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Ausgabe:

1974

Spalte:

543-545

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Gebete unserer Zeit 1974

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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543

Theologische Literalurzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 7

Vertrauensverhältnis, Akzeptieren der Ratsuchenden und
viele andere Grundvoraussetzungen der Jugendscclsorge
erwähnt, aber es stehen noch zwei Bände aus. Auch in
dieser Hinsicht erschwert das Fehlen eines Sachregisters das
Arbeiten mit den Büchern erheblich.

Man muß gerade beim letzten Kapitel fragen, ob es nicht
besser gewesen wäre, die Bearbeitung der einzelnen Fachgebiete
Spezialisten zu übertragen. Dann hätte es wohl
kaum geschehen können, daß kein einziger Beitrag zur
Entwicklung und gegenwärtigen Problematik der philosophischen
Probleme der Naturwissenschaften, der Gesellschaftswissenschaften
oder der Pädagogischen Anthropologie
von Forschern Ostasiens, Laleinamerikas, Afrikas
oder osteuropäischer Länder für erwähnenswert gehalten
wird. Für einen Theologen, der Jugendseelsorger in jungen
Kirchen auszubilden hat, aber auch für Leser in der DDR,
habeu dadurch wichtige Abschnitte dieses Buches nur
wissenschaftshistorische Bedeutung.

Der achtunggebietende Versuch des Verfassers, durch die
drei bisher vorliegenden Bände die in der evangelischen
Kirche, ihren Gemeinden, Heimen und Familien getriebene
Jugendseelsorge als relativ eigenständigen Zweig kirchlichen
Dienstes und als spezielle theologische Aufgabe des Zeugnisses
und der Verkündigung als einer „bis zu Ende gedachten
Kommunikation" vorzustellen, darf mit den aufgezeigten
Einschränkungen wohl als gelungen bezeichnet
werden.

CrotfswaM Günther Kehnscherper

Cornehl, Peter: Gebete unserer Zeil. Kür Gottesdienst und
Andacht hrsg. u. eingeleitet. (ütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1973]. 163 S. 8°. Kart. DM 14,80.
„Es ist, glaube ich, an der Zeit, das Reden von der Krise
des Gebets zu revidieren", meint P. Cornehl. und er verweist
zum Beleg dieser These auf die Fülle einschlägigen
Materials, „das sich aus den .Gottesdiensten in neuer
Gestalt' der letzten zehn Jahre in Werkbüchern, Arbeitshilfen
, Textheften, in hektograHerten Manuskripten und
fotomechanischen Vervielfältigungen gewinnen läßt" (7). Aus
diesem Material hat der Hrsg. einiges ausgewählt, das uns
nun in der vorliegenden Sammlung — unter dem recht anspruchsvollen
Titel „Gebete unserer Zeit" — zum Gebrauch
in „Gottesdienst und Andacht" empfohlen wird. Titel und
Vorwort (7—11) machen deutlich: Die Sammlung ist repräsentativ
gemeint ; sie will nicht nur zufällige Einblicke
vermitteln, sondern auf „aufschlußreiche gemeinsame
Tendenzen" hinweisen. Der Hrsg. gliedert das Material nach
den „Grundkategorien und Bauelementen des überlieferten
Gottesdienstes" (10): Psalmen, Umkehr und Bekenntnis,
Biblische Meditationen, Gebete für andere, Neue Litaneien,
Gebete zum Vaterunser, Gebete zum Abendmahl, Gebete
zur Sendung.

Gebete unserer Zeit? Hier muß das erste Fragezeichen
gesetzt werden: Die Sammlung beschränkt sich auf Gebetsmaterial
, das — veröffentlicht oder unveröffentlicht, gedruckt
oder hektografiert — in deutscher Sprache vorliegt. Auch
wenn sich darunter Gebete aus Holland und Südamerika
befinden: Die Beschränkung auf „deutsche" Texte bedeutet
nicht nur eine geographische, sondern zugleich eine sachliche
Begrenzung. H. Schmidt (Wie betet der heutige Mensch?,
Freiburg i. Br. 1972) hat gezeigt, wie man anderenorts betet,
bekennt, klagt und singt — im angelsächsischen Raum z. B.
oder im französischen Sprachbereich : längst nicht, so formelhaft
abstrakt, so blaß und blutleer wie im Einflußbereich
deutscher Theologien, sondern viel konkreter und dabei viel
poetischer zugleich. Eine weitere Einschränkung igt unumgänglich
: Es handelt sieh vielfach um Texte, die auf dein
Boden der BRD entstanden sind und die ihre Prägung durch

die dortige gesellschaftlich-politische Situation nicht verleugnen
können.

Gebete unserer Zeit? Wer diese Texte hintereinander liest,
wird von einer liefen Depression belallen: Es ist eine traurige
Zeit, die sieh in diesen Gebeten spiegelt. „Sieh dir diese Welt
an: Krüppel, Geisteskranke, Verbrecher ..." (71); „Gemeinheiten
in der Schule, im Betrieb, auf der Straße ..."
(21); „Der Frühling wird stumm, die Flüsse leer, die Luft
verpestet . . ." (17); „Jeden Tag Abwässer der Industrie in
unseren Flüssen, Giftstoffe im Qualm der Schlote ..." (89) —
und das so fort über viele Seiten sauberen weißen Papiers.
Nicht, als ob all diese Klagen und Anklagen etwa unbegründet
wären: nicht, als ob die gesellschaftlichen Hintergründe
der Misere etwa verschwiegen würden — nein,
Begriffe wie „Hochfinanz" (71), „Wirtschaftsstrukturen"
(84) und „Profit" (123) gehören durchaus zum Vokabular
dieser Texte. Aber: Was sind das für Gebete, in denen kaum
mehr Hoffnungen ausgesprochen werden? Was sind das für
(lebete, in denen Gott nicht mehr beim Wort genommen

wird, sondern nur noch vage Vermutungen angedeutet und
verwaschene Appelle artikuliert werden? „Seid unbequem,
seid Sand, nicht das Ol im Getriebe der Welt ..." (153);
„. . . laß uns nachdenken, Herr. Gib uns Mut gegen falsche
Tradition ..." (131); um die Gewißheit, daß der

Einsatz für eine bessere und gerechtere Zukunft nicht
umsonst ist, auch wenn ihn die Gegenwart zu widerlegen
scheint ..." (85) — und so fort.

Der Hrsg. muß ähnlich empfunden haben, wenn er
schreibt: „Es gibt auch Züge peinlicher Wehleidigkeit, und
mitunter läßt sich fragen, ob z. B. die Selbstbezichtigungen
(,Wir haben nicht gelernt ...') wirklich ernst gemeint
sind . . . Einigermaßen u übe wältigt (das lehrt der Vergleich
mil den Klagen) ist der authentische Ausdruck von Vertrauen
, Dank, Lob, sowie die glaubwürdige Darstellung
unserer Erfahrungen in der alltäglichen Normalität, im
persönlichen Bereich — jenseits von Überdruß und bürgerlichem
Sclbsthaß" (11).

Es wäre freilich ungerecht, die Ausnahmen zu verschweigen
— Texte, die die spätbürgerliche Klageinauer verlassen
: Da sind vor allem zu nennen die Eucharistiegebete
von Huub Osterhnis (141f.) und aus der Sammlung von
A. Sehilling (143ff.), deren Rezeption in mehrfacher Hinsieht
I"'merkenswert ist; aber auch an anderer Stelle finden sich
gelegentlich Texte, die — ganz buchstäblich — hoffen lassen
(18, 34, 38, 79).

Gebete unserer Zeit ? Wer diese Texte hintereinander liest,
wird von einer großen Langeweile heimgesucht: Es ist eine
eintönige Zeit, die uns hier begegnet. Der Hrsg. spricht vorsichtig
von einer „gewissen Monotonie" (8); er weist auf
„den Hang zur Geschwätzigkeit, die Tendenz zu schneller
Klischeebildung" (11) hin und nennt damit den Sachverhalt,
der sich hier zeigt, noch deutlicher beim Namen: Da sind
die Klischecanklagen, die sehr hart auftrumpfen und doch
niemanden treffen („Ich bin verblutet; ihr habt im Fernsehen
zugeschaut!", 53). Da sind die Klischeebekenntnis»0
und Selbstbezichtigungen, in denen es zwar von Neid,
Lieblosigkeit, Angst und anderen Versäumnissen wiinuicH
(45), die aber doch so allgemein bleiben, daß sie keinem
weh tun („Wir züchten unsere private Moral und vergesse"
die <ler (iemeinschafl . . . Wir wissen und wollen zu »nii« . ■ •
Wir pflegen unsere kleine und einsame Unzufriedenheit . . • >
56). Da sind die Klischeeformeiii von den Strafentlassene"'
den Geistesschwachen und Straßenverkehrsopfern, o,c
Aktualität nur vortäuschen (49) und echte Konkretion«""
ersetzen (21). Da sind die Klischecfürbittcii mit jei'1'"
typischen Wendungen, die das „Gebet für andere" tra"*'
formieren in einen Appell an die eigene Entschlossenheit u"
Tatkraft („Wir denken an alle diese Menschen . . . ""
wollen ihnen helfen", 84ff.; „... daß wir sehen ...
wir nicht mißbrauchen ... daß wir ausbauen ™'
Da ist — vielfach variiert — das Umwelt verschmutz»"!?8