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Ausgabe:

1974

Spalte:

595-599

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Williamson, Ronald

Titel/Untertitel:

Philo and the epistle to the Hebrews 1974

Rezensent:

Fischer, Karl Martin

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 8

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Einzelne Stellen oder kleinere Textzusammenhänge, die
für das Verständnis des ganzen Kontexts, dem sie entnommen
sind, Bedeutung haben oder die traditionsgeschichtlich
wichtig sind, untersuchen die Beiträge von G. Klein, Die
Verfolgung der Apostel. Lukas 11,49 („Apostel" anstelle von
.Weise und Schriftgelehrte" Mt 23,34 ist theologische Korrektur
des Lukas); X. Leon-Dufour, „Pere, fais-moi passer
sain et sauf ä travers cette heure" (Jean 12,27) (begründet
die Übersetzung von Joh 12,27.28a: Jetzt ist meine Seele
erschüttert und ich weiß nur zu sagen: Vater, führe mich
heil und unversehrt durch diese Stunde. Aber Ja, das ist es,
warum ich zu dieser Stunde gelangt bin. Vater, verherrliche
deinen Namen); M. A. Chevalier, La comparution de Jesus
devant Hanne et devant Caiphe (Jean 18,12-14 et 19-24);
E. Haenchen, Die Einzelgcschichte und der Zyklus. Eine methodologische
Glosse zur Acta (Analyse von Act 22,27-26,32
und 19,1-40 unter ausschließlich kompositorischem Gesichtspunkt
); H.Schlier, Zu Rom l,3f (Paulus interpretiert
eine hellenistisch-judenchristlichc Formel, die ihrerseits
auf ein noch ganz von jüdischen Voraussetzungen konzipiertes
judenchristliches Bekenntnis zurückgeht); W.
Marxsen, Das „Bleiben" in 1 Kor 13,13 („So bleibt es nun
dabei [nämlich bei der Trias, d.h. beim Christcnleben in
dieser Welt]", womit Paulus der Vollkommenheitsvorstellung
in Korinth wehrt); M. Barth, Die Parusie im Ephe-
serbrief, Eph4,13; E. Gräßer, Das Heil als Wort. Exegetische
Erwägungen zu Hebr 2,1-4 (Hebr tritt der Sicherung
des Heils durch Person und Amt des Tradcnten von Wort
und Heil entgegen); Ch. Maurer, „Erhört wegen der Gottesfurcht
", Hebr 5,7, und schließlich der gewichtige und in
die Zeit der Alten Kirche weisende Aufsatz von A. Vögtle,
Die Schriftwerdung der apostolischen Paradosis nach
2. Petr 1,12-15.

Vorangestellt ist dem Band ein gutes photographisches
Portrait des Jubilars, abgeschlossen wird er durch die
„Bibliographia Cullmanniana 1962-1971", die H. Heck erarbeitete
. Sie beginnt mit „Nachträgen" zu der Bibliographia
Cullmanniana in Neotestamentica et Patristica, FS
Cullmann 1962, die die seit 1962 erschienenen Übersetzungen
und Wiederabdrucke von vor 1962 erstmals veröffentlichten
Arbeiten verzeichnen, und führt in der gleichen
Form wie ihre Vorgängerin bis Juli 1971 weiter.

Der Band ist eine wertvolle Gabe nicht nur für den mit
ihm Geehrten, sondern für die gesamte ncutestamcntli-
chc Wissenschaft, die der Bedeutung Cullmanns würdig
ist.

Halle/Soole Traugott Holl

Williamson, Ronald: Philo and the Epistle to the Hebrews.
Leiden: Brill 1970. XIV, 602 S. gr. 8° = Arbeiten zur Literatur
und Geschichte des hellenistischen Judentums, hrsg.
v. K. H. Rengstorf in Verb. m. J. Danielou, G. Delling,
S. Jellicoe, H, R. Moehring, B. Noack, H. M. Orlinsky,
H. Ricsenfeld, A. Schalit, H. Schreckenberg, W. C. van Un-
nik, A. Wikgren, IV. Lw. hfl. 96.-.

Das umfangreiche Werk W.s ist eine ins Überdimensionale
angewachsene Rezension der von Charles Spicq (L'Epitre
aux Hebreux I/II, Paris 1952) mit Energie vertretenen These
, der Verfasser des Hebräerbriefes sei ein Christ gewordener
Schüler Philos gewesen („un philonien converti au chri-
stianisme", Spicq 1,91). Spicq hatte seine These ausführlich
zu begründen versucht, die als erster Hugo Grotius (1646)
vertreten hatte und in J. B. Carpzov (1750) und E. Menegoz
(1894) Nachfolger gefunden hatte. In abgeschwächter Form
- der Verfasser des Hebräerbriefes sei von Ideen Philo-
nischen Denkens bccinfluf)t - wird die These zumindest in
Frankreich und im angelsächsischen Raum bis in die jüngste
Vergangenheit vertreten (W. 1-10).

