schlafen legte,
mußte die Verstoßene als ein rührendes Denkmal seiner
Schande in der Welt stehen und ausharren Trotz
solcher Wendungen steht der wissenschaftliche Wert des
Buches außer Zweifel. Fast jede Seite ist mit Anmerkungen
versehen, in denen Quellen und Literatur verzeichnet
sind. Das Ergebnis, die bessere Beurteilung des
Papstes Hadrian IL geht freilich nur sekundär auf rein
historische Forschung zurück. Primär wirksam ist ein
bestimmter Maßstab, von dem her G. die Ereignisse
wertet.

Da ist eine betoute Offenheit der Ostkirche gegenüber.
Zum Streit zwischen Nikolaus und Photios heißt es:
„Wenn Papst Nikolaus Bewunderung dafür erweckt,
daß er auch unter stärkstem Druck kein Jota von dem
aufgab, was er einmal als recht erkannt hatte, dann kann
man auch Photios die Hochachtung nicht versagen. Man
hat kein Recht, ihm Treue und ehrliche Überzeugung
abzusprechen. Wie in einer klassischen Tragödie das
Tun eines Menschen, das doch von seinem Gewissen
diktiert wird, ihn immer tiefer in schicksalhafte Verstrickung
und Schuld führt und dadurch Unglück heraufbeschwört
, so wurde Photios Schritt für Schritt vorwärts
gedrängt..." (S.110). Kapitel3, Abschnitt7 trägt
die Überschrift: „Das .achte ökumenische Konzil'",
(S. 207ff.), wobei die Anführungsstriche sehr gezielt
sind. G. wünscht, „daß man offiziell in der katholischen
Kirche davon Abstand nähme, das IV. Konstantinopoli-
tanische Konzil als VIII. allgemeines unter die ökumenischen
Konzile zu rechnen. Es würde dadurch kein
Dogma der katholischen Kirche untergraben..."
(S.313). Großen Raum erhalten die Slawenlehrer Metho-
dios und Konstantinos. Energisch bestreitet G. die
Meinung, daß in der Liturgie nur die drei Sprachen
Latein, Griechisch und Hebräisch verwendet werden
dürften. Hier liegt ein besonderes Verdienst Hadrian II.:
„Nicht alle Nachfolger Hadrians II. haben den gleichen
offenen, kirchlichen Sinn und seinen Weitblick besessen
. Johannes VIII. verbot für einige Zeit den Gebrauch
des Slawischen in der Liturgie... Trotzdem nahm
sie ihren Siegeszug durch den christlichen Orient und ist
heute heiliges Erbe nicht nur der orthodoxen, sondern
auch der römisch-katholischen Kirche" (S.311). Freilich
hätte man sich hier eine stärkere Fundierung in den
Quellen gewünscht. G. sagt, man habe Aussprüche von
Kirchenvätern über den Vorzug der drei alten Kirchensprachen
mißverstanden. Als Beweis sind nur Isidor
von Sevilla zitiert (S. 157, Anin.26). Hieronymus und
Hilarius werden erwähnt, aber ohne Quellenbeleg.
Vermißt habe ich ferner einen Hinweis auf die Arbeit
von Karl Schmid: „Waldradas Verwandtschaft in neuen
Quellen" (Frühmittelalterliche Studien, II, 1968,
S.128ff.); G. erwähnt „eine gewisse Waldrada", die in
recht trübem Licht bleibt (S.42 u.a.).-de Meinung, die
karolingischen Herrscher „neigten eine bilderfeindlichen
Einstellung zu" (S.49) stimmt so pauschal nicht.
Ludwig d. Fr. dachte anders als sein Vater, das Pariser
Konzil 825 urteilte anders als Libri Carolini 791 (vgl.

das Handbuch „Die Kirche in ihrer Geschichte",
Teil E, 1961, S.56 61).

