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Ausgabe:

1974

Spalte:

535-537

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Aspekte und Probleme der Organverpflanzung 1974

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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535

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 7

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Honeckcr, Martin [Hrsg.]: Aspekte und Probleme, der Organverpflanzung
. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
1973. 215 S. kl. 8° = Grenzgespräche, hrsg. von H.-G.
Geyer, H. H. Eßer, H. Horn und H. Schulze, 4. Kart.
DM 18,-.

Zwar sind die spektakulären Meldungen über Herztransplantationen
aus der Weltpresse verschwunden, aber
das Problem beschäftigt Ärzte, Juristen und vor allein viele
gesundheitlich Betroffene weiterhin: Kann einem organisch
Kranken im Notfall durch Transplantation eines von einem
anderen Menschen stammenden Organs geholfen werden?
Was im Falle der Bluttransfusion schon seit einiger Zeit
praktiziert wird, scheint sich nun auch auf die Transplantation
von Nieren, Leber, Herz und anderen Organen
auszudehnen. Der vorliegende Sammelband zeigt, daß noch
eine Reihe juristischer, medizinischer, ethischer und auch
theologischer Fragen mit solchen Verpflanzungen verbunden
ist, die es verwehren, das Ganze nur als eine Angelegenheit
chirurgischer Kunst und medizinischer Weiterentwicklung
anzusehen.

Im umfangreichsten Beitrag des Bandes gibt Ulrich
Eibach einen Oberblick Uber den Stand der medizinischen
Forschung und die zur Zeit bestehenden Möglichkeiten für
Organverpflanzungen. Dabei wird als Stand der Forschung
herausgestellt, ,,daß der Tod nicht, nur pathologische Ursachen
hat, daß er auch nicht auf eine Entartung des
genetischen Programms zurückzuführen ist, sondern daß er
eine notwendige Folge des differenzierten Baus höherer
Lebewesen ist und daß seine Hauptursache in der beschränkten
Teilungsfähigkeit ausdifferenzierter Zellen zu
suchen ist" (S. 50). Die Hoffnung auf eine Unsterblichkeit
des individuellen Menschen, wie sie etwa in den USA durch
das Einfrieren unheilbar Kranker mit dem Versprechen eines
späteren Auftauens und einer dann möglichen Heilung
erweckt wird, muß als Illusion bezeichnet werden. Die
Medizin hat bisher keine begründete Aussicht auf eine
Überwindung des individuellen Todes entdeckt, sondern
allein Möglichkeiten zur Lebensverlängerung entwickelt, die
die Differenz zwischen dem physiologisch bedingten Alterstod
und dem tatsächlich durch Krankheits- und Umwelteinflüsse
zustande kommenden Tod vermindert. Freilich
wird durch die Kunst der Lebensverlängerung eine Fülle
sozialer und auch ethischer Probleme aufgeworfen: der
Mangel an Pflegepersonal für die Alten und Siechen, die
hohen Kosten der Intcnsivbehandlung, die wachsende Zahl
und die psychischen Belastungen derjenigen, die auf lebenslange
Pflege angewiesen sind, weil eine volle Heilung nicht
möglich ist, und die nach dem Sinn ihres Daseins fragen.

Ober die rein naturwissenschaftlichen Kriterien hinaus
geht es auch bei der Definition des Todeszeitpunktes, die
durch die Möglichkeiten künstlicher Beatmung und der
Entnahme noch „lebendiger" Organe bei Menschen, die
bereits als tot erklärt worden sind, akut geworden ist.
Allgemein hat sich die Umschreibung des Individualtodes
als des „Hirntodes" durchgesetzt, weil mit dem Ausfall des
Hirnes die Funktionseinheit des menschlichen Organismus
zusammenbricht, die den Zerfall aller Teile zur unumgänglichen
Folge hat. Das darf nach Meinung Eibachs nicht
dazu führen, Seele und Personsein des Menschen mit
Funktionen des Gehirns gleichzusetzen oder nur noch nach
der Funktionsfähigkeit der Großhirnrinde zu fragen. Der
einzelne Mensrh wird hier als eine Ganzheit verstanden, und
sein Tod kann dann erklärt werden, wenn diese Ganzheit
irreversibel verloren ist.

