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Ausgabe:

1974

Spalte:

523-526

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Thaning, Kaj

Titel/Untertitel:

Der Däne N. F. S. Grundtvig 1974

Rezensent:

Søe, Niels H.

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Wieder in Genf, hatte Calvin späterhin nicht mehr den
ausgedehnten Kontakt mit Täufern wie in Straßbarg, aber
er schreibt gegen sie, unter anderem in seiner „Brieve
Instruction" von 154^. Damit kommt er seinem Milrefor-
mator Farcl in Neuchatel zu Hilfe. Die großen Gegner
Calvins in den fünfziger Jahren waren keine Täufer. Servets
Antitrinitarismus hat den Reformator existentiell tiefgreifender
angerührt. Weil neue Anlässe fehlten, die die Kontroverse
noch einmal hätten entzünden können, ist die In-
stitulio-Ausgabe von 1559 für die vorliegende Thematik nicht
mehr ergiebig.

Im systematischen Teil bindet Dalkc das zusammen, was
im historischen breiter ausgefäehert schon dargestellt war.
Calvin wendet sich gegen den täuferischen Perfektionismus
der Heiligung, gegen die Lidesverweigerung (und dieses aus
Gründen der Bergpredigtexegese), gegen die Scheu, Amter
zu übernehmen und das Eigentum zu bejahen. Auch den
Pazifismus der Täufer weist er ab.

Unrechter Biblizismus, fehlende Kenntnis der Kirchenväter
, Radikalismus unter der Verkennung der Gebot«'
Gottes und demzufolge ein unsachgemäßes Verhältnis zu
Staat, Autorität, Macht und Gewalt, dazu ein Verlassen der
Liebe des Evangeliums, das alles wirft Calvin den Täufern
vor, aber er lehnt sie ebensowenig im ganzen ab wie die
StraUburger es taten. So kann Ualke durchaus fragen, ,,ob
die Entstehung einer täuferisehen Bewegung unter Calvin
möglich gewesen wäre" (S. 358). Er kommt zu dem Schluß,
daß beide Zentren der Reformation — Genf und Straßburg —
„das Positive der täuferisehen Gedankenwelt in das kirchliche
Leben" (S. 359) aufgenommen haben. (Für diese Behauptung
hatte der Leser sich an mancher Stelle vielleicht
noch exaktere Auskünfte erbeten.) Im Anschluß an eine
These seines Lehrers spricht der Vf. ,.van een ,kritische
verwantschap' tuasen Calvijn en de doperse Radikalen. Bit
verklaart waarom het Calvinisrne instaat is geweest het
Anabaptisme voor een groot deel in zieh op te nemen"
(S. 345). Zur Inhaltsbezeichnung der angesprochenen Verwandtschaft
gehören die gemeinsame „Betonung der Lebens-
heiligung, der Zucht und der Freiheit der Kirche gegenüber
dem Staat" (S. 358).

Wenn diese Sicht der Dinge zutrifft, wäre im ökumenischen
Dialog der Gegenwart das Gespräch mit den Gruppen, die
sieh in der Nachfolge des ,linken Flügels' der Reformation
wissen, durch neue Akzente bereichert.

Berlin loadiim Hdffg*

liainton, Boland IL: Luther und sein Vater: Psychiatrie und

Biographie (ZW 44, 1973 S. 393-403).
Beniner, Johannes SJ : Aug den Chroniken des ehemaligen

Franziskaners Konrad Pellikan (Franziskanische Studien

55, 1973 S. 258-273).

Hoffinann, Gottfried : Marburg 1529 — eine verpaßte
Gelegenheit? Zur Interpretation der letzten Sitzung des
Marburger Gesprächs durch Walther Köhler. 30 S. 8° =
Oberurseier Hefte. Studien und Beiträge für Theologie und
Gemeinde, hrsg. von der Fakultät der Luth. Theol. Hochschule
Oberursel (Taunus) in Verb, mit dem Kreis der
freunde und Förderer der Luth, Thcol. Hochschule, 1

Lindhardt, Mogcns: Magna pars institutiac, velle esse
itistum. Eine augustinisehe Sentenz und Luthers Römerbriefvorlesung
(StTh 27, 1973 S. 127-149).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Thailing, Kaj: Der Dane N. F. S. Crumltvig, übers, v. K.
Harhsmeier. Dortmund: Det Danske Selkab (Dänisches
Institut) 1972. 188 S., 23 Abb. a. M Tnf. 8°.

524

Sören Kierkegaard (1813—55) und N. F. S. Grundtvig
(1783—1872) sind die beiden ganz großen Gestalten im

dänischen Geistesleben des vorigen Jahrhunderts. Die waren

überaus verschieden und nicht eben befremdet. Im Ausland
ist Kierkegaard viel mehr bekannt und einflußreich als sein
älterer Zeitgenosse. Obwohl er ein unübertroffener Meister
der dänischen Sprache war, läüt er sich so übersetzen, daß
man oft nahezu vergißt, daß man nicht den Originaltext vor

sich hat. Und er greift so tief in das Innere des Menschenlebens
hinein, daß auch Japaner und Sfidamerikani r Ihn
eifrig lesen.

Grundtvig hingegen war so urdänigeh, auch z. 11. in
seinen oft höchst eigenartigen Wortbildungen, vor allem aber

in seiner ganzen menschlichen Art, daß es sich als sehr
schwer erwiesen bat, ihn Nicht-Dänen verständlich zu
machen. In Norwegen übte er zwar eine kurze Zeit einen
gewissen Einfluß aus. Aber davon spürt man heule wenig.
Der Haugianismus in modifizierter Form dominiert noch
heute. Und in Schweden hat er nie wirklich Interesse
geweckt. In Deutsehland ist er stets ein Fremder geblieben,
zumal der gereifte Grundtvig sich oft energisch und schonungslos
(legen das deutsche Wesen geäußert hat.

In Dänemark hingegen spürt man überall seinen Einfluß.
Kein anderer kann sich hier mit ihm messen. Vor nilein
durch die von ihm so stark inspirierten Volkshochschulen
und durch seine kirchlichen und völkischen Lieder Ohl ei
einen ganz überwältigenden Einfluß aus. Ohne ihn wäre
Dänemark nicht. Dänemark. Es gibt wohl in der ganzen
Welt keine Parallele zu dieser Bedeutung einer einzigen
Gestalt.

Ist es aber so, daß er das spezifisch Dänische verkörpert
» ie sonst niemand, und muß man sieh damit zufriedengeben ?
Oder hat er in einer solchen Weise das Menschscin und dni
Christsein verstanden, daß er weit Iber die Grenzen Däne
marks hinaus Gehör finden kann und muß? Vielfach wird

behauptet, daß sich der Einfluß Kierkegaards im Abnehmen

befindet. Könnte vielleicht der richtig verstandene Grundtvig
seinen Platz erobern?

Wer ist aber der richtige, der reife Grundtvig? Um 1040
erlebten wir eine sehr bedeutende Grundtvig-Renaissanee.
Die Hauptfiguren dieser Welle, die auch für unsere Stellung
zum Faschismus vieles bedeutet, waren Anders Norgaard,
Pfarrer in einer dänischen sogenannten Wahlgemeinde
(1879—1943), und der damals junge Professor der nordischen
Kirchengcschichle in Kopenhagen llal Koch (1904 bis
1903). Diese beiden betrachteten das Jahr 1825 als das entscheidende
Jahr in Grundtvig« Entwicklung. Du machte er,
der lutherische, aber auch von Schcllingschcm Idealismus
und altnordischem Geist beeinflußte Theologe seine sogenannte
„unvergleichbare Entdeckung", die theologische
Grundlage für seine „kirchliche Anschauung", duß nicht das
geschriebene Bibelwort, sondern die lebendige Stimme, die
viva vox, bei Taufe und Abendmahl die entscheidende
Grundlage und maßgebende Bichtschnur für den christlichen
Glauben bildete. Im Jahre 1831 kam er so weil, daß
er das „apostolische" Bekenntnis bei der Taufe als eine unveränderliche
Überlieferung von Christus selber betrnehtete
und deshalb die osteuropäisch-orthodoxen Kirchen, die ein
theologisch gemachtes Bekenntnis anstatt des Apostolikums
eingeführt hatten, scharf verurteilte. Vor allem iu einem
Werk von drei Bänden (1935- 1938) hat Nörgaord versucht
zu zeigen, wie Grundtvig» Anschauung vom kirchliehen
Leben und seine „mosaisch-christliche" Auffassung des
Menschenlebens sich auf dieser Grundlage ent wickelt hat.

Eine andere Sicht vertritt der Verfasser dieses Buches.
I'huning. geh. 1904, Pfarrer in einer Dorfgemeinde und eng
befreundet mit Professor Ilarbsmeier in Güttingen, ist beute
zweifelsohne der vornehmste Kenner von Gruinltvig. seiner
gedruckten Werke, seiner Lieder und der Unmenge von
angedruckten Entwürfen usw., die in der königlichen
Bibliothek in Kopenhagen aufbewahrt sind. Im Jahre 1903

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 7