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Ausgabe:

1974

Spalte:

424-426

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Roetzel, Calvin J.

Titel/Untertitel:

Judgement in the community 1974

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1974 Nr. 6

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lukanische Sprachstil wird als ..Kunstprosa" definiert,
die besonders in den Einführungen Schlußformulierungen
. Summarien und in den Dialogen festzustellen
ist (S. 48 ff.). Was die „Quellen" des Evangeliums betrifft
(c. 4), so schließt sich Vf. der 2-Quellen-Theorie an,
wenn auch in der Frage der Abhängigkeit von Q nicht
geringe Unsicherheitsfaktoren zugestanden werden
(S. 81). Die Benutzung einer „Protolukasquelle" wit 3
vom Vf. ausgeschlossen (S. 79f.) und in einem weiteren
Kapitel, auf dem Gesagten aufbauend, die detaillierte
Gliederung des dritten Evangeliums — sie orientiert
sich weithin an geographischen Gesichtspunkten — begründet
(c. 5).

Im umfangreichsten Großabschnitt des Werkes (Tl. II:
"Recits et discours", S. 105-337), analysiert Vf., dem Aufriß
des Lukas-Evangeliums folgend, die einzelnen Peri-
kopen nach ihren wesentlichen inhaltlichen Problemstellungen
. Hierbei kommt dem Aufweis der lukanischen
Redaktionsarbeit ein besonderes Gewicht zu. Auf diese
Ausführungen, die zusammengenommen einen durchgehenden
, kurzgefaßten Kommentar darstellen und die
Früchte einer langjährigen exegetischen Beschäftigung
mit dem Lukas-Evangelium darbieten, kann hier nur
verwiesen werden.

Willkommen ist auch Teil III (' Le message doctrinal",
S. 339—457), in dem trotz der zugestandenen „gewissen
Unausgeglichenheit" des Stils eine Synthese der theologischen
Vorstellungen des Lukas vorgeführt wird.
Im einzelnen: Zum Begriff „Gotlesreich" bzw. „Gottesherrschaft
" (c. 1) ist festzustellen, daß Lukas sich aufs
engste seinen Vorlagen anschließt; charakteristisch ist.
da.'i Lukas die Vorstellung vom „Menschensohn" der
vom „Gottessohn" annähert und zwischen dem „Men-
chensohn, von dem Jesus redet, und dem, der er selbst
ist", nicht unterscheidet (S. 335.355). Zur Frage der
Parusieverzögerung meint Vf., daß für Lukas nicht das
Problem der Nah- oder Fernerwartung, sondern die
Aussage von der Ungewißheit des Endes kennzeichnend
sei; dabei wird — m. E. auch im einzelnen überzeugend
— für die lukanische Eschatologie sowohl eine gegen-
warts- als auch eine zukunftsbezogene Ausrichtung behauptet
(S. 356 ff.).

Ein wesentliches Element in der lukanischen Christo-
logie ist die Zeichnung Jesu als eines Propheten (c. 2).
wie sie Verf. an Lk 3,21-22; 4,1-13; 16—30 aufzuzeigen
versucht (S. 364 ff.). Als Prophet ist Jesus zugleich
..Bote Gottes", Geistträger und Messias (S. 372 f.). Wird
sein Auftreten in der „Perspektive der alten Prophetie'
gesehen, so wird durch solchen Vergleich seine Einzigartigkeit
deutlich (S. 381).

Eine nicht geringere Bedeutung besitzt im dritten
Evangelium auch die christologische Vorstellung vom
..Retter" (c. 3), in der alttestamentlich-jüdische und
griechisch-hellenistische Strömungen zusammenfließen
(S. 383 ff.). Vor allem in den Heilungsgeschichten findet
sich ein reichhaltiges soteriologisches Vokabular. Darin
überschreitet Lukas die sachlichen Grenzen einer
Menschheitshistorie und proklamiert prophetisch die
Geheimnisse Gottes, die in der Predigt und in den Taten
Jesu sich manifestieren (S. 396f.); das hier verkündigte
Heil ist universal und wird den Sündern und den
Armen zugesprochen (S. 396ff., 401 ff.).

