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Ausgabe:

1974

Spalte:

603-605

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Borgomeo, Pasquale

Titel/Untertitel:

L' Église de ce temps dans la prédication de Saint Augustin 1974

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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603

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 8

604

[Smith, Morton:] Documentation and Reflection: Morton

Smith and Clement's Letter about a Secret Gospel of Mark

(AThR 56, 1974 S. 52).
Smith, Robert H.: Darkness at Noon: Mark's Passion Narra-

tive (CTM 44, 1973 S. 325- 338).
Spriggs, D. G.: Meaning of 'Water' in John 3,5 (ET 85, 1973

S. 149-150).

Trompf, G. W.: The Markusschluß in Recent Research
(Australian Biblical Review 21, 1973 S. 15-26).

Unnik, W. C. van: Corpus hellenisticum Novi Testamenti
d'Utrecht (EThR 49, 1974 S. 55-56).

Watson, N.M.: The Interpretation of Romans VII (Australian
Review 21, 1973 S. 27-39).

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Borgomeo, Pasquale: L'tglise de ce temps dans la predica-
tion de Saint Augustin. Paris: Stüdes Augustiniennes 1972.
437 S. gr. 8°.

In dieser umfangreichen und gründlichen Arbeit wendet
B. sich einem ebenso wichtigen wie strittigen Thema zu:
der Gestalt der „gegenwärtigen irdischen Kirche" im Werk
Augustins, speziell in seinen Predigten. Die mit Hilfe einiger
Indices (Index Locorum, Verborum, Analytique, Biblio-
graphique) relativ gut aufschlie5bare Arbeit geht dem Problem
mit behutsamer Hartnäckigkeit zu Leibe.

Nach einleitenden Bemerkungen zu Textausgaben und
ähnlichem stellt B. die Frage nach der noch fortbestehenden
Berechtigung der Themenstellung, nach der Eingrenzung
des Themas auf die „Predigt" Augustins sowie nach der anzuwendenden
Methode. Er fragt nach dem Nutzen einer
exakten philologischen Untersuchung und zeigt in seiner
Untersuchung selbst an vielen Stellen, wie wichtig der Rückgriff
auf genaue Wortanalyse und Einzelinterpretation zumeist
tatsächlich ist. Bedeutsam ist auch B.s Hinweis, daß
er, soweit möglich, auf einen „ökumenischen" Augustin
hinzielen will.

In einer „Introduction" wird über Zeit und Ewigkeit reflektiert
, sodann wird die Ecclesia ab Abraham von der
Ecclesia ab Abel und der Ecclesia quae nunc est abgesetzt.
B. hebt hier die Inkarnation als den „kairös central du
temps" (S. 33) hervor.

Der erste Hauptteil (L'Eglise, mystere dans l'histoire: Le
peuple nouveau) setzt sich ausführlich mit dem Verhältnis
von Kirche und auserwähltcm Volk auseinander. Mit Akribie
werden Begriffe wie gentes, gentilis und paganus überprüft
und zueinander gestellt. Ein wichtiges Ergebnis dieser
Untersuchungen bleibt vor allem, daß gentes und pagani
dieselben „Objekte* bezeichnen, aber in zwei verschiedene
Richtungen gehen: Während gentes im Hinblick auf die „vo-
catio omnium gentium" positiv eingesetzt wird, gilt für pagani
die negative Einordnung („marquant la resistance
ä l'Evangile, lc refus ä l'appel, l'obstination dans l'idolätric
et dans le culte des demons" S. 42). Für gentiles insbesondere
verweist B. auf die Notwendigkeit eines ständigen
Testes der Gegensätze wie der möglichen Identifikationen,
da es bald auf „Völker" und „Nationen", bald auf „Heiden"
hinweist.

In angrenzenden Partien wird das Problem der Juden untersucht
, die für Augustin sowohl das auserwählte Israel
wie die Gegner Christi sind; oft wird die Ecclesia zum
„verus Israel" (S. 42). De facto erklärt sich die ambivalente
Einschätzung des Judentums, wie B. richtig urteilt, von daher
, daß man in der Augustin-Zeit die Kirche durch jüdische
Gruppen von außen wie von innen gefährdet sah (und auch
durch Heiden). Die äußere Zuspitzung vor allem führte bereits
im frühen Mittelalter zur scharfen Herausprofilicrung
des religiösen Antisemitismus (etwa Isidor v. Sevilla). In

den anderen Hauptteilen (2. L'Eglise, mystere d'esperance:
Le pelerinage, 3. L'Eglise, mystere d'unite: Le Corps du
Christ, 4. L'Eglise, mystere de patience: Le melange) wendet
B. sich zentralen Problemen der augustinischen Ekkle-
siologie zu. Hier tauchen Fragen der Katholizität, der Auseinandersetzung
mit den oft auf einzelne Gebiete begrenzten
Schismen und Häresien (Donatismus) ebenso auf wie
andere, mehr hintergründige Probleme der peregrinatio.
Sehr plastisch zeigt B. beispielsweise, wie vielschichtig
Augustin in den - natürlich für einen breiten und oft wenig
gebildeten Hörerkreis bestimmten - Predigten die Kirche
auch als Körper sieht, der - wie der Einzclmensch - auf
die unterschiedlichsten Funktionen ausgerichtet ist. Das meiste
wird unter den Begriffen manducatio und partus eingefangen
, die aber auch im gemitus irgendwie Verbindung
finden (s. 179: „le substantif gemitus autant que le verbe
parturio marquent le nunc du temps present de l'Eglise").
Von hier aus gewinnt B. auch Zugang zur Identification Christus
- Kirche, die natürlich begrenzt ist, da sich der Gedanke
der permixtio, der Mischung der sichtbaren Kirche aus Guten
und Bösen, ständig durchsetzt. B. gibt solchen wie anderen
realistischen Positionen Augustins erfreulich breiten
Raum und stellt seine Arbeit auch von da aus auf eine solide
Grundlage. Er läßt jedoch deutlich erkennen, daß er
noch nicht jede der komplizierten Fragen, die sich allenthalben
stellen, einer Lösung entgegenführen kann. Das wäre
vom immerhin begrenzten Material her, das die Predigten
darstellen, auch nicht möglich. Es bleibt in diesem „Material*
trotzdem genug an Widersprüchen und unterschiedlichen
Deutungsmöglichkeiten.

So im dialektischen Miteinander und Gegeneinander von
Civitas Dci und Civitas terrena, zwischen denen ein „tertium
quid" steht, wie B. im Anschluß an Marrou und Journct näher
erörtert; oder In der scheinbaren oder wirklichen Identität
von Ecclesia Sanctorum, Corpus Christi und Civitas Dei
(im Endstadium des Jerusalem Caelcstis). Die Weite und
Fülle Augustins, die B. auch an den zahlreichen Gleichnissen
zeigt, in denen die Kirche mit dem Fischfang, mit dem
Acker und mit der Tenne in Zusammenhang gebracht wird,
führt vor allem auch auf permixtio und perplcxio hin, die
dem Kirchenvater Anlaß zu Optimismus wie zu Unsicherheit
geben: Die Berechtigung beider „Tendenzen" verdeutlicht
er in den Predigten mit einer eindringlichen Schärfe, wie sie
sich für andere Arbeiten oft von selbst verbot. Ein Schlußabschnitt
ist den verschiedenen Aspekten der Kirche unter
der pressura der Zeit ( = L'£glise commc patience) gewidmet
. Die duldende Kirche wird sich mit Toleranz, aktiver
Standhaftigkeit, Hoffnung und Caritas durchsetzen.

Von dieser Stelle aus scheint es nötig, einige Bedenken anzumelden
, die sich weniger gegen B.s Untcrsuchungsmc-
thode als gegen seine Stellenauswahl richten mögen. Er
„harmonisiert" hier und da und läßt von dem in mancher
Hinsicht als „Block" aufzufassenden Prcdigtcorpus Augustins
aus wohl auch dessen Ekklesiologic als etwas zu geschlossen
erscheinen. Und von der Themenstellung her erscheint
die Kirche - in einer vielleicht unbeabsichtigten
Akzentverschiebung - als das allein Wesentliche, alles andere
als unwesentlich. Das ist zwar augustinisch, es ist aber
wiederum nicht der ganze Augustin. Aus der Untersuchung
von Augustins antihäretischen Schriften würde sich bereits
eine etwas andere Akzentsetzung ergeben. Freilich ist das
ein weites Feld; dasselbe gilt für die Frage, ob eine stärker
chronologisch, nicht ausschließlich systematisch vorgehende
Untersuchung der einzelnen Predigten und Prcdigtgruppc"1
nicht noch weitere Akzente in Augustins Lehre von de"
Kirche hätte einführen können. Wir können nur andeuten,
daß sich Augustins Ekklesiologie in den Predigten der frühen
Hipponenser Jahre teilweise anders widerspiegelte a'5
in den spätesten Scrmones.