Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1974

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

477

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 6

478

Verkündigung und Gottesdienst gewonnen habe. Tat- Fülle von Stoff zusammengetragen und vor dem Leser
sächlich hat man bei der gesamten Lektüre dieser sehr ausgebreitet worden ist. Wer nur irgend direkt oder inanspruchsvollen
Homiletik den Eindruck, daß aus ihr — direkt zu diesen Problemen sich hat vernehmen lassen,
wenn überhaupt — nur eine sehr intellektuelle Predigt wird vom Vf. dingfest gemacht, eingeordnet, vorge-
zu gewinnen sei, der allenfalls die Herren Habermas führt: Paul Tillich und Charly Chaplin, Saussure und
und Güttgemanns mit Gewinn lauschen würden. Müller- Pannenberg, Adorno, Brecht, Rahner — die Namen neh-
Schwefe hat offenbar eine eigene, eher aristokratische men kein Ende. Sie werden in Beziehung gesetzt — „Wie
Konzeption für das Praktische in der Praktischen Theo- bei Sartre hat also auch bei Solle Marx gegenüber
logie. - Kierkegaard recht, weil er .. .'• — Strukturalismus und
Der Wert seines Buches liegt also hier nicht. Sondern Kybernetik, Relativitätstheorie und Surrealismus wer-
er liegt in einer fesselnden Darstellung von Entwick- den vorgeführt oder elegant gestreift. Breiten Raum
lungen und Denkprozessen, wie sie außer-theologisch nehmen auch Überlegungen zur RoUe des Marxismus
und theologisch in den letzten Jahren auf dem Problem- ein, wobei zwischen originalem, epigonalem und Pseudo-
feld von Sprache, Sprachphilosophie und Sprachtheorie marxismus kaum unterschieden wird. Wissenschaftliche
stattgefunden haben. Ausgehend von Wilhelm Schapps Polemik gibt es kaum, eher werden Zensuren verteilt:
„In Geschichten verstrickt", mündet seine Überlegung da kommt zum Beispiel Dorothee Solle über Ernst
schließlich wieder bei der Sprache, die im „Erzählen" Lange, Paul Schütz über Paul Tillich zu sitzen. Zuweilen
ihre eigentliche Aufgabe hat, im „Erzählen" Wirklich- hat man den Eindruck, der Autor rede zu einem exklu-
keit erfaßt. In den vier Kapiteln dazwischen wird die siven Kreis feingebildeter Literaten - „Wer dächte hier
ganze Problematik aufgerollt, die uns mit dem Phäno- nicht an die Figur des Harlekin in der Malerei, an die
men Sprache aufgegeben ist. Sie erweist sich schnell als Dialektik in Kafkas Rhetorik oder Thomas Bernhards
anthropologische Problematik, als Fragestellung, an der Prosa...?"- Dann wieder skizziert er sicher und sehr
Menschsein und Wirklichkeitsbewältigung sich ent- instruktiv das Anliegen einer Richtung, das Werk eines
scheiden, also als zentrale Frage der Existenz. Die Über- Autors: Wolfhart Pannenberg, Heidegger in Beziehung
Schriften dieser Kapitel, „Protest" und „Anknüpfung", zu Bultmann und Ernst Fuchs, den Strukturalismus von
„Struktur" und „Dialektik", bezeichnen dabei zwei Levy-Slrauss bis Barthes und immer wieder Jean-Paul
Gegensatzpaare, in deren Spannungsfeld der Mensch mit Sartre - man lernt sie bei ihm kennen oder besser
seiner Sprache sich befindet. Protest - Attacke gegen kennen. In den einzelnen Kapiteln setzt er mit einer
eine untragbare Wirklichkeit, und Anknüpfung - Auf- Darstellung der Diskussion im außer-theologischen Be-
merksamkeit für gegebene Beziehungen in der Wirk- reich ein, referiert danach die Problemlage, die sich
Uchkeit: eins braucht immer das andere, die Sprache daraus für die Theologen ergeben hat, fügt gelegentlich
leistet beides, und der Mensch kommt nicht zur Ruhe. Hinweise an, wie sich dies in der Predigtliteratur nie-
Ähnlich aufeinander bezogen sind Strukturalismus und dergeschlagen hat: so kann in einem Kapitel viel vorDialektik
, die „feindlichen Brüder", die beide versuchen, geführt werden.