Solche Kritik an Kinzelheiten wird aber weit überwogen
von Dank. Weite Partien des Buches geben wörtlich
Quellen wieder, besonders eindrucksvoll ist Hinkmars
Brief an Hadrian II. (S.253ff.). G. scheut sich
nicht vor deutlicher Kritik; im Zusammenhang mit
Papst Nikolaus fällt das Wort „Gesetzesverdrehung"
(S.85). G. begrüßt es, daß Hadrian im Khehandel Lothars
nicht so radikal vorging wie Nikolaus: „Man hat keinen
Grund, ihm deswegen Schwäche oder prinzipienlose
Nachgiebigkeit vorzuwerfen ... eines Schuldigen Buße
und Reue abzulehnen, wäre nicht christlich gewesen.
Das Ausmaß der Buße lag im Ermessen des Papst««,
Die Maßstäbe Hadrians freilich waren anders als die des
Nikolaus. Eher wäre zu fragen, ob Nikolaus richtig gehandelt
hat..." (S.149). G. meint wohl auch nicht nur
das 10. Jahrhundert, wenn er vorschlägt: „Unter solchen
Umständen hätte das Wohl der Kirche weitgehende
Vollmachten für die Spitzen-der einzelnen Landeskirchen
oder für die Bischofssynoden erfordert, wodurch
schnelle und treffsichere Entscheidungen hätten ermöglicht
werden können. Statt dessen wurde schon in
der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts jene Entwicklung
verstärkt fühlbar, die zum römischenZentralis-
mus führen sollte..." (S.314). Offen sagt G., daß Hadrian
aus einer Priesterehe stammte, verheiratet war und
eine Tochter hatte; dennoch steht fest, „daß Hadrian
kein schlechter Papst war. Der Priesterzölibat kann
nicht auf reinen Nützlichkeitsgründen fundiert sein"
(S.314). Das Buch schließt mit folgendem Absatz: „Eine
letzte Erkenntnis aus der Lebensgeschichte Hadrians IL
drängt sich auf: Die Kirche ist zu allen Zeiten in Gefahr,
bei Althergebrachtem verharren zu wollen. Auch die
Kirche steht unter dem Trägheitsgesetz. Es äußerte sich
im Trilinguismus des neunten Jahrhunderts. Nur gegen
härtesten Widerstand hat sich die slawische Liturgie
durchgesetzt. Es bedarf geistiger Anstrengung und
Wachheit, um die Macht der Gewohnheit zu brechen. Zu
Recht nennt man die Kirche auf Erden die ,Kirche der
Pilgerschaft'. Sie muß zu immer neuem Aufbruch bereit
sein, die Lenden gegürtet, den Stab in den Händen.
Sie muß feinfühlig sein für das Wehen des Geistes, der
,weht wo er will' (S.315). Das ist eine Umschreibung
des Grundsatzes „ecclesia Semper reformanda", den
man aus katholischem Munde in neuerer Zeit häufiger
hören kann; er hat auch in diesem Buch in dankenswerter
Weise Ausdruck gefunden.

Kostock Gert Haendler

Hübinger, Paul Egon: Die letzten Worte Papst Gregors VII.

Opladen: Westdeutscher Verlag fl973}. 112 S. gr. 8°
= Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften.
Geisteswissenschaften. Vorträge G 185, hrsg. von der Rheinisch
-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Kart.
DM 16,80.

Seit jeher gab es Meinungsverschiedenheiten um die
angeblich letzten Worte des Papst Gregors VII.: „Dilexi
justitiam et odivi iniquitatem, propterea morior in exi-
lio". Die erste Hälfte des Zitats stammt aus Psalm 45,8
(Vulgata-Zählung 44,8), die letzten vier Worte sind nicht
biblisch. Hübinger schildert zunächst die Lage des Jahres
1085, in dem Gregor VII. in Salerno starb. Er verweist
auf die Darstellung jener Vorgänge im Jahre 1128 durch
Otto von Freising, er stößt dann auf die noch im 11. Jh .
abgefaßte Vita Gregorii des bayrischen Chorherrn Paul
von Bernried. In Kapitel IV (S.48-64) untersucht H.
die zweifache Information, die Paul von Bernried über
die Todesstunde Gregors VII. bietet: Kapitel 108 er-