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Ausgabe:

1974

Spalte:

472-474

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bonhoeffer, Dietrich

Titel/Untertitel:

Christus für uns heute 1974

Rezensent:

Dudzus, Otto

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr.fi

472

nicht nachlassender Intensität geführten Diskussion um
die wissenschaftliche Vertretbarkeit und die Methodik
der Gottesbeweise. Es geht dabei einmal um ein erneutes
Durchdenken der klassischen Argumente und
Gegenargumente, zum anderen um das Aufsuchen neuer
Argumentationsmöglichkeiten in Auseinandersetzung
mit den verschiedenen neuscholastischen Denkrichtungen
. Die Entschlossenheit zur Rezeption des Überkommenen
kann dabei in produktive Spannung zu der Bereitschaft
treten, den zeitgenössischen Fragestellungen
in Erkenntnistheorie und Ontologie gerechtzuwerden.

Schmuckers besonderes Verdienst liegt in der gründlichen
und breit fundierten Interpretationsbemühung,
die er in diesem Zusammenhang dem Werk Kants gewidmet
hat. Mit Recht spricht der Untertitel des Buches
vom „Versuch einer positiven Aufarbeitung der Kritik
Kants", aber er sagt noch zu wenig, denn der Vf. beschränkt
sich nicht auf eine Erörterung der Kritik am
„kosmologischen Argument", sondern er gibt im Zusammenhang
damit eine fundierte und subtile Einführung
in Kants philosophische Theologie überhaupt und
eine kritische Auseinandersetzung mit gewissen apologetischen
Argumentationen der Neuscholastik. (Diskussionspartner
sind hier bes. H. Ogiermann und C. Nink).

Für die Methode der Kant-Interpretation sind für den
Vf. zwei Gesichtspunkte wichtig: Erstens sei davon auszugehen
, „daß die wesentlichen Elemente seiner Widerlegung
der Gottesbeweise ... vorkritisch sind" (S. 35),
man müsse also, „um an den Kern dieser Kritik heranzukommen
, sich eingehend mit dem vorkritischen Ringen
Kants um die Probleme der Metaphysik . .. näher
vertraut machen" (a. a. O.). Daraus ergibt sich zweitens
die Forderung des Vf.s,.die Kritik Kants „aus dem Korsett
" des in der Kritik der reinen Vernunft beachteten
„formalistischen Schemas" zu lösen, da es sich ja um
einen „substanziell vorkritischen Gedankengang" handle,
der nur auf dem Hintergrund jenes Ringens zu würdigen
sei (S. 36 f.). Dementsprechend ist Gegenstand der
Untersuchungen Schmuckers nach diesen zwei Richtungen
hin der ganze Kant; der Metaphysiker, nicht nur
der Verfasser der „transzendentalen Dialektik". Während
die neuscholastischen Gegner Kants ihre Abwehr
der Kantschen Kritik damit zu begründen suchen, daß
Kant das kosmologische Argument auf das ontologische
zurückzuführen suche und (im Unterschied zu Thomas)
den fundamentalen Unterschied beider nicht anerkannt
habe (S. 72 ff.), stützt sich Vf. in seiner Würdigung
Kants gerade auf die unlösbare Verbindung jenes
4. Abschnitts im 3. Hauptstück der transzendentalen
Dialektik, der sich mit dem ontologischen Beweis auseinandersetzt
, mit dem 5. Abschnitt, der dem Kontingenzargument
gewidmet ist. Die „sachlich entscheidende
Grundthese Kants" lautet daher nach Schmucker: „Es
ist unmöglich, das ens necessarium näher so zu bestimmen
, daß wir eine positive Vorstellung davon bekommen
können, was notwendige Existenz überhaupt
besagt" (S. 74). Vf. stimmt also Kant zu, wenn dieser
den kosmologischen Beweis bei der ontologischen Grundfrage
behaftet: „Der Angelbegriff des kosmologischen
Schlusses auf das Dasein Gottes ist also der des notwendigen
Daseins, nicht der des ens realissi-
mum" (S. 75).