Endlich sind die Titel „Herr" und „Gottessohn" (c. 4)
für die Christologie des Lukas charakteristisch: Die
Interpretation des Kyrios-Titels im Lukas-Evangelium
hat „die Treue des Lukas zur ursprünglichen mare-
Herr-Tradition" und die lukanische Redaktion, die das
Uberlieferte „zurückhaltend transformierte", zum Ausganspunkt
zu nehmen (S. 417). Hierbei und auch bei der
Analyse des Titels „Gottessohn", der dem „alleinigen

Offenbarer des Vaters" zu eigen ist, wird deutlich, daß
Lukas denselben Glauben wie Paulus bezeugt, auch
wenn er nicht einfach das nachösterliche Glaubensverständnis
in das Leben Jesu zurückgetragen hat (S. 425).

Aus der christologischen Konzeption folgen die Aussagen
der lukanischen Ekklesiologie und Anthropologie
(c. 5), die Vf. im Anschluß an die Stichwörter „Jüngerschaft
" und „Nachfolge" entfaltet (S. 426 ff.). Danach ist
Jesus nicht nur ein "Maitre ä penser", sondern ein Anführer
, der seinen Willen durch konkrete Forderungen
zum Ausdruck bringt; dadurch weist er den Weg zu
einer ..neuen Humanität", d e die Würde des Menschen
anerkennt, die zugleich durch eine totale Selbstverleugnung
gekennzeichnet ist; so erfüllt es sich im Raum des
Geistes und des Gebetes (S. 444 f.).

Im letzten Kapitel (c. 6: "La solidite des paroles")
wendet Verfasser zum Prolog des Evangeliums zurück,
um von hier abschließend den ..Autor" und seine „Botschaft
" zu zeichnen. Festgehalten wird noch einmal
Lukas' historische Absicht bei der „Neubearbeitung des
Markus", auch seine bemerkenswerte schriftstellerische
Kraft, wie sie sich in der Zusammenfassung ausein-
anderstrebender literarischer Motive bei der Abfassung
seines um 75—80 geschriebenen Evangeliums erweist.
Hierin wie in der Ausarbeitung seiner theologischen
Intention allgemein erfüllt Lukas die Funktionen eines
„christlichen Propheten", meint der Vf. und charakterisiert
darin zugleich die implizierte Fragestellung seines
eigenen Werkes (S. 457).

Es ist deutlich, daß dieses Buch durch eine konservative
Auswertung der deuteropaulinischen bzw. der
altkirchlichen Uberlieferungen zur Entstehung der lukanischen
Schritten geprägt ist. Nun ist die Stellungnahme
zu einer derartigen pos;tiven Bewertung der Tradition
nicht unwesentlich von der Vorentscheidung abhängig,
die der Leser in dieser Frage grundsätzlich schon getroffen
hat. Solche Feststellung mag die Überzeugungskraft
der Einzelargumentation des Vf.s relativieren.
Gleichwohl wird man nicht sagen können, daß viele
der in dieser Hinsicht oftmals zu schnell abgegebenen
..kritischen" Urteile durch die eindringend argumentierende
Darstellung des Vf.s nicht gefährdet worden seien.
Aber auch abgesehen von der Frage, wie man sich zur
eben Kennlinien Position des Vf.s stelll — dieses Puch ist
nicht zuletzt durch die umfassenden Materialaufstellungen
und durch die Fülle der ausgebreiteten exegetischen
Details ein hilfreicher Beitrag zum Verständnis
des Lukas-Evangeliums. Es sollte nicht nur von interessierten
Nicht-Exegeten, für die es primär geschrieben
ist. sondern auch von den Fachneutestamentlern intensiv
studiert werden.

Göttingen Georg Strecker

Roctzel. Calvin J.: Judgrment in the Community. A

Study of the Relationship between Eschatology and
Ecclesiology in Paul. Leiden: Brill 1972. X, 208 S.
gr. 8°. Lw. hfl. 50.-.

In einem ersten Kapitel (S. 1—13) gibt der Vf. einen
kurzen Uberblick über den gegenwärtigen Stand der
wissenschaftlichen Diskussion über das paulinische
Gerichtsverständnis. Die meisten Entwürfe, sei es der
katholische von St. Lyonnel1, seien es die protestantischen
von H. Braun, F. Filson, L. Mattern oder R. C
Devor-, versuchen, das paulinische Gerichtsverständnis
im Horizont seiner Rechtfertigungslehre zu verstehen-
Die Interpretationen befriedigen nicht recht: Braun
muß bei Paulus unbewältigte jüdische Traditionsma-
terialien feststellen. Mattern muß unterscheiden zwi-