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Ausgabe:

1974

Spalte:

600-602

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Meurer, Siegfried

Titel/Untertitel:

Das Recht im Dienst der Versöhnung und des Friedens 1974

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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599

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 8

600

Neues Testament und christliche Existenz. Festschrift für
Herbert Braun zum 70. Geburtstag, hrsg. v. H. D. Betz u. L.
Schottroff, S. 421-437).

Leider wissen wir über die Anfänge dieser jüdischen Mystik
nur sehr wenig. Ist man aber erst einmal davon überzeugt
, dafj es in dieser Zeit überhaupt schon so etwas wie
sine Vorform der jüdischen Merkabah-Mystik gegeben hat,
stößt man immer wieder auf solche Spuren in apokalyptischer
wie auch in gnostischer Literatur. Die hellenistischjüdische
Literatur dieser Zeit, soweit sie nicht von Christen
weiter tradiert wurde wie Philo, ist, wenn ihr der Hauch
des Häretischen anhaftete, bis auf spärliche Reste der pharisäischen
Restauration zum Opfer gefallen. Der Raum des
Hypothetischen ist darum besonders groß. Gerade Philo
nimmt aber bei solchen Überlegungen eine Schlüsselstellung
ein. Bei Philo sind ja viele Traditionen aufgenommen,
die er dann freilich anders interpretiert hat. Z. B. hat W.
zwar recht, daf} die Äußerungen des Hebr über Mclchise-
dek in eine ganz andere Richtung gehen als die Philos in
all 111,79-82, aber in dem Einleitungsstück in 111,79 gibt
es Wendungen, die vermuten lassen, dafj Philo auf einer
Tradition fußt, die in der Richtung der Tradition von Hebr
7,1-3 liegt. Ähnliche Spannungen zwischen einer Art mystischer
Spekulation und philonischer Interpretation lassen
sich auch in den Äußerungen über den Hohenpriester, den
Logos, die Gotteskräfte und das Heiligtum finden. In dieser
vorphilonischen Tiefenschicht wird das Verhältnis zwischen
Philo und Hebr außerordentlich interessant und reizt zu
neuen Untersuchungen.

So ist das Werk W.s trotz der Richtigkeit der Hauptthese,
daf) der Vf. des Hebr kein Philonist ist, nicht das letzte
Wort in der Frage nach dem Verhältnis von Philo und
Hebr. Der Wert des Buches besteht in der Nötigung, das
Problem auf einer neuen Ebene zu durchdenken.

Leipzig Karl Martin Fischer

Schneider, Gerhard: Anfragen an das Neue Testament.

Essen: Ludgerus Verlag [1971]. 167 S. 8" Kart. DM13.50.