Mit dieser Feststellung ist für den Vf. die Voraussetzung
gegeben, sich kritisch mit den neuscholastischen
Formen des Kontingenzarguments auseinanderzusetzen.
Es geht dabei um die logische und ontologische Tragfähigkeit
und Eindeutigkeit, der Begriffe des wesensnotwendigen
und des kontingenten Seins. Wenn Kontingenz
als ein Verhältnis „der Indifferenz von Wesenheit
und Dasein" erkannt ist (S. 88), so läßt sich daraus
weder zwingend die Wirklichkeit eines zugleich Daseinsund
Wesensnotwendigen ableiten noch auch die Unmöglichkeit
, „die endlichen und begrenzten Wesen als unbedingt
notwendig im Dasein" zu denken (S. 90; Vf.
nennt als Beispiel die Annahme, „die Atome Demokrits
wären unerschaffen"). Um so mehr erscheint der Anspruch
überzogen, „mit einer der mathematischen vergleichbaren
Stringenz Gott als den Welttranszendenten
zu erreichen und ihn als den Wesensnotwendigen in seiner
innersten Seinsverfassung zu durchschauen" (S. 88).

Wenn also Vf. ein gutes Stück m i t Kant Kritik an
historischen und zeitgenössischen Argumentationsweisen
übt, so setzt er im letzten Teil seiner Untersuchung den
Gedankengang als Kritik a n Kant fort, indem er die
Frage stellt, ob sich nicht bei entsprechender Sicht der
Problemlage „vielleicht ein grundsätzlich anderer,
aber völlig legitimer Begriff des Daseinsnotwendigen ergeben
könnte, der im Gegensatz zu dem kraft des Wesens
Existierenden unangreifbar" wäre (S. Ulf.). An
die Stelle der „wesensnotwendigen Existenz" tritt hier
als neuer Schlüsselbegriff der der „Unbedingt-
heit" (S. 112). Dadurch wird der Zugang zu einer
neuen Fragestellung gebahnt: „Die Frage, die an die
Welt als solche bzw. an ihre Letztelemente zu richten
ist, lautet dann schlicht und einfach: können die Grundelemente
der Welt und damit diese selbst als unbedingt
im Dasein und Wirken gedacht werden
oder nicht?" (S. 114). Hier sieht Vf. den Ansatz für eine
Lösung der kosmologischen Grundfrage gegeben; „eine
nüchterne ontologische Betrachtung und Analyse des
Weltseins" entdeckt danach „an ihm Züge, die über es
hinausweisen auf eine geheimnisvolle transzendente
Wirklichkeit, die grundlegend nur negativ dadurch bestimmbar
ist, daß sie diese welthaften Züge nicht haben
kann", es handelt sich um „ein... geheimnisvolles
Seiendes, ... dessen Personalität jedoch nur durch
die kosmologische Betrachtung allein in der Schwebe
bleibt" (S. 121 f.).

Vf. sieht die Möglichkeit, von der neugewonnenen
Position aus dem herkömmlichen argumentum ex motu
und dem argumentum ex gradibus perfectionum einen
neuen Platz nicht neben, sondern im Zusammenhang
des modifizierten Kontingenzbeweises einzuräumen. Es
geht in beiden Fällen um eine „Transponierung" einer
„vertikalen Denkbewegung . . . auf die horizontale
Ebene" (S. 176; vgl. S. 149) eines „Aufweis(es) der Bedingtheit
des welthaften Seins." Die entscheidende
Selbstbeschränkung, die sich der Vf. in seiner Argumentation
auferlegt, liegt darin, daß er die kosmologische
Betrachtungsweise prinzipiell nicht verläßt, d. h.
den Schritt zu einer spekulativen Theologe hin vermeidet
. Gerade dadurch vermag er auch einem nicht in
der scholastischen Tradition stehenden Denken wertvolle
Impulse zu vermitteln.

Leipzig ' Halle Norbert Müller

Schult/.. Walter |Hrsg.]: Christus für uns heute. Eine
BonhoefTer-Auswahl. Berlin: Evang. Verlagsanstnlt
(1970). 431 S. 1°. LW. M 12,80.

Eine Auswahl ist sinnvoll, wenn das Werk eines
Schriftstellers schwer zugänglich ist und man ohne eine
zusammenfassende Wiedergabe mehr auf Vorurteile als
auf Urteile angewiesen bleibt; wenn die Interpretation
sich eines Verfassers derart bemächtigt hat, daß die
originale Stimme darunter zu ersticken droht; wenn das
Wort dieses Mannes ein solches Gewicht hat, daß man
sich nur zum Schaden für die eigene Sache ein aufmerksames
Hinhören ersparen kann. Alle genannten Gesichtspunkte
dürften für eine Bonhoeffer-Atiswahl in
hohem Maße zutreffen.