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Ausgabe:

1974

Spalte:

13-20

Autor/Hrsg.:

Hertzsch, Erich

Titel/Untertitel:

Neue Lesungen für den Gottesdienst 1974

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

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Neue Lesungen für den Gottesdienst

Von Erich Hertzsch, Jena

Ernst Sommerlath zum 85. Geburtstag

Im Oktober 1972 ist ein neues Lektionar für lutherische
Kirchen und Gemeinden (beim Lutherischen Verlagshaus in
Hamburg, 158 S., 8°) mit dem Titel „Neue Lesungen für den
Gottesdienst" (NL) erschienen. Dieses Lektionar wird „von
der Lutherischen Liturgischen Konferenz (LLK) zur Erprobung
vorgeschlagen". J. Heubach, der Vorsitzende der LLK,
schreibt im „Vorwort" (S. 3): „In einem Zeitpunkt, in dem die
römisch-katholische Kirche bei der Entdeckung gottesdienstlicher
Wortverkündigung mit einer neuartigen Leseordnung
die gemeinsame Überlieferung der westlichen Christenheit
bereits verlassen hat, legt die LLK den deutschsprachigen
Kirchen der Reformation eine erneuerte Reihe der gottesdienstlichen
Hauptlesungen vor. Sie orientiert sich an den
überkommenen Grundlesetexten und versucht, den anerkannten
Mängeln der sog. altkirchlichen Perikopen behutsam
zu begegnen. Eine dem jeweiligen Sonn- oder Festtag
des Kirchenjahres gemäße alttestamentliche Lesung ist vorangestellt
".

In jahrelanger mühevoller und intensiver Arbeit sind von
zwei Gremien, die von H. v. Schade und von Chr. Mahrenholz
geleitet wurden, Vorschläge und Gegenvorschläge gemacht
worden. In einem „Ausschuß für die Endredaktion",
in der E. Hertzsch den Vorsitz hatte, wurde versucht, die
voneinander abweichenden Ansichten auf einen Nenner
zu bringen1.

1. Die Grundlage der Revisionsarbeit waren die „Genfer
Richtlinien" (GRL). 1968 tagte in Genf eine Expertenkommission
und ein Sonderausschuß der „Kommission für Gottesdienst
und geistliches Leben" des Lutherischen Weltbundes
(LWB). Dabei hielt W. Schanze ein grundlegendes Referat
über die „Reform der Lektionsperikopen"; Chr. Mahrenholz
war maßgeblich an der Formulierung der GRL beteiligt
. In diesen heißt es:

„1. (Das gemeinsame Perikopenbuch) soll einen Grundzyklus
von möglichst drei Lesungen für jeden Sonn- und
Festtag des Kirchenjahres umfassen, die je dem A.T., den
nichtevangelischen Schriften des N.T. (Briefe, Apostelgeschichte
, Offenbarung Johannis) und den Evangelien entnommen
sind. Die Aufnahme einer alttestamentlichen Reihe
scheint dem Ausschuß angesichts der Entscheidungen in den
lutherischen Kirchen in den USA und in der römisch-katholischen
Kirche unabdingbar zu sein."

„2. Der Grundzyklus soll in der Epistel- und der Evangelien
-Reihe auf den sog. altkirchlichen Perikopen basieren
• •. Doch bedürfen die sog. altkirchlichen Perikopen nach
einmütiger Auffassung des Ausschusses der Überprüfung
bei der Auswahl der Texte hinsichtlich ihrer Geeignetheit
und Verständlichkeit____"

2. Außer der LLK, die für den Bereich der deutschsprachigen
lutherischen Kirchen in Mitteleuropa die Überprüfung
der Lektionsreihen übernahm, arbeiteten an der Revision
(die) „Skandinaviska Liturgiska Konferensen" (SkLK) und die
„Inter-Lutheran Commission on Worship" (ILCW) in Nordamerika
. Die Arbeitsergebnisse wurden schriftlich ausgetauscht
, miteinander verglichen und koordiniert. So konnten
bei der „Internationalen Lutherischen Konferenz über
die Endfassung der Perikopenreform", die vom 5. bis 7. Oktober
1972 auf Einladung der Studienabteilung des LWB
wiederum in Genf stattfand, in relativ kurzer Zeit die Entwürfe
so weitgehend aufeinander abgestimmt werden, daß
eine einheitliche Regelung innerhalb des LWB in greifbare
Nahe gerückt ist. Im April 1974 soll die nächste Konferenz
in Genf abgehalten werden.

3. Alle, die an der Revisionsarbeit teilgenommen haben,
waren sich darin einig, daß die Reform der sog. altkirchlichen
Lektionsreihen dringend nötig und längst überfällig
ist. Wie weit und wie tief die Eingriffe gehen müßten, darüber
bestanden erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Relativ
leicht war ein Konsens zu erreichen bei der Frage, ob der
Einjahreszyklus beibehalten werden sollte, obgleich die römisch
-katholische Kirche sich - mit ihrem „Ordo Lectionum
Missae" (Dekret v. 25. 5. 1969) - für einen Dreijahresturnus
entschieden hat. Nur die Lutheraner in den USA möchten
sich den Weg frei halten, den die Katholiken eingeschlagen
haben: „The ILCW has not only provided the revision of the
historic pericopes, but also has just finished a threeyear
System patterned after the Roman „Ordo Lectionum Missae".
The latter System seems necessary in North America so that
readings will be in harmony with neighbor churches: in
addition to the Roman Catholics, both the Episcopal (Angli-
can) and Presbyterian churches have already adopted a threeyear
System. Since Lutherans in North America exist both
in the context of world Lutheranism and the immediate con-
text of English-speaking churches, their needs are different
from their Continental sister churches .. Die lutherischen
Kirchen in Europa, vor allem die im deutschsprachigen Räume
, „erachten es für erstrebenswert, dem Grundzyklus noch
mehrere weitere Zyklen zu je drei Lesereihen (A.T., Ep., Ev.)
hinzuzufügen", aber „sie wünschen die jährlich wiederkehrende
Lesung des Grundzyklus, während die Texte der anderen
Zyklen als jährlich wechselnde und nur in längeren
Zeiträumen wiederkehrende Predigttexte verwendet
werden sollen"!'1 Auf diesem Grundsatz basiert bekanntlich
das (1966 von der LLK herausgebrachte) „Perikopenbuch
zur Ordnung der Predigttexte" (OPT). Das bedeutet natürlich
, daß es nach der Revision der Lektionsreihen nötig sein
wird, auch die OPT zu überprüfen, weil die Predigttexte im
Einklang mit den Lektionen stehen sollen.

4. Gleichzeitig mit dem Ordo Lectionum Missae hat die
katholische Kirche (durch Dekret v. 23. 3. 1969) ein neues
Calcndarium Romanum erhalten. Der Lektionar-Ausschuß
der LLK hielt sich nicht für legitimiert, Änderungen am kirchlichen
Kalender vorzunehmen. So enthält der Entwurf NL
nach wie vor Texte für die drei Sonntage der „Vorfastenzeit
", obwohl die Lutheraner in Skandinavien und Nordamerika
diese drei Sonntage zu den Sonntagen nach Epiphanias
zählen. Das hat u. a. zur Folge, daß das Evangelium
von der Verklärung Christi (Mt 17,1-9 = Lk 9,28 - 36) in
den lutherischen Kirchen an vier verschiedenen Sonntagen
gelesen wird. Durch die Einführung eines „tempus per an-
num" - mit seinen 32 durchnumerierten Sonntagen - hat
die kath. Kirche erreicht, daß - trotz dem jährlich wechselnden
Ostertermin - kein Sonntag des Kirchenjahres mehr
„ausfällt". In den lutherischen Kirchen ist es bei dem Mißstand
geblieben, daß die für „ungünstig liegende" Sonntage
ausgewählten Lektionen selten oder so gut wie nie im Gottesdienst
gelesen werden (das gilt vor allem für den 4. und
5. S. n. Ep. und den 23. und 24. S. n. Trin.). Zu den durch die
NL nicht gelösten kalendarischen Problemen gehört z. B.
auch die Frage, ob der 26. Dezember als Christfest oder als
Stephanustag, ob der 1. Januar als Neujahrstag oder als Tag
der Beschneidung und Namensgebung Jesu zu begehen ist.
Die behelfsmäßige Antwort auf diese Fragen ist das Angebot
von „Oder-Texten".

5. Die GRL „erachten" - wie schon erwähnt - „die Aufnahme
einer alttestamentlichen Reihe (die sich im „altkirchlichen
" Lektionar [AL] nicht findet) für unabdingbar". Zweifellos
ist es ein „marcionitischer" Fehler des AL, daß es
- von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - nur neutesta-
mentliche Texte enthält. Dieser Mangel ist selbstverständ-