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Ausgabe:

1974

Spalte:

348-349

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Conzelmann, Hans

Titel/Untertitel:

Geschichte des Urchristentums 1974

Rezensent:

Baumbach, Günther

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erschienenen gelehrten Werke in Lateinischer Sprache von
Höpfl-Gut-Metzinger und Mariani nicht erwAhnl sind.

Marburg/Lahn Werner Georg Küinine]

Barrett, C(harlcs) K(ingiley): New Testament Essays. London;

S. P. C. K 1972, Vlll,'l59 S. 8°. Lw. £ 2,50.

Das Kernstück dieser Aufsatzsammlung bildet die im
Juni 1970 im Qucen's College, Birmingham, gehaltene
Stumpff Memorial I.ectnre über „The Dialectical Theology
of St. John". Anhand von Beobachtungen an der llimmels-
hrolrede Joh b' entwirft Barrett hier eine (iesanilsicht des
vierten Evangeliums, die entscheidend über die Ergebnisse
seines bekannten Kommentars hinausführt. Anders als die
Ausleger in der Bultmann-Nachfolgc schließt er aus dem
Nebeneinander von präsentischer und futurischer Eschato-
logie, von worthafter 1 leilszusage und massivem Sakramentsrealismus
nicht auf das nachtragliche Eingreifen eines
kirchlichen Bedaktors, sondern versucht, diese Spannungen
auf einer literarischen Ebene zu lokalisieren: sie sind ihm
Ausdruck der dialektischen Sprachstruktur des Evangelisten.
Gegenüber einem Christentum, das in der Gefahr stand, die
empfangene Wahrheit in objektivierbare l.ehraussagen und
historische Berichte zu fixieren und sie so in falscher Weise
zu simplifizieren, demonstriert Johannes ihren dynamischen
Charakter, indem er die überkommenen Traditionen in ein
Gespräch mit den neuen Fragen seiner Gegenwart bringt.
So entsteht eine Dialektik, die weithin der der sokratischen
Dialoge entspricht, wenn auch Johannes auf das Hilfsmittel
der Zuweisung von Argument und Gegenargument auf
verschiedene Gesprächspartner vielfach verzichtet.

Barretts Skizze weist zweifellos in eine von der Forschung
zu lange vernachlässigte Richtung. Diese hat zu lange ihr
kritisches Instrumentarium einseilig darauf abgestellt, den
Texten kerygmatische Aussagen abzugewinnen, statt
Methoden zu entwickeln, die es möglich machen würden, an
diesen Texten die Funktion von Sprache in bestimmten
geschichtlichen Situationen aufzudecken. Gerade in der
Arbeit am Johannesevangelium haben möglicherweise die
einseitig angewandten traditionellen kritischen Methoden
bislang den Zugang zu einer wirklich historischen Sicht eher
verstellt, weil sie die Mehrdimensionalität der urchristlichen
Sprache vorschnell abzubauen suchten.

Aber soll man nun gleich ins andere; Extrem fallen? Der
zweite Johannes-Aufsatz der Sammlung, „The Prologue of
St. John's Gospel" provoziert zu dieser Frage, weil Barreit
versucht, den Prolog als literarische Einheit zu verstehen und
auf alle literarkritisehen und traditionsgcschichtlichen
Operationen verzichtel. In bewußter Antithese zu den
traditionsgeschichtlich orientierten Auslegungen von üult-
mann, Käsemann, Haenchen und Sehnackenburg (um nur
die «richtigsten ZU nennen) deutet Barrett den Prolog als
literarische Einheit, die in allen ihren Teilen die theologischen
Intentionen des Evangelisten wiedergibt: die Bedeutung der
im folgenden zu erzählenden Geschichte Jesu herauszustellen
und das dialektische Verhältnis dieser Geschichte zu
der sich im Alten Testament manifestierenden Geschichte
Israels durch die Zwischenschaltung der Täuferslellen
(Joh 1,6 — 8,15) vorab anzudeuten. Nach Barrett isl der
Täufer nämlich Repräsentant des Alten Testamentes, und
zwar positiv wie negativ: „When not misused, the Ohl
Testament and John have positive and abiding value; bul,
despite themselves. they can be, have been, and are misused,
and it is therefore necessary lo fence thein about with MMHG
strict negatives" (S. 43). Aber ist mit dieser immerhin
erwägenswerten Interpretation, wie Barrett will, die kritische
Analyse von Joh 1,1—18 ad absurdum geführt? Auch wenn
man ihm zugestehen muß. daß Vokabular und Metrik sehr
vage Kriterien für die Gewinnung einer vorjohanneiseheii
Quelle sind, bleibt doch der Iradit ionsgescliiehtliche Befund,

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wonach sich im Prolog in sich geschlossene Elemente eines
auch sonst in Traditionen des hellenistischen .1 udeiu hrislcn-
tums aufweisbaren christologischen Schemas finden, gültig.

Eine weitere in sich geschlossene Gruppe von drei Aufsätzen
, die auf Gastvorlesungen an der Universität Münster
zurückgehen, haben die Apostelgeschichte zum Gegenstand
und sind Vorstudien für ein geplantes größeres Werk desVf.s:
„The Acts- of the Aposllcs", „The Acts- of Paul", „The
Acts and the Origins of Christianily". In der Art und Weise,
wie sie die Ergebnisse der Acta-Forscbung der letzten Jahre
rezipieren und sich zugleich von den negativen Akzenten der
Acta-Kritik von Ph. Vielhauer und G. Klein distanzieren,
dürften sie repräsentativ für einen sich gerade in neueren
Arbeilen anbahnenden Konsensus der mittleren Linie sein.
Nach Barrett hat Lukas zwar die Überlieferungen im Lichte
seiner eigenen Situation um die Wende zum 2. Jahrhundert
gelesen und verstanden, sieh jedoch mit tendenziösen Eingriffen
zurückgehallen. Weder entspringt sein Paulusbild der
Absic ht einer Deteriorisierung des 1 leidenaposlels, noch läßt
sich sein Bild der Kirche als frühkatholisch etikettieren.
Lukas wollte l'aulinist sein, er besaß jedoch nicht die
kritische Fähigkeit zu einer sachgemäßen Übertragung der
paulinischen Theologie auf seine Situation (S. 115).

Die Paulus-Studie „1 am not Ashamed of the Gospel"
versucht Horn 1,11i von Mk S.3S her zu erhellen und erbringt
damit interessante Aspekte fürdie viel verhandelte Frage nach
dem Verhältnis des Paulus zur synoptischen Tradition. Der
einzige einem synoptischen Thema gewidmete Aufsatz (Mk
10,45: A Bansom for Many) bietet einige weiterführende
Bemerkungen zu einem bereits früher vom Vf. verhandelten
Problem (The Background of Mk 10,45, in: New Testament
Essays, cd. A. J. B. Higgins, 1959). Die Grundzüge der
politischen Ethik des Urchristentums zeigt Barrett in „The
New Testament Doctrine of Church and State" auf. Eine
willkommene Abrundung des Bandes bildet schließlich der
Vortrag „Theology in the World of Learning", der sich um
eine Ortsbestimmung der Theologie innerhalb der modernen
Universität bemüht. Nach Barrett ist die Funktion von
Theologie primär eine kritische. Da sie gelernt hat, was es
mit der Freiheit des Glaubens auf sich hat, kann sie nicht
nur der Kirche durch kritische 11 interfragung falsche
Sicherheilen zerschlagen, sondern auch die anderen Wissenschaften
zu kritischer Freiheit auf ihren jeweiligen Gebieten
ermutigen.

Krlnngeii Jörgen ItolnfT

Conzelmaiin, Hans: GcscTiiehlc de» Urchristentums. Nachdruck
der 2., durchgesehenen Aufl. Berlin: Evang. Verlags-
anstalt (Lizenzausgabe des Verlages Vandenhocek &
Ruprecht, Göltingen) [1972]. IV, 173 S. gr. 8° = Grundrisse
zum Neuen Testament. Das Neue Testament Deutsch,
Ergänzungsreihe, hrsg. v. G. Friedrieh.
Gegenüber der in ThLZ 95, 1970 Sp. 426-429, angezeigten
1. Auflag«' dieses Bin lies enthält ilie nun in Lizenzausgabe
vorliegende 2. Auflage nur zwei geringfügige
Erweiterungen (S. 1 u.31f.),die beide Ergebnisse der modernen

Leben-JCSU-Foncl.....g berücksichtigen. Vf. spricht jetzt von

..zwei Strömungen" : „Eine, die sich auf das Bekenntnis von
Tod und Auferweckung Jesu konzentriert (in d'eser Tonn
lernt Paulus das Christentum kennen), und eine, welche
dasselbe Bekenntnis durch die Überlieferung von Jesus
erläutert" (S. 32). Allerdings macht sich auch hier die
vorsichtige Zurückhaltung C.s gellend: „Leider wissen wir
nicht, wo und wie die beiden Strömungen geschichtlich
anzusetzen sind" (ebd). Daß Vf. ganz auf dem Buden der
ersten „Strömung" sieht, macht der durch die merkwürdige
Formulierung (..nicht bzw. erst in zweiler Linie") auffallende
Satl der „Vorbemerkung" deutlich: „Der urchrist liehe
Glaube richtet