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Ausgabe:

1974

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 6

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Das ausführliche Vorwort, das Albrecht Schönherr bei- wenn man die Atmosphäre jener Zeit so transparent
gesteuert hat, liest, sich wie der Bericht eines Mannes, gemacht und so treffsicher beantwortet finden will wie
der im Gedränge zu verantwortender kirchlichen Ent- in der Predigt über die Moses- und Aaronskirche vom
Scheidungen nach Orientierungen sucht, die sich be- 28. Mai 1933 (S. 401—406). Wahrscheinlich ist das Phä-
währt haben. Der ehemalige Lehrer und Freund erweist nomen der zu jedem Opfer bis hin zur Selbstvernichsich
mit dem, was er in der ganz anderen Situation tung bereiten Massenhysterie so ungeheuerlich, daß es
damals zu vertreten hatte, auch in einem zeitlichen Ab- zu seiner Beantwortung des anspruchsvollsten Mediums,
stand mehrerer Jahrzehnte als ein überaus zuverlässiger eben der Predigt, bedarf. Anders hat, Bonhoeffer Pre-
Weggefährte. Wo gibt es einen Theologen, der die Kirche digt nie verstehen können.

so wenig festnagelt auf Positionen, die auch wichtig und Es bleiben einige Fragen an den Herausgeber:

richtig sein mögen, aber letzten Endes doch von dem |, Wäre es nicht besser gewesen, innerhalb der ein-

e.nen notwendigen Dienst und Zeugnis ablenken? Wo xlnen Kapitel die Dokumente in der Reihenfolge ihrer

Ist Iii einer schnell sich wandelnden kirchlichen und Genesis zu bringen? Weil Bonhoeffer immer konkret

politischen Szenerie die Frage, wer Jesus Christus für redet ist die Zeit der Entstehung eine nicht unwichtige

uns heute ist, mit einer so großen und gleichbleibenden Verstehenshilfe

Leidenschaft durchgehalten? Wo wird man so wie bei ' ... ' ., ,t . , .

Bonhoeffer geradezu bedrängt durch die Fülle von . 2 „War es, notwendig. Im«ttn Kapitel neben der

Konsequenzen, die sich aus dieser Frage ergeben? Wo dankenswerterweise so ausführlichen Wiedergabe von

„., . . , , , ... ... .. , . <Vl ..Sanctorum communio die ganze Antrittsvorlesung

gibt es eine solche Fähigkeit, einen Weg mit lauter Über- ... - „ . , u • j

_u_ j_ T, , , . _ über „Die Frage nach dem Menschen in der gegen-

raschungen mitzugehen ohne auch nur die leiseste Spur .. „, .. . . . —, . . „ , . „ ,%.

Ulm- » - wartigen Philosophie und Theologie zu bringen? Sie

billiger Anpassung? . i . ., K .. , , . , — . -

zeigt ja wohl am wenigsten den originalen Bonhoeffer

In acht Kapiteln wird so umfassend wie möglich das und hat so etwas die Aura einer Pflichtübung. Statt

komplexe, breit gefächerte und am Ende doch von einem dessen natte man sicn den wichtigen Vortrag vom

einzigen Thema zusammengehaltene Lebenswerk Bon- ,„ November 1932 ..Dein Reich komme! das Gebet der

hoeffers angeboten: eine akademische Tätigkeit, in der Gemeinde um Gottes Reich auf Erden" gewünscht

alles schon anklingt, was sich später als so virulent er- m 270—285)

weisen soll; seine Mitarbeit in der Ökumene mit den . - — . ^ , ... . ..

-■ in ■ ■ j- j i • v. • ^. _, 3. Ist es vertretbar. Bonhoeffers sehr präzise und mit

unbequemen Fragestellungen, die er dort einbringt und „ „ . .... . , „, „ „ ,__

hio Zu „,.:*„ ...4 t.Xi.w- der Zeit immer wichtiger werdende Stellungnahme zur

Judenfrage mit keinem Wort, geschweige denn mit

die mit gleicher Vehemenz auf theologische Rückbesinnung
wie auf konkrete Entscheidung dringen; sein

i3 ■. 1 _ ,,. „ , . ... . einem Beitrag zu erwähnen? Hier aktualisierte sich doch

Beitrag zum Weg der Bekennenden Kirche; seine spe- ... ., . . , , ,. „ , * . j „ j-

zielle Arbeit in Finkenwalde; seine Überlegungen zur fur lhn Wle murgends sonst die Erkenntnis, daß die

Neuformulierung einer Ethik, verbunden mit der poli- Kirche nur Kirche lst' wenn sle fur andere eintntt-

tischen Verantwortung, zu der er sich gedrängt sah; 4. Ist es möglich. Bonhoeffers Arbeit an der Ethik

seine Briefe aus dem Tegeler Gefängnis mit der Vision und seine politische Tätigkeit auch nur in der Anord-

eines kommenden religionslosen Christentums; am Ende nung des Stoffes auseinanderzuhalten? So wird das

dann ein kleiner Einblick in dasjenige Werk, das ihm Mißverständnis gefördert, als sei Ethik eine akademi-