In bewundernswerter Akribie widerlegt W. die These vom
Philonismus des Hebräerbriefes. Jedes noch so unbedeutende
Bausteinchen der These wird ausführlich untersucht
und als unbrauchbar verworfen. Wie ein Refrain endet jede
Detailuntersuchung mit Sätzen wie: Es gibt nichts, was beweisen
könnte, daß der Verfasser des Hebräerbriefes vertraut
war mit Sprache, Gedanken oder Werken von Philo
und unter seinem Einfluß geschrieben habe, noch weniger,
daß er ein Philonist gewesen wäre, bevor er Christ wurde.

Der 1. Teil (11-136) ist lexikalischen Untersuchungen gewidmet
. Neben statistischen Aufstellungen über den Wortschatz
einschließlich phraseologischer Wendungen (das statistische
Material umfaßt vier Kategorien, NT, LXX, Philo,
Hebr, die jeweils mit und untereinander verglichen werden)
wird bei wichtigen Worten oder Wendungen der Kontext
berücksichtigt, in dem sie bei Philo und im Hebr begegnen.
So verlieren selbst die ganz wenigen Worte und Wendungen
, die sich nur bei Philo und im Hebr finden, im NT und
LXX aber nicht belegt sind, jede Beweiskraft, da sie sich
entweder in der Profanliteratur als geläufig nachweisen lassen
oder darüber hinaus noch jeweils bei beiden eine andere
Bedeutung haben.

Der noch umfangreichere 2. Teil (137-495) untersucht die
Themen und Ideen, bei denen Einfluß Philonischen Denkens
auf den Verfasser des Hebräerbriefes vermutet wurde. Jeder
Gedankenkomplex wird jeweils erst bei Philo dann im
Hebr dargestellt und anschließend die tiefgreifende Differenz
aufgewiesen (z.B. das Gcschichtsvcrständnis, das Verständnis
des Opfers, die Engclvorstcllungcn, die Gottcs-
lehre, die Ethik, der Glaube und schließlich die der Chri-
stologie des Hebr das besondere jüdische Profil gebenden
Meditationen über den Logos, Melchiscdck, Mose und die
Wanderung Israels). An allen Punkten gelingt m. E. W. der
überzeugende Beweis, daß das Philonische Denken ein ganz
anderes Gefälle hat als das des Hebr.

Der Gott Philos ist das schlechthinnigc Sein, der nur via
negationis beschrieben werden kann. Selbst bei der Schöpfung
handelt er nur mittelbar. Philo hütet sich peinlichst,
eine anthropomorphe Aussage von Gott zu machen. Philos
Gott begegnet dem Menschen nicht unmittelbar, sondern
durch seine Kräfte, deren vornehmste der Logos ist. Nicht
einmal die Heilige Schrift ist direkt Gottes Wort, sondern
Übersetzungen des seelischen Hauches (decal 32f) durch
Mose oder die anderen Propheten. Der Prophet ist nichts
Selbständiges, sondern das Instrument. Gott ist der Artist,
der Logos ist das Gerät, mittels dessen der Spieler die Saiten
anreißt; die Harmonie aber ist die Bekanntmachung der
Gesetzgebung (QGen IV.196). Die höchste Erkenntnis, die
dem Menschen von sich aus möglich ist, ist die Anerkenntnis
, daß Gott überhaupt existiert. Freilich schenkt Gott dem
wahrhaft Frommen eine noch höhere Schau, die Philo als
nüchterne Trunkenheit beschreiben kann. Wer dahin
kommt, den überströmen Strahlen reinen Lichtes wie ein
Gießbach, sein Geistesauge wird geblendet (op 71). Aber
selbst in der höchsten Schau bleibt eine unüberwindliche
Distanz, die der Mensch nicht überschreiten darf. Bleibt
man in einem hinreichenden Abstand, so wärmt und belebt
das Feuer (QEx 11,28).

Der heilige Weg des Aufstiegs, den die Seele gehen
darf, ist nicht eine erst in der Zukunft sich erfüllende Verheißung
, die erst durch eine neue Tat Gottes Wirklichkeit
werden müfie, sondern immer schon gegebene Möglichkeit.
Die Patriarchen, Moses und die Propheten haben diese Schau
geschenkt bekommen. Wer aus sich selbst herausgeht, die
Welt der Sinnlichkeit verläßt, alles Vertrauen auf sich selbst
preisgibt und gleichsam untergeht, zu dem tritt der Log°s
als der göttliche Helfer (somn 1,119). Eine Hcilsgeschichtc
und damit eine Eschatologic ist Philo fremd oder zumindest
spielt sie für sein Denken keine Rolle. Und so kann
auch der Eindruck entstehen - den Philo selbst wahrscheinlich
nicht beabsichtigt -, als sei die Geschichte Israel*
gar keine wirkliche Geschichte. Die Personen des AT ver*
schwimmen zu symbolgeladcnen Schemen.