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Ausgabe:

1974

Spalte:

575-584

Autor/Hrsg.:

Werner, A.

Titel/Untertitel:

Die Apokalypse des Petrus 1974

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 8

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in seinem Bewußtsein. Damit wäre die Wendung „n u r ein
Symbol . . ." unvermeidlich, denn die eigentliche, die be-
wußtscinstranszendente Realität hätte mit den Symbolen
nichts zu schaffen. Sie wäre die Welt des (im Prinzip) Sagbaren
, eben: dessen, was „der Fall ist". Der maßgebliche
Wirklichkeitskanon wäre ein positivistischer.

Demgegenüber gilt es, daran festzuhalten, dafj in den
Symbolen, durch die Symbole, nicht weniger, sondern mehr

Wirklichkeit vermittelt wird als durch die Aussagen über
das, was „der Fall ist". Wer ein Symbol versteht, dem widerfährt
eine Begegnung mit der Wirklichkeit - aber mit Wirklichkeit
anderer Ordnung als der des alltäglich Greifbaren
oder des wissenschaftlich Analysierbaren. Deshalb sprachen
wir stets von den zwei Wirklichkcitsschichtcn des Sagbaren
und des Unsagbaren, und das anthropologische Schichtenmodell
erweist sich von hier aus als unausweichlich.

Die Apokalypse des Petrus

Die dritte Schrift aus Nag-Hammadi-Codex VII

eingeleitet und übersetzt vom
Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostischc Schriften*

Die Apokalypse des Petrus ( = ApcPt), die dritte Schrift Möglicherweise liegt p.74,16ff eine Stellungnahme gegen

des NHC VII (p. 70,13-84,14)', hat mit der bekannten Paulus vor, eine ohne Zweifel nicht abwegige Vermutung,

Offenbarung des Petrus, die zu den neutestamentlichen bedenkt man die fast einhellige Ablehnung des Paulus im

Apokryphen gerechnet wird2, außer dem Titel nichts ge- judenchristlichen Bereich (vgl. etwa die Pscudoklemcnti-

meinsam. Handelt es sich dort um eine Belehrung über die nen), wenngleich die Formulierung hier sehr allgemein ge-

Parusie Jesu sowie um eine breit angelegte Schilderung halten ist.

von Hölle und Himmel, so haben wir es hier mit einer gno- An beiden Stellen taucht bei der Charakterisierung der

stischen Sonderoffenbarung an Petrus zu tun. Gegner die Wendung „Name eines Toten" auf. Es ist dies

Das Charakteristische dieser Schrift besteht dabei darin, einer der zahlreichen Berührungspunkte zwischen ApcPt

daß sie gnostische Mythologie mehr voraussetzt als cntfal- und 2LogSeth (NHC VII.2), die sich besonders in der Schil-

tet; statt dessen werden Personen, Gruppen und Meinungen derung der Gegner (vgl. p. 60,22: „Lehre eines Toten") und

aus der Frühzeit des Christentums einer kritischen Bctrach- in der Christologie finden.

tung unterzogen. Dies geschieht aus gnostischer Sicht, und Eine deutliche Wendung gegen die sich entwickelnde
zwar auf der Linie einer im Prinzip offensichtlich juden- hierarchisch verfaßte Großkirche ist p. 79,21-30 zu erchristlichen
Gnosis, die sich an einigen Stellen gleichwohl kennen. Außerdem könnte der merkwürdig dunkle Ab-
dieser Klassifizierung gegenüber merkwürdig spröde zeigt. schnitt p. 78,31ff. zu den genannten Nuancicrungcn des
Fast durchweg fühlt man sich implizit und explizit an juden- Judenchristentums der von unserer Schrift vertretenen
christliche Traditionen erinnert, wie sie im Matthäusevan- Gnosis gehören, sofern man dahinter einen Affront gegen
gelium verarbeitet sind; überhaupt dürfte es sich im Rah- die Hochschätzung des Gesetzes und gegen das Beharren
men der Arbeit an der weiteren Erschließung unseres Tcx- auf seiner strikten Erfüllung zu sehen geneigt ist. Freilich
tes lohnen, dem Problem der Beziehungen zwischen dem kann eine präzise Aussage hier nur sehr schwer gemacht
ersten Evangelium und der ApcPt besondere Aufmerksam- werden.

keit zu schenken. Vieles an der ApcPt scheint auf den ersten Das zweifellos interessanteste Phänomen bei der BeBlick
undeutlich. Dies mag seine Ursache im großen und handlung gegnerischer Positionen ist die offensichtliche
ganzen nicht im mangelnden Vermögen des gnostischen Frontstellung dieser - also einer gnostischen - Schrift
Verfassers haben, seinen Gedanken die für uns nötige Klar- gegen bestimmte andere Gnostiker. Der Umstand an sich
heit zu geben,- es scheint vielmehr oft so, als sei der Kopist kommt auch in anderen gnostischen Texten vor1,
mindestens dieser, uns vorliegenden Ausgabe der ApcPt Für die ApcPt sei zunächst hingewiesen auf p. 74,30f, wo
dem Duktus der von ihm abzuschreibenden Gedanken vielleicht auf Simon Magus angespielt wird,
nicht voll gewachsen - eine Vermutung, die in zahlreichen Kurz vor dieser Stelle werden nun p. 74,27ff in Verbin-
Irrtümern hinreichend Nahrung hätte. Eine Reihe von Un- dung mit recht harten Vorwürfen „einige" erwähnt, „die ih'
deutlichkeiten könnte aber auch auf die eigenartige Stel- ren Namen danach erhalten, daß sie sich unter die Gewalt
lung des Vf.s und seiner Gruppe innerhalb des frühen der Archontcn stellen". Hier erhält die Front Gnosis gegen
Christentums zurückgehen, von der noch zu reden sein Gnosis möglicherweise einen besonderen Akzent. Wenn man
wird. nämlich den an sich naheliegenden Versuch macht, hier die

In Rahmen und Aufbau der ApcPt finden sich besonders bei Epiphanius, Panarion XL 1,1-8,2 dargestellten Archon-
vielc Unklarheiten. Gerade über den Anfang läßt sich aus tiker gemeint zu sehen, scheint sich die merkwürdige Kon-
dem Durcheinander nur ein schwach konturiertes Bild ge- sequenz zu ergeben, daß die ApcPt sich selbst bekämpft. Da
Winnen. Unter der Voraussetzung, daß viele Motive nur an- ist zunächst das Faktum, daß Epiphanius diese Häresie ausgedeutet
werden und verkürzt erscheinen, könnte man da- gerechnet auf einen Greis namens Petrus aus Palästina zu-
hinter folgenden Aufbau vermuten: Wahrscheinlich in der rückführt, nicht ohne gleich zu bemerken, „der zu Unrecht
Karwoche erfährt Petrus im Tempel eine Offenbarung des Petrus genannt wurde" (XL 1,3). Sollte dahinter der von
wahren Wesens Jesu. Petrus sieht Jesus von himmlischem Epiphanius bestrittene Anspruch der Archontikcr stehen.
Licht überstrahlt und erhält von ihm in Visionen und Audi- daß ihre Lehre auf den Apostel Petrus zurückgeht? Dazu
tionen Aufschlüsse über die nähere und fernere Zukunft. Er kommen sachliche Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen:
schaut dabei Verhaftung, Verleugnung, Prozeß und Hinrich- Die doketische Christologie, bei Epiphanius (XL 8,2) in den
tung Jesu. Eingebettet darin ist eine „kritische Theologie- Zusammenhang der Auferstchungsproblematik gestellt, wird
geschichte" der frühen Christenheit. Daß es sich bei all dem in der ApcPt dramatisch entfaltet. Hier berührt sich diese
um ,vaticinia ex eventu' handelt, bedarf gewiß keiner Be- Schrift sehr eng mit 2LogSeth aber auch mit Basilidcs"-
tonung, kann allerdings für eine Datierung der Schrift von Asketische Tendenzen gibt es in der ApcPt (p. 71,14f; ?5,
Bedeutung werden. 15ff) und bei den Archontikern des Epiphanius (XL 2,4)'

Namentlich wird von den Gegnern nur „Hermas" genannt bezeichnenderweise wird dort auch das andere Extrem des

(p.78,18). Da dies im Zusammenhang mit dem Problem der Libertinismus für die gleiche Gruppe genannt. Der juden'

Sündenvergebung geschieht, liegt die Annahme nahe, daß christliche Charakter der Gnosis in der ApcPt korrcsp°n^

hier gegen die vom „Hirt des Hermas" vertretene zweite diert mit der Angabc des Epiphanius (XL 1,1), daß die H*'

Bu&c polemisiert wird. resie der Archontikcr auf die Provinz Palästina begrenz