„Der Toil als ganzheitliches Phänomen" ist Thema des
Heitrages des Hamburger Mediziners Arthur Jores. Die
Betrachtung des Todes zwingt zur Berücksichtigung sowohl
des körperlichen wie des seelischen Aspektes beim Menschen.
Oft genug wird der behandelnde Arzt bei aller Kenntnis der
körperlichen Vorgänge durch den Zeitpunkt des Todes
überrascht, weil hierfür psychologische Faktoren ausschlaggebend
sein können. Im Krankenhaus darf sich der Arzt
Gesprächen mit seinen Patienten nicht entziehen, weil er nur
so gegen die Hoffnungslosigkeit des Kranken angehen kann,
die dem Tode den Weg bereitet. So werden heule Arzte
gebraucht, die auf somatischem und psychischem Gebiel
Zugleich aufgebildet und tätig sind, wenn wirklich dem
Tode begegnet werden soll.

Der Bochumer Jurist Gerd Geilen behandelt „Rechtsfragen
der Organtransplantation". Sie ergeben sich vor
allem aus den Interessen des Spenders, denn es muß juristisch
abgesichert werden, daß etwa bei einer Lebendspende
der Spender kein Opfer von Manipulationen wird,
die möglichst schnell ein geeignetes Transplantat besorgen
wollen. Bei der Organentnahme handelt es sich nicht um
einen Eingriff zur eigenen Heilung, wie er in der Medizin
schon lange angewandt wird, sondern um Heilhilfe für einen
Dritten, bei der völlige Freiwilligkeil durch eine uberlegte
Einwilligung, der genaue Aufklärung durch den Arzt vorausgehen
muß und bei der es keine Vertretung durch Angehörige
geben kann, und eine sorgfältige Entnahmcindi-
kation des Arztes, die den Therapieerfolg abwägt, garantiert
sein müssen, stach für die Transplantatentnahme beim Toten

ist det Pietätsschutz zu beachten, vor allein aber einer
weiteren Aufweichung bei der Festsetzung des Todeszeitpunktes
zu wehren, die durch ein anderes Arztegremiuin als
das Transplantationsteam geschehen muß. Im Blick auf den
Empfänger steht der Arzt vor dem Dilemma, daß mehr
potentielle Empfänger als Spender vorhanden sind, so daß
der Arzt auswählen muß und in die Gefahr der Wertung
von Menschenleben gegen Menschenleben gerät. Wird aber
zum entscheidenden Auswalilfaklor der gesundheitliche Zustand
des Betreffenden, tut sich ein neuer circulus vitiosus
auf, denn je schlechter der Gesamtzustand des Patienten
ist, desto größer ist das Risiko des Mißerfolgs einer solchen
Operation.

Die genannten Beiträge enthalten so eine Beiho von
Fragen, die die ethische Besinnung provozieren. Die beiden
Theologen, die sich zu diesem Komplex äußern, setzen
verschieden an. Dieter Walther, Oberkirchenrat in Karlsruhe
, zieht vor allem die Äußerungen des Kapstädter Herzchirurgen
Barnanl heran, die eine dein einzelnen Menschen
gegenüber ziemlich verantwortunglWtl I herseliäIzung det
wissenschaftlichen Möglichkeilen verraten. Als Hichtschnur
theologischer Ethik wird genannt, „von der mit dem Begriff
der (ioltesbildlichkcit umschriebenen Unantaslbarkeil jedes
Menschen her mögliche Entscheidungen in ihrerTragweite. . •
vorbereitend aufweisen zu helfen oder auch auf deren Fragwürdigkeit
oder Unverantwortbarkcit vor Gott begründend
hinzuweisen" (S. 30). Das bedeutet in erster Linie die
Ablehnung alles Experimentierens am Menschen, das den
einzelnen nur als Mittel zum Zweck sieht.

Weiter holt der Bonner Sozialethiker Martin Honecker
in seiner Einführung des Sammelbandes und seinem abschließenden
Beitrag ..Freiheit, den Tod anzunehmen" aus.
Das fundamentale Problem bei allem Nachdenken über
Organverpflanzungen ist die Einstellung des Menschen zuin
Tode. Der Leib soll nach dem Willen des Schöpfers „Mittel
der Kommunikation und des Dienstes" sein. Von daher ist
eine grundsätzliche Ablehnung von Organspenden nie
durchzuhalten, wenn durch sie einem anderen geholfen
werden kann, und die Pietät darf nicht zu einer Art „Ehr-
furcht vor dem Tode" führen, die die personale Integriti"
an die leiblichen Beste des einzelnen bindet. Andererseits
vertrauen Christen darauf, daß der Tod keine letzte Instanz
mehr ist, und können darum auf das Sterben in Oelasscnhct1
zugehen, ohne den Zwang, den Tod so lange wie müghrn
hinauszuzögern. Das heißt nicht, daß damit alle Anstre'1"
gungen zur Lebensverlängerung beiseite geschoben werde11
sollen, wohl aber, daß sie die Freiheit, den eigenen Tod
anzunehmen und daran nicht zu verzweifeln, nicht Mim kici'"n
dürfen.