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Ausgabe:

1974

Spalte:

455-457

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Werke der württembergischen Pietisten des 17. und 18. Jahrhunderts 1974

Rezensent:

Obst, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 6 456

455

Sozialismus und die weltanschaulichen Voraussetzungen
der Geschichtstheorie, deren Herkunft — mit Ausnahme
Tillichs — niemals reflektiert wurde und die das Resultat
der Auseinandersetzung mit dem Marxismus und seiner
partiellen Rezeption bestimmten. Vorsicht sei auch geboten
, „für eine Rezeption des Sozialismus auf den
sozialdemokratischen Revisionismus" zurückzugreifen
(gegen Th. Strohm: Kirche und demokratischer Sozialismus
. Müchen 1968). Religiös-Sozialische Versuche,
„den Marxismus zum bloßen Wirtschaftsprogramm zu
verkürzen und ihn mit einem gleichfalls verkürzten
Christentum zu verbinden" (262), werden von der Vfn.
als illegitim zurückgewiesen. Es gelte vielmehr, den
Marxismus auch als Weltanschauung ernstzunehmen
und dabei weder das Atheismusproblem noch die Gewaltfrage
oder den Materialismus zum vorrangigen Diskussionsgegenstand
zu erheben.

Eine glückliche Hand hat die Vfn. bei der Herausgabe
ihrer „Dokumente zum religiösen Sozialimus in Deutschland
" gehabt, die im Nachgang zu ihrer oben besprochenen
Arbeit gesondert herausgekommen sind. Eine geschichtliche
Einleitung, die im wesentlichen den Ergebnissen
ihrer Arbeit folgt, aber auch die Auswahl der
Dokumente begründet und diese interpretatorisch einordnet
, macht den Leser mit Geschichte und Anliegen
der religiösen Sozialisten vertraut. Auf Dokumentation
der Position Tillichs wird hier verzichtet. Beiträge von
E. Bizer und G. Dehn behandeln unter zeitgenössischem
Blickpunkt das Verhältnis des religiösen Sozialismus
zur dialektischen Theologie jener Jahre. In systematisch
vorbildlicher Ordnung werden zentrale Fragen des
Selbstverständnisses der religiösen Sozialisten, ihrer
differenzierten Marxismusinterpretation sowie ihre
Kirchen- und Gesellschaftskritik vorgestellt. Die Vfn.
betont, sie habe sich um gegenwartsrelevante Themen
bei der Auswahl bemüht: „Vieles von dem, was damals
gedacht und getan wurde, kann heute in den Uber-
legungen zur sozialen Verantwortung der Kirche und
ihrer Stellung zum Marxismus als Anstoß dienen und
zur Klärung beitragen" (8). Es kann gesagt werden, daß
das Auswahlprinzip ein repräsentatives Bild vom Wollen
der religiös-sozialistisch orientierten Kräfte ermöglicht
. Trotz alles Problematischen, das ihre Konzeptionen
in theologischer wie ideologischer Hinsicht bestimmte
und das darin zeitgeschichtlichen Charakter trägt, darf
der gesellschaftskritische Pionierdienst der religiösen
Sozialisten im deutschen Protestanl ismus während der
Weimarer Zeit als Verkörperung einer auch vom marxistischen
Standpunkt aus heute in ihrer Bedeutung geschichtlich
uewütdigten progressiven ..Klassenlinie"
gelten. Für die weitere Erschließung dieses interessanten
geschichtlichen Phänomens, das nicht nur kirchenhistorisches
Interesse beanspruchen darf, leisten die vorliegenden
beiden Publikationen einen guten Dienst.

Leipzig Kurt Meier

Mälzer, Gottfried: Die Werke der württembergischen
Pietisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Verzeichnis der
bis 1968 erschienenen Literatur. Berlin — New York:
de Gruyter 1972. XVI, 415 S. gr. 8' - Bibliographie
zur Geschichte des Pietismus, im Auftrag der historischen
Kommission zur Erforschung des Pietismus
hrsg. v. K. Aland, E. Peschke. M. Schmidt, 1. Lw. DM
84,-.

Mit diesem Werk liegt der erste Band der Reihe
„Bibliographie zur Geschichte des Pietismus" vor. Geplant
sind zehn Bände. Der württembergische Pietismus
des 17. und 18. Jahrhunderts wird mit 63 Autoren, von

denen 3112 Titel nachgewiesen werden, bibliographisch
eindrucksvoll vorgestellt. Der Bearbeiter stand vor
schwerwiegenden Vorentscheidungen.

