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Ausgabe:

1974

Spalte:

520-521

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bainton, Roland Herbert

Titel/Untertitel:

Erasmus 1974

Rezensent:

Ludolphy, Ingetraut

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Stellungen. So kunn er wohl den Guadencharakter tilgend-
haften Lebern betonen, ohne jedoch auf die Herausstellung
seiner Verdienstlichkeit ganz verzichten zu können. Und so
vermag er einerseits zuzugeben, daB das Charisma der Lehre.
,.allen" Christen zuzuerkennen sei, während er andererseits
nicht umhin kann, von der Instilutioualisierung dieses Amtes
her zu denken. Chrysostomos bejaht die hierarchische
Struktur der Kirche seiner Zeit ohne Zweifel. Allein, was er
über die Charismen sagt, sind damit klare Grenzen gesteckt.
Um so erstaunlicher, wie anschaulich und lebendig er
innerhalb dieser Grenzen von den Geistesgaben zu reden
vermag. Ks wirkt geradezu „modern", wenn Chrysostomos
trotz der Betonung der besonderen Würde des Amtes auch
sagen kann, daß dieses eingegliedert sei in die übrigen
Charismen (116) und daß es deshalb wie diese der „Prüfung
der Geister" unterliege (117), zu welchem Zwecke die
Gemeinde denn auch aufgefordert wird zu einem im Bibelstudium
begründeten „kritischen" Gehorsam (119).

Die Behandlung dreier weiterer Autoren aus der Chry-
sostomoszeit fördert dann freilich kaum vergleichbar
Interessantes zutage. Es werden besprochen Theodor von
Mopsuestia, Theodoret von Kyrrhos und Kyrill von Alexan-
dreia, wobei die Reihenfolge der abnehmenden Sympathie
des Verfassers für jeden von ihnen entspricht. Bei Theodor
wird das Amt ähnlich wie bei Chrysostomos charismatisch
verstanden (140); es geht ihm dabei um das dem „geweihten
Priester innewohnende' Charisma", dessen Wirkung den
Gläubigen zuverlässige „Sakramentsgewißheit" verschaffe
(145). Damit hat es freilich seinen „dynamischen Charakter"
eingebüßt und „sondert seinen Träger nicht mehr nur
funktional, sondern auch wescnhaft-qualilativ aus der
Gesamtheit der Gliedschaft der Kirche aus" (ebenda).

Stärker noch als Chrysostomos und Theodor ist Theodoret
davon überzeugt, daß die Charismen auch gegenwärtige
Wirklichkeit seien. Ihre Vielfalt sieht er konkretisiert im
„Gegenüber von Mönchtum und priesterlichem Amt" (102),
von institutionalisiertem Amt und „freiem" Charisma, also
einer „Präfiguration" des späteren „Gegenübers von Popen
und Sturzen" (109). Beim mönchisch-asketischen, charismatisch
begründeten Tugendstreben ist die von Paulus her
verpflichtende Ausrichtung auf den „Aufbau der Gemeinde"
(vgl. 1 Kor 14,26) weniger konsequent betont; diese Ausrichtung
ist nach Theodoret vielmehr das „Proprium" des
priesterlichen Amtes (165). Der Priester versieht seinen
Dienst zum Nutzen der Gemeinde dank des ihm in der
Ordination verliehenen Charismas, das als „Amtsgnade"
verstanden wird (166L).

Mit dem Alexandriner Kyrill schließt H. seine Untersuchung
ah. Hier begegnet uns eine ganz andere Art theologischen
Denkens. K. resümiert, daß bei Kyrill ein ,,un-
aufgclöstes Spannungsverhältuis zwischen der Behauptung
der ,Fülle' und ,Vielfalt' der ,der Kirche' verliehenen
Charismen und einem Amtsbewußtsein zu konstatieren" sei,
„das alle kirchlich relevanten Gaben und Funktionen im
Bischofsamt zusammengefaßt weiß" (195). Der Abschnitt
über Kyrill fordert wohl am ehesten zur Kritik heraus, nicht
wegen seiner Feststellungen im Detail, auch nicht so sehr
wegen der um ein Deut zu persönlich-moralischen Beurteilung
der kyrillischen Theologie (S. 190!), sondern weil man
sich des Gefühls nicht erwehren kann, hier wird der Hierarch
und theologische Streiter Kyrill an einer Fragestellung
gemessen, die nicht die seine war. Aber dies ist eine kritische
Frage mehr am Rande. Im ganzen ist man dankbar für
reiche Belehrung und neu gewonnene Bekanntschaft mit
manchen durchaus nicht „unmodernen" Einsichten aus dem
4. Jahrhundert. Es scheint, daß das Buch von R. heute
hilfreich werden könnte sowohl für den ökumenischen
Dialog als auch für das Gespräch über „Amt und allgemeines
Priestertum" innerhalb der evangelischen Kirchen.

Drenden J. Zl«mer

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KIRCH ENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Bainton, Rolund IL: Erasmus. Reformer zwischen den
Fronten, übers, v. E. Langerbeck. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht [1972]. 301 S. in. 66 Abb. gr. 8°. Lw.
DM 35,-.

Bainton hat seinen reformuliousgeschichtlichen Werken
ein neues hinzugefügt über F'rusmus von Rotterdam. Der
Titel des 1969 zuerst in New York erschienenen Werkes
heißt „Erasmus of Christendom". Elisabeth Langerbeck hat
ihn in der deutschen (Ibersetzung durch die Überschrift
„Erasmus, Reformer zwischen den Fronten", wiedergegeben
.

Die Monographie ist chronologisch und zugleich sachlich
geordnet. Sie folgt Erasmus in elf Kapiteln von Lebensstation
zu Lebensstalion, von den Auffingen in Holland bis zur
letzten Zuflucht des alten Mannes, der seine Generation
überlebt hatte, in Basel. Damit werden jeweils wichtige und
charakteristische Geschehnisse aus dem Leben und Wirken
des großen Gelehrten verknüpft. Ks gelingt dem Verfasser,
dem Leser Erasmus auch als Mensch nahezubringen.
Darüber hinaus stellt er ihn hinein in die dumalige europäische
Situation. Ein Epilog zieht das Fazit, gibt einen
Ausblick auf die folgenden Jahrhunderte und stellt Erasmus
und Luther noch einmal zusammenfassend einander gegenüber
. Dem Buch ist eine kurze Zeittafel zum Leben des
Erasmus beigegeben. Das ausführliche Register läßt den
Band fast zu einem Nachschlugewerk werden. Eine besondere
Kostbarkeit bildet wieder die Bebilderung. 66
Porträt- und Gemäldewiedergaben von Erasmus sowie von
Zeitgenossen, Titelblätter, Texte, Ortsansichten, Photographien
, Karikaturen, zum Teil von des Erasmus eigener
Hand, und anderes bis hin zu dem grausigen von der spanischen
Inquisition entstellten Erasmusbild beleben den
Text.

Wie Bainton im Vorwort schreibt, geht es ihm darum,
Erasmus zu seinem Recht kommen zu lassen, das ihm bisher
nicht geworden sei. Erst in unseren Tagen wird endlich eine
kritische Ausgabe des Gesamtwerks durch die Königlich
Niederländische Akademie der Wissenschaften in Angriff
genommen. Ironisch fügt Bainton dieser Feststellung hinzu
„aus Nationalbewußtsein, von dem Erasmus ganz frei war".
Hinsichtlich der Interpretation meint Vf., wurde Erasmus
von den Katholiken als zersetzend, von den Protestanten als
ausweichend verurteilt und fiel meist den Bationalisten in
die Hunde, die ihn vor allem wegen seiner Ablehnung des
Aberglaubens schätzten. Zwar sei in den letzten Jahren eine
Flut von Einzclmonographien zum Thema erschienen. Aber
erst im vorliegenden Falle wurde es unternommen, diese in
einem Buche zusammenzufassen. Spritzig wie immer stellt
Bainton fest, daß er das „tollkühne Unterfangen" unter der
Schulzherrschaft der „Dame Torheit" gesagt habe. Darüber
hinaus war für seine Stoffwahl die geistige Verwandtschaft
mit seinem Sujet wichtig. Nach eigenem Bekenntnis teilt
Bainton des Erasmus „Abneigung gegeti Slreit, seinen
Abscheu vor Krieg, seine resignierende Skepsis allem gegenüber
, was über das Nachprüfbare hinausgeht", und ihn
beglückt zugleich die Wärme seiner Frömmigkeit. Er ist
„überzeugt, daß er mit gutem Grund der klassischen Überlieferung
neben der jüdisch-christlichen einen Platz im Erb«
der westlichen Welt anweist" (S. 5). Daß zudem im Formalen
eine geistige Verwandtschaft besteht, sowohl was den Esprit
uls auch was die Formulicrungskunst angeht, bedarf kaum
der Erwähnung. Vor allem aber meint Bainton, Erasmus sei
wichtig fIir unsere eigene Zeit. Er habe nämlich Bedeutung
für den Dialog zwischen Katholiken und Protestanten, sei
wesentlich für das Planen und Lenken von Reformen mit
und ohne Gewalt und sei dadurch ein Vorbild, daß er tVfcf-
schlössen war, sich in Wort und Tat aller Gewalt zu ent-

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 7