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Ausgabe: | 1974 |
Spalte: | 540-543 |
Kategorie: | Praktische Theologie |
Titel/Untertitel: | Information und Interpretation 1974 |
Rezensent: | Kehnscherper, Günther |
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Theologische Liternlurzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 7
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gangenhcit. erinnernd darzustellen: Zwischen der Erinnerung
an Goltes Taten und des Menschen Sünde stehen höchst
originelle Überlegungen zur Erzählung und zum Zitat. Die
Oberschrift „Predigt als Verheißung" gibt dann Anlaß, über
die Predigt des kommenden Retters und Richters, auch über
die apokalyptische Verkündigung nachzudenken. „Predigt
des Gegenwartigen" beachtet die vielfältige „Geistesgegenwart
" des trinitarischen Gottes, spricht vom Binden und
Lösen, von Wundern und Zeichen und führt zum Zungenreden
, — Der 4. Teil (S. 346—440) „Oer Prediger" legt dar,
wie dieser durch Meditation und Vorbild wirkt, homiletischen
Lastern frönt und als einzelner, aber Ruch in der
Gruppe wirkt. — Im 5. Teil (S. 443—553) denkt Vf. über den
Hörer und sein Hören nach — bis hin zur Predigtkritik, die
er durch „Hören als Leidenschaft" näher bestimmt. Damit
schließt sich der Ring unter dem Stichwort, daß Predigen
(§ 1) und Hören (§ 32) mit Leidenschaft vor sich gehen
möchten.
Was verleiht dieser Homiletik neben ihrer vielschichtigen
Thematik ihren besonderen Geschmack? Trotz aller aktuellen
Ausfälle, die letztlich in einer „Lehrdarstellung"
weniger als in des Vf.s literarischen Eänzeläußerungen zum
Zuge kommen konnten, haben wir es mit einem Werk zu tun,
das zwischen den theologischen Fronten stehen will. Tiefe
geistliehe und theologische Erkenntnisse, viele menschliche
Weisheit, behutsam angesetztes empirisches Wissen sind XU
einer Äußerung verschmolzen, in der die Hauptströmungen
heutigen homiletischen Denkens /.um Tragen kommen. Nebeil
der Treue zum theologischen Denken reformierter Pneuma-
tologie und Karl Barths sti llt, die Freude am Nachdenken
und Fabulieren über den Menschen, wie es die „Dialektische
Theologie" so gewiß nicht kannte. I 'olitische und individuelle
Existenz des Menschen kommen zu Wort. Es dominiert im
ganzen die Perspektive des Predigers über die des Hörers.
Beim Nachdenken über das Kommunikationsgeschehen der
Predigt geben weniger die Informationstheoretiker als die
Dichter und Schriftsteller besonders der Gegenwart Hilfestellung
. Sie kommen als Deuter der Zeit und des Menschen,
aber auch als Lehrer der Form mit ins Gespräch. So wird
man nicht nur damit überrascht, daß Dadaismus (S. 338)
und Zungenreden Analogien aufweisen: viele andere traditionelle
und präsetitische theologische Reflexionen haben ihre
Analogien in der Dichtkunst und empfangen von daher ein
neues Licht. Schriftatelier geben dem Vf. offensichtlich auch
Anregungen für die Art der Darstellung: ein meditativer Stil,
der in „Essays" (S. 54) gegossen wurde, lockert häufig das
strenge theologische und homiletische Denken auf und
bietet manchen Anlaß zum Vergnügen. Wenn die Phantasie
als Medium apokalyptischer Predigt bzw. allgemein als
homiletisches Mittel ineditiert wird, freut man sich über den
Satz: „. . . sie ist Ausdruck der Freiheit, vermag Raum und
Zeit zu überfliegen und macht vor dem Unmöglichen nicht
halt. Sie ist wie der Igel immer vor dem Hasen am Ziel"
(S. 273). Besonders instruktiv wirken schließlich die vielen
homiletischen Beispiele, die zur Verdeutlichung mit herangezogen
werden. Graphisch gesehen stehen sie — wie viele
andere Exkurse — im Kleindruck.
Einige kleine Anmerkungen: Die Literaturangahen enthalten
die Vornamen der Vf. z. T. in ausgeschriebener, z. T.
in abgekürzter Form. — Bei einigen Verfasscrvcrwciscn
wären genauere Stcllenangaben erwünscht (z. II. S. 40, 131,
168, 252). - Jenssen heißt in diesem Fall Hans-Hinrich
(S. 198). — Der Heidelberger Katechismus redet bewußter,
als Vf. es vorsichtig anfragt, von „Geist und Wort" (S. 66). —
Die Aveision gegen das Kirchenjahr und die Perikopen wirkt
recht einseitig (S. 118 u. 5.). - Seltsam erscheint die These,
daß die autoritäre Predigt eines einzelnen ehristologisehe,
die Predigt mehrerer pneumatologisehe Ilitilergründe habe
(S. 79, 516). - Das 19. Jahrhundert wird zu pauschal als
hörerhörig deklassiert (S. 444). — Die theoretischen Gründe
für die Weigerung, eine Definition für die Predigt zu liefen,
reichen nicht aus (S. 51); zumindest hätte man gern defi-
nitorisch genauer erfahren, was denn Homiletik sei.