Für die Klassifizierung eines Autors als „pietistisch
" war im Zweifelsfall der gegenwärtige Forschungsstand
entscheidend. Zeitlich reicht die
Bibliographie von den „Vorläufern" des württembergischen
Pietismus — als bedeutendster wird Johann Valentin
Andreae mit einbezogen — bis zum „Ubergang vom
18. ins 19. Jahrhundert", für den die Erhebung Württembergs
zum Königreich (1806) die obere Grenze bildet.
Der Bearbeiter ist sich bewußt, daß die Zurechnung aller
der pietistischen Autoren zum 18. Jahrhundert, „die
noch in Altwürttemberg das Mannesalter erreicht haben
", nicht unproblematisch ist, bedenkt man „die organische
Entwicklung des württembergischen Pietismus
aus dem 18. ins 19. Jahrhundert" (VIII). Eine überzeugendere
Lösung bot sich aber wohl kaum an. Das angesichts
der Durchsetzung Altwürttembergs mit verschiedenartigen
selbständigen Territorien nicht minder
schwierige Problem der räumlichen Begrenzung
wurde durch Subsummierung der in enger geistigkultureller
Verbindung mit dem Herzogtum stehenden
Gebiete gelöst. Eine besondere sachliche Begrenzung
liegt schließlich darin, daß nur gedruckte Schriften
erfaßt wurden und anonyme bzw. Pseudonyme Werke
lediglich dann aufgenommen wurden, wenn der Verfasser
bekannt ist. Das Ziel, alle literarisch produktiven
württembergischen Pietisten innerhalb der gesteckten
Grenzen und des angegebenen Zeitraumes in einem
„vollständigen Verzeichnis" zu erfassen, muß aus Sach-
und Definitionsgründen unerreichbar bleiben, doch
kommt ihm der Bearbeiter zweifellos recht nahe. Anders
als von pragmatischen Gesichtspunkten ausgehend,
kann der Bibliograph hier tatsächlich nicht sinnvoll
arbeiten (IX).

Die Bedeutung des vorliegenden Werkes für die Pietismusforschung
, Kirchen- und Theologiegeschichte wird
wohl auch Fernstehenden durch den Hinweis auf die
Erarbeitung vollständiger Bibliographien so namhafter
Kirchenmänner und Theologen wie J. V. Andreae, J. A.
Bengel, J. F. Flattich, M. Hahn, Ph. M. Hahn, F. Ch. Oet-
tinger, S. Urlsperger u. a. deutlich. Durch die Regel,
grundsätzlich „die gesamte literarische Produktion" des
als pietistisch klassifizierten Autors (mit Ausnahme Johann
Jakob Mosers) vorzuführen, erhält die Bibliographie
auch für andere Wissenschaftsbereiche (Germanistik
, Jura, Pädagogik etc.) beachtliche Bedeutung. So
finden wir z.B. unter den mit 260 Titeln vertretenen
Veröffentlichungen des bekannten Staatsmannes und
Rechtsgelehrten Friedrich Karl von Moser (1723—1798)
nur wenig theologisch oder religiös ausgerichtete.

..Der Aufbau der Bibliographie ist nach bekannten
Prinzipien gestaltet" (X). Die Autoren sind alphabetisch
geordnet und werden durch „elementare" biographische
Daten kurz vorgestellt. Als günstig erweist sich die
alphabetische Ordnung der Einzelwerke. Dadurch ist es
möglich, alle Auflagen, Teilabdrucke, Auszüge und
Ubersetzungen, die im Berichtszeitraum (bis 1968) erschienen
sind, geschlossen aufzuführen, ein Umstand,
den jeder Benutzer schätzen wird Der Gliederung liegt
folgendes Schema zugrunde: Bibliographien, Bibelausgaben
. Briefe, Erbauungsstunden, Gebete, Gedichte und
Lieder, Predigten. Es folgen: Gesammelte Werke, Tell-
sammlungen, Auszüge, einzelne Werke. Auch die Tätigkeit
des jeweiligen Autors als Bearbeiter, Herausgeber,
Mitarbeiter. Ubersetzer und Vorredner wird nachgewiesen
Jeder Benutzer wird angesichts des oft seltenen
und weitzerstreuten Materials begrüßen, daß auch Besitznachweise
nicht fehlen. Außerdem erleichtern eine