'-•clber immer als das wichtigste erschien, sein Predigen. sehe Angelegenheit. Bonhoeffer schrieb seine ethischen

Hier kann nur auf zwei Abschnitte etwas näher ver- Versuche als einer, der unversehens Hand anlegen

wiesen werden. Zunächst auf Bonhoeffers Beitrag zum mußte an elner aus Verwirrungen und Trümmern neu

Weg der Bekennenden Kirche. Er ist in der Auswahl ™ gewinnenden Gestalt verantwortlichen Lebens. Die

am signifikantesten durch den Aufsatz ..Zur Frage nach singuläre Bedeutung seiner Arbeiten liegt dann, daß

der Kirchengemeinschaft" vertreten. Bekanntlich hatte er wie kein anderer das ungewöhnliche Tun einer■ un-

rii„> a i 4 u „ . .__„ . — gewöhnlichen Zeit in den Rang des Allgemeingültigen

oieser Aufsatz bei seinem Erscheinen großes Aufsehen *c , , „" . _ .__„___

- . — ■ .. „ _. . " _ . .m erhob Aber diese Anfragen sollen den Dank an Herauserregt
. Bonhoeffer hatte es gewagt, den alten Satz, daß . " . «^ c. _„

L, ~__. . „, , , , ,. , t '•- —___ geber und Verlag nicht einschränken. Sie mochten zu

es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, auf die gegen- B . . ™ ., ... ^ 4 «ti. j~ a..-

Artige Situation anzuwenden; genauer gesagt auf die- .hrem bescheidenen Teil die stets neu zu fuhrende Aus-

ienige Gemeinde, die sich um eine neu aufgebrochene cinandersetzung mit Bonhoeffer m Gang halten.

Erkenntnis des Heils und um das dazugehörige Be- Köln ottoDudzus

Kenntnis sammelte und die dann auch die notwendigen __

Abgrenzungen zu vollziehen hatte. Man warf ihm unerträglichen
dogmatischen Starrsinn und katholisieren- Brunner, Peter: Um des Glaubens willen (LuMo 13, 1974
den Fanatismus vor. In der Tat kann man den Aufsatz S. 90—92).

"uch heute noch nur mit angehaltenem Atem lesen, mit Cone, James H: Schwarze Theologie im Blick auf Revo-
Angst vor einer zu großen Direktheit und Enge. Und lution. Gewaltanwendung und Versöhnung (EvTh 34,
doch wird gerade hier etwas von dem ganz Spezifischen 1974 S. 4-16). _
bei Bonhoeffer deutlich. Dieser Mann mit von Anlage. " Schwarze Theologie und Ideologie Eine Antwort an
Wi«„„ j „,,j t- ... „ ix o*_ meine Gesprächspartner (EvTh 34, 1974 S. 80—95).
dan uad B,ld"nR SPhr We',en Gpslch*sPunkten wuß*e- Edwards. Herbert O: Schwarze Einwände und Fragen
■b im Augenblirk der Entscheidung etwas ganz Be- (EvTh 34 1974 S 25—34)

^'mmtes und auch Einseitiges gesagt werden muß, oder Fischer. Alfons: Anerkennung von Amt und Abend-

_ w'rd nichts gesagt! So will dieser Aufsatz und so mahl? Tagung der Katholischen Akademie Berlin

ollen alle anderen hier gebrachten Beiträge zum Weg (AltKathKZ 18. 1974 S. 5).

ner Bekennenden Kirche nur festhalten, welch ein An- Gollwitzer. Helmut: Zur ..schwarzen Theologie" (EvTh

pfbot in jenen Jahren der Ungewißheit Gott seiner 34. 1974 S. 43-69).

K,r<-he mit den Synoden von Barmen und Dahlem ge- Gutknecht, Christoph: Auf der Innenseite der Sprache,

rnaeht hatte Entwicklungen und Probleme der Linguistik (EvKomm

»3 7 1974 s 92_94)

beoi"' ,d°r Lckiürc dcr Predigten ist man immer wieder Hennemann, Gerhard: Glaube im Sinne des Fürwahr-

j(i "'druckt, wie tief Bonhoeffer hier mit seinem Wort haltens von Sätzen. Eine sprachlogische Untersuchung

a] 0ln oestimmtes Geschehen eingreift, oft noch mehr (ZRGG 25, 1973 S. 304-315).

• mit seinen anderen Beiträgen. Man muß unter den Herzog, Frederick: Theologie am Scheideweg (EvTh 34,

dorischen Dokumenten des Jahres 1933 lange suchen. 1974 S. 70-80).