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Ausgabe:

1974

Spalte:

19-32

Autor/Hrsg.:

Holtz, Traugott

Titel/Untertitel:

Zur Interpretation des Alten Testaments im Neuen Testament 1974

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

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müssen, die Rede. Es war klar, dafj hier eine Änderung
dringend nötig war. Aber die getroffene Neuauswahl konnte
das schwierige Problem, welches „Profil" die „Fastenzeit"
durch ein Lektionar für lutherische Kirchen und Gemeinden
nun bekommen soll, nur sehr unzureichend lösen. Höchst
erfreulich ist jedoch die Tatsache, dafj durch das Angebot
von Alternativ-Texten der denkbar beste Weg gebahnt worden
ist:

Es ist ja geradezu unbegreiflich, dafj jahrhundertelang in
evangelischen wie katholischen Gemeinden ein Lektionar
benutzt worden ist, in dem die Passionsgeschichte fehlte.
In der katholischen Kirche kam sie allerdings dadurch zu
ihrem Recht, dafj in der Karwoche Messen gehalten wurden,
in denen die Passion nach Mt am So., nach Mk am Di., nach
Lk am Mi. und nach Joh am Fr. vollständig - meist sogar
recht dramatisch - vorgetragen wurde. Diese Ordnung erhielt
sich - allerdings modifiziert - in der evangelischen
Kirche! (Die „Passionen" von H. Schütz und J. S. Bach sind
dafür ein beredtes Zeugnis!) Aber in den meisten lutherischen
Gemeinden ist die Lesung der Passionsgeschichte,
wenn sie überhaupt stattfindet, schon seit langem aus dem
Hauptgottesdienst der Gemeinde in wochentags abgehaltene
„Passionsandachten" abgedrängt worden, die von sehr kleinen
Kreisen treuer Gemeindeglieder besucht werden.

Dieser Zustand ist schon aus exegetisch-dogmatischen,
erst recht aber aus homiletisch-poimenischen Gründen unhaltbar
. Er ist noch verschlimmert worden durch die kirchliche
Restauration der Nachkriegszeit, die den Namen „Passionszeit
", der sich um 1900 herum eingebürgert hatte, verpönte
und nur noch von „Fastenzeit" redete, obgleich niemand
ernsthaft daran dachte, für diese Zeit wieder eine
Fastenordnung verbindlich zu machen.

Für Luther jedenfalls war die Zeit vor Ostern Passionszeit
, in der man „von dem Leiden unseres lieben Herrn Jesu
Christ in den Kirchen zu singen und zu beten pflegt"8.

Die NL haben nun eine Möglichkeit geschaffen, die Qua-
dragesimalzeit so zu begehen, wie Luther es für richtig hielt:
Für die sechs Sonntage und für den Karfreitag wird die Lektion
der Passionsgeschichte nach Markus angeboten: 1. Sonntag
(Inv.) Mark 14,17-26 (27-31): Das heilige Abendmahl;

2. Sonntag (Rem.) 14(27-31) 32-42: Jesus in Gethsemane;

3. Sonntag (Ok.) 14,43-50 (51-52): Jesu Gefangennahme;

4. Sonntag (Laet.) 14.53-65: Jesus vor dem Hohen Rat; 5.
Sonntag (Jud.) 14,66-72: Verleugnung des Petrus; 6. Sonntag
(Palm.) 15,1-15: Jesus vor Pilatus; Karfreitag 15,20-39:
Jesu Kreuzigung und Tod. Die Übersicht zeigt, daß Markus,
der die älteste Tradition bietet, sich auch aus anderen Gründen
besonders gut für eine lectio continua der Leidensgeschichte
eignet.

Es ist sehr zu wünschen und zu hoffen, dafj bei der Erprobung
der NL die lutherischen Gemeinden, von ihren Pastoren
recht beraten, sich dafür entscheiden, dafj die Passionsgeschichte
endlich den ihr zukommenden Platz im Lektionar
findet.

10. Die NL tragen sehr deutlich das Merkmal des Kompromisses
. Man merkt ihnen an, dafj jahrelang hart, aber
auch brüderlich darum gerungen worden ist, die recht verschiedenen
Ansichten auf einen Nenner zu bringen. Das
wird am deutlichsten dokumentiert durch die „Oder-Texte",
die zeigen, daß man sich nicht einigen konnte. Wichtige Fragen
sind bei der Revisionsarbeit gar nicht angeschnitten
worden. So ist z. B. durch Abdruck des Luther-Textes noch
nicht ausgeschlossen, dafj - um der erstrebten Verständlichkeit
willen - eine andre Übersetzung vorgeschlagen wird,
oder wenigstens mehrere Übersetzungen zugelassen werden.
Es gibt Fragen, die gestellt, aber nicht beantwortet worden
sind. Dabei wäre zuerst zu denken an Probleme der Textauswahl
, die mit der Gestaltung des kirchlichen Kalenders zusammenhängen
; eine bessere Gliederung und Profilierung
der Kirchenjahreszeiten würde auch eine weitere Verbesserung
des Lektionars erleichtern.

Beim Erscheinen der NL waren einige Kirchcnleitungen
ein wenig überrascht: sie fürchteten, sie sollten vor vollendete
Tatsachen gestellt, ihr ius liturgicum sollte ihnen beschnitten
werden. Das Gegenteil ist richtig! Durch den Probedruck
der NL sollte das augenfällig gemacht werden, was
eine Perikopenliste nicht zeigen kann, besonders dann, wenn
durch andere Perikopierung mit Auslassung und Klammersetzung
ein Text ein neues Gesicht bekommen hat. (Dasselbe
gilt von der Formulierung des Anfangs einer Perikope [des
„Incipit"}, auf die viel Sorgfalt von dem Redaktor H. v.
Schade verwandt worden ist!)

Die NL sind gedruckt worden, damit sie von den Experten
geprüft und vor allem von den Gemeinden erprobt werden
können, damit das Gespräch über die Reform des Lektionars
weiter geht und bald zu einem guten Ende kommt. Denn
- das ist sicher - die Zeit drängt: Wenn die Revision auf
die lange Bank geschoben werden sollte, würde die Entwicklung
bald über sie hinweggehen,- an Stelle des antiquierten
AL würde nicht eine bessere Leseordnung, auf die die Gemeinde
wartet, sondern Willkür und Unordnung treten.
Denn auch im Blick auf die Perikopenordnung, wie auf den
Ordo Verbi et Sacramenti überhaupt, gilt zweifellos Benedicts
weiser, auf Menschenkenntnis und Lebenserfahrung
gegründeter Satz: „Serva ordinem, et ordo servabit te."

I Zum Grundsätzlichen vgl. E. Hertzsch, Überlegungen zur Neugestaltung
des Lektionars für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden
. ThLZ 92, 1969 Sp. 163-171.

- Auszug aus dem Protokoll der Tagung v. 5. bis 7. 10. 72 in Genf.

> Genfer Richtlinien 1968 (GRL) Abs. 3.

^ Eine ähnliche Regelung wurde praktiziert, als die fünf Reihen
der Eisenacher Perikopen v. 1896 das ollgemein gebrauchte Lektionar
war.

•r' ML 39, 1611.

ö H. v. Schade,, Einführung (in die NL) S. 8.

7 Besser wäre es auch gewesen, wenn am 7. S. n. Trin. Mk 8,1—8
nicht durch Joh 6,1—14 (15), sondern durch Mk 6,30—44 ersetzt worden
wäre.

8 WA 52,226; Vgl. E. Chr. Achelis, Lehrbuch der Prokt. Theologie,
:<1911, Bd. II S. 195ff; K. Dienst, Art. Passionszeit RGG:1 V (1961)
Sp. 142ff.

Zur Interpretation des Alten Testaments im Neuen Testament

Von Traugott Holtz, Halle'Saale

Ernst Sommerlath zum 85. Geburtstag

I

Nach weitgehend in der Forschung anerkannter Meinung
gehört die Bekenntnisformel, die Paulus I Kor 15,3-5 zitiert,
zu den Stücken, die ihre Formulierung der frühen christlichen
Gemeinde verdanken. Freilich ist die Frage, ob die
Formel erst in der Griechisch sprechenden judenchristlichen
Gemeinde entstanden ist1 oder bereits dem Bereich der palästinischen
Urgemeinde entstammt-, noch immer umstritten.

Wahrscheinlich ist die Frage in derartig alternativer Form
aber gar nicht richtig gestellt, und kaum vermag ihre Beantwortung
einen überzeugenden Anhalt für die Bestimmung
des Alters der Formel zu liefern. Auch eine griechisch
entworfene Bildung kann durchaus in die Frühzeit der Jcru-
salemer Gemeinde gehören'. Der Inhalt des fraglichen Bekenntnisses
nun sowie seine Einführung durch Paulus in V.
3a und die Versicherung in V. 11, dafj das zitierte Credo