Vf. hat sich in diesem ansprechenden Büchlein die Aufgabe
gestellt, einem »weiteren Leserkreis" das Verständnis
für die moderne exegetische Forschung und deren Ergebnisse
zu eröffnen. Dabei lautet seine Grundüberzeugung:
.Die heutige Auslegungswisscnschaft kann der Verkündigung
des Evangeliums und dem Glauben weitaus besser
dienen als eine unreflektiertc Rezeption des biblischen
Wortlauts" (S. 8). In dem 1. Abschnitt: .Wege der Forschung
" ((S. 13-56) werden in erstaunlicher Kürze die Formgeschichte
, Entmythologisierung und Redaktionsgeschichte
dargestellt, deren Bedeutung aufgewiesen und eine zuverlässige
Information über den Stand der Forschung geboten.
Der Hauptabschnitt: »Jesus, der Christus" (S. 57-115) befaßt
sich zunächst mit .Jesu Botschaft und ihrer Mitte", wobei
sich Vf. besonders G. Bornkamms Jesusbuch verpflichtet
weiß. In dem Unterabschnitt: »Hat Jesus Wunder gewirkt
?" tritt das Bemühen des Vf.s am deutlichsten in Erscheinung
, moderne exegetische Fragestellungen und Ergebnisse
als durchaus vereinbar mit neueren kirchlichen
Lehrentscheidungen, speziell mit dem 2. Vatikanum, hinzustellen
, wobei die Abweichungen des 2. vom 1. Vatikanum
positiv gewertet werden als Zeichen für die jetzt offiziell
anerkannte Berechtigung der modernen kritischen exegetischen
Wissenschaft. Die »Aussage von der .Auferstehung
Jesu' " will S. in einer sorgfältigen und fairen Auseinandersetzung
mit W. Marxscn nicht als ein »Intcrpretamcnt" -
»die gegenüber der apokalyptischen Aufcrstchungserwar-
tung bestehenden Unterschiede" lassen ein solches Urteil
nicht zu (S. 96) - sondern als Bezeugung eines Schöpfungswunders
Gottes auslegen. Das Bekenntnis zur Jung-
frauengeburt wird mit A. Vögtlc auf die christologische Reflexion
der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden zurückgeführt
und durch Aufweis der verschiedenen, miteinander
konkurrierenden Vorstellungen über Jesu Heilbrin-
gerwürde relativiert. Der 3. Abschnitt befaßt sich mit der
Kirche und ihrem Glauben (S. 117-160). Vf. geht hier auf
Paulus ein und bringt die mit der Person und dem Werk
des Apostels zusammenhängenden Probleme in knapper,
jedoch gut fundierter Form. Er bejaht eine sachliche Kontinuität
zwischen Paulus und Jesus, wobei er von Jesu Gesetzeskritik
und Freiheitsbotschaft eine Linie zur paulini-
schen Rechtfertigungsichre zieht. Die Frage der Nachfolge
vor und nach Ostern wird - unter Berücksichtigung der Intention
der einzelnen neutestamentlichen Schriftsteller -
in gemäßigt kritischer Weise dargestellt (z. B.: »Schematismus
der Erzählungen schließt nicht aus, daß hier konkrete
historische Tatsachen festgehalten wurden", S. 140). Den
Schluß des Büchleins bildet die Frage: "Gibt es eine ,Kurzformel
des christlichen Glaubens?" Vf. setzt sich mit K. Rahners
und H. Küngs Kurzformeln auseinander und äußert
Bedenken gegen die heute übliche Tendenz, die eigene Bedeutung
als Theologe durch Bekanntgabe einer neuen Kurzformel
zu dokumentieren. Die Pluralität der Glaubcnsfor-
meln im Neuen Testament mit ihrem je verschiedenen
»Sitz im Leben" sollte zur Zurückhaltung mahnen. Die Formeln
„nach außen" sieht er von der Schwierigkeit belastet,
.daß der .Glaube' des Christen in seinem Wesen nicht nach
Art eines Programms publiziert werden kann, dem man
beitreten oder das man ablehnen könnte" (S. 157/8). Dagegen
sieht er Kurzformeln „für den Gläubigen" als
sehr wohl möglich an und verweist dazu auf Rom 4,23 f und
1 Kor 8,6, betont aber mit Recht, daß diese Aussagen in der
Auslegung expliziert werden müssen (S. 160).

Das kleine Büchlein stellt einen gelungenen Versuch dar,
einem weiteren Leserkreis die Relevanz der modernen wissenschaftlichen
Exegese für die Verkündigung und den
Glauben deutlich zu machen. Von ähnlichen Büchern und
Broschüren unterscheidet es sich sehr vorteilhaft durch die
Sachlichkeit und Ausgewogenheit des kritischen Urteils und
die Fairneß der Auseinandersetzung. Insofern ist ihm eine
weite Verbreitung, nicht nur unter Katholiken, zu wünschen.

Berlin Günther Baumbach

Meurer, Siegfried: Das Recht im Dienst der Versöhnung
und des Friedens. Studie zur Frage des Rechts nach dem
Neuen Testament. Zürich: Theologischer Verlag (1972).
194 S. 8* = Abhandlungen zur Theologie des Alten und
Neuen Testamentes, hrsg. v. O. Cullmann und H J. Stocbe,
63. Kart. sfr. 27.50.

Einen Vorzug hat diese Arbeit: sie läßt den Leser nicht
im Zweifel über den Standpunkt, den ihr Verfasser vertritt
. Der aus Augustin entnommene Schlußsatz darf als
Motto verstanden werden i ,,vera iustitia non est nisi in
ea rc publica, cuius conditor rectorque Christus est". Der
Versuch, die Aristokratische Form der Rechtsbegründung
mit Positionsbestimmungen im rcchtspolitischcn Raum der
bürgerlichen Gesellschaft zu vermitteln, ist in der Nachkriegszeit
mehrfach unternommen worden; hier begegnen
wir ihm in einer neuen Gestalt, die schon in der Formulierung
des Themas die Signatur des gewandelten Zeitgeistes
unverkennbar aufweist.

Die entscheidenden Anregungen hat diese Studie (ursprünglich
eine Preisarbeit der Theologischen Fakultät
Basel) von der Rechtsphilosophie erhalten. Erik Wolf - der
mit 10 Titeln im Literaturverzeichnis eine Spitzenposition
einnimmt - und der holländische Strafrcchtslchicr
Hciman Bianchi sind die maßgebenden Autoritäten. Daß
der Vf. sich ans Neue Testament gewiesen sieht, muß von
seinen Voraussetzungen verstanden werden: .christliches