Daß Vf. die Gebiete der historischen und Medienhomiletik
bewußt ausläßt, um sich zu beschränken (S. 61), ist
verständlich, weil eine Homiletik nicht alles bieten kann und
muß. Ebenso ist es ohne Kritik hinzunehmen, wenn ei
einzelne Themengebiete unterschiedlich ausdehnt — übrigens
mehr oder weniger bewußt. Sehade ist es dennoch, wenn
manche Themen, z. B. die Predigt über alttestarnentliehe
Texte, so knapp wegkommen. — So sehr die These berechtigt
ist, „die Formproblcmc als Sachprobleme zu verstehen"
(S. 59), befriedigt aber die nähere Argumentation, die an
verschiedenen Stellen in dieser Richtung erfolgt, ebensowenig
wie der daraus resultierende und z. T. etwas diffus
wirkende Aufbau des 3. Teiles. — Undeutlich bleiben auch
die Beziehungen zwischen dem recht klaren pneumato-
logischen Ansatz und der Christologie ebenso wie der
Trinilätslehre und des Vf.s „Namenstheologie". Letztere
wird aus dem alttestamentliehen Jahwe-Denken abgeleitet.
Traditionelle ehristologisehe Erkenntnisse werden dadurch
ausgehöhlt,daß sie in die Pneumatologie übertragen werden,
indem etwa vom „Leiden des Geistes" (S. 81) bestechend
neu und bedenklich zugleich die Bede ist. Wie verhält sich
die Gegenwart des gekreuzigten und lebendigen Jesus
Christus zur Gegenwart des Heiligen Geistes? So sehr
Heiliger Geist, menschlic her Geist und Well in ihrem dynamischen
Kontakt homiletisch zu reflektiert n sind, Ist doch
auch nicht zu unterschlagen, daß die Predigt trotz der auf
ihr ruhenden Verheißung das Heil extra ems ohnmächtig und
verborgen zu bezeugen hat. Dieser Gedanke tritt gegenüber
der Reflexion einer wirkungsmächtigen Predigt zurück. Ob
das nicht auch damit zusammenhängt, daß sich Vf. gegen
eine zu stark ausgeprägte Theologie des Kreuzes als Lehre
vom Tode Gottes (S. 34, 80 ff.) wendet? Im Blick auf eine
gesamttheologische systematische Klarheil bleibt so noch
etwas zu wünschen übrig. Daß sieh der pneumatologisehe
Ansatz auch nicht überall mit gleicher Intensität durchgesetzt
hat, ist von Vorteil, weil dadurch manche theologische
Monotonie verbindert worden ist. Und es kommt
dadurch die menschliche Seite des Predigens trotz aller
theologischen Reflexion dann auch wieder recht untheo-
logisch und offen zur Sprache.
Rüdersdorf bei Herliii Frieilri^i Wintur
deutsch, Werner: Handbuch der Jugendseelsorge. < ',< schichte.
Theologie, Praxis. III: Praxis der Jugendseelsorge:
Mittel. 1. llalbband: Information und Interpretation.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1973].
597 S. gr. 8°. Lw. DM 68,-.
Nachdem W. Jentsch im Jahre 1963 Teil II (Theologie
der Jugendseelsorge) (ThLZ 91, 1966 Sp. 217-21) und 1965
Teil I (Geschichte der Jugendseelsorge) veröffentlichte,
erschien nun der lang erwartete Teil 111 (Praxis der Jugendseelsorge
: Mittel) seines „Handbuches der Jugendseelsorge"-
Aber den sachliche und methodische Anleitung suchenden
Seelsorger erwartet eine harte Geduldsprobe; denn der Vf.
ist der Ansicht, daß die Aufarbeitung der Erkenntnisse der
human wissenschaftlichen Nachbardisziplinen, die für dt''
Praxis der Jugendseelsorge unerläßlich ist, durch die
Theologie noch unzureichend ist. Deshalb unternimmt er es
selbst, Psychologie, Soziologie und Psychotherapie auf ihre
Relevanz für Religion und Jugend, Seelsorge und Erziehung
hin zu befragen. Die Fülle des Stoffes verlangt eine Auf'
teilung der Darstellung der Praxis der Jugendseelsorge in
zwei Bände (Teil III: Mittel, Teil IV: Wege). Vom Teil iH
liegt nun der erste llalbband „Information und Interpretation
" vor, so daß zumindest noch zwei weitere liänd''
(III 2 und IV) abzuwarten sind, ehe man sich ein l'rtei'