..das Ganze zu fassen" : Hier Sprache, wie Flut mit gro- Aber zuletzt legt man das Buch doch eher enttäuscht
ßer Tragkraft und unaufhellbarem Grund, uns tragend aus der Hand. Hat sich der Aufwand gelohnt? Mehr
mit uralten „Strukturen", und dort - dem gegenüber - oder weniger scheint Hans-Rudolf Müller-Schwefe sich
das Bemühen, den Grund der Sprache und damit den und seine Schar desperater Intellektueller am Ende in
Weltengrund aufzuhellen, sie handhabbar zu machen die Phalanx derer einzureihen, die mit Rudolf Bohren
mit Hilfe der allumfassenden Dialektik. Zu einem Ziel auf die Gegenwart des Geistes sich angewiesen wissen -
kommen kann das alles freilich nicht. Hier dreht sich das hätte man einfacher haben können. Und sollte dies
ein Problem-„Karussell" ohne Halten. Müller-Schwefe nicht zutreffen, dann ist man eher noch ratloser. Soll
meint: Erst da wir nun Mythos wie Logos hinter uns man nun noch predigen oder nicht? Wie sieht die Mogfielassen
haben, da das Dunkel des Mythos aufgehellt Uchkeit geistlicher Rede in der Praxis aus? Was hilft
und die Festlegung des Logos aufgesprengt werden uns da? Wenn man sich solche Fragen nicht vor, son-
rnußten, erst jetzt erkennen wir: der Mensch hat „das dem nach der Lektüre einer Homiletik stellen muß,
in Sprache verfaßte Rätsel der Wirklichkeit in sich wen trifft die Schuld?

hineingezogen". Die Metaphysik ist verschwunden, das Jen« KUus-PrterHertzsch
Rätsel nicht. „Er ist selbst das Rätsel." Und die Konsequenz
: „Hier erst orten wir die Situation unsrer Zeit A a ,,,..„
Wirklich. Wir kennzeichnen sie als Nihilismus." Das ist Reuter, Alan C: Psychology and Theology. A Retu;.n
feinsinnig dargestellt, kenntnisreich belegt und alles In to Dialog (Concord.a Theolog.cal Monthly 44, 1973
•j'em sehr trostlos. Freilich, der Vf. will bei solch subli- r^1^2^. Predigt und Pneumatologie (Catholica
mem Nihilismus nicht stehenbleiben. Als Philosoph "le^ ^7*3^-88)

gt in seinem ganzen Buch zu dem Begriff der Runbach Gerhard Verinnerlichung und Verantwortung

^nenheit" - Offenheit der Wirklichkeit, die ihr im (DtPfrBl 72, 1972 S. 853-856).

Menschen gegeben wird, Offenheit des Menschen als Sagne, Jean-Claude: Das Gebet als Anrufung der unfeiner
Existenzmöglichkeit, Offenheit der Sprache als sichtbaren, schweigenden Gegenwart des Vaters (Con-
'hrem Geheimnis -; als Theologe drängt er zur Ver- cilium 8, 1972 S. 648-653).

^ndigung des Kreuzes Christi, wobei eben durch Schmidt, Martin: Wirklichkeit und[ VewirkliAung. Zum

Christi Kreuz die notwendige Offenheit gewonnen wird. Gedenken an Alfred Dedo Müller (DtPfrüi m, i.

*m Ende klingt dann alles wieder ganz freundlich und S. 122-124). zwischen Therapie und

^ersichtlich: „Weil Gott zur Sprache kam, kann unsere «^»^ 'bÄÄJÄ veTgleSnlen S^lsorge-

5*W* zu sich selbst kommen." „Jesus aber tritt in forschune (D^PfrB?73 1973 S. 2S7-242).

«as Kreuz der Widersprüche ein ... Er führt die Wider- Joh* Die zweite Naivität. Bemerkungen zu einem

^Pruche zur Versöhnung. Dann vermag die Sprache die Pastoralproblem (Concilium 9, 1973 S. 56-62).

Ulaiektik der Existenz zu ertragen und zu übersteigen." gome Models for Theological Education (Theological

freilich ist mit solch einer Gedankenlinie nur die eine Education 9, 1973 S 81-152) Seelsorge

^te der Darstellung bezeichnet. Die andere Seite dieses Stollberg. Dietrich: Liebe und SachUchke t^ S ee s«ge

2**- und eigentlich der beherrschende Eindruck^ den "ft£^£3Knd S-Tl9)

Selne Lektüre hinterläßt, ist, daß hier eine ungeheure 73, 1973 S. 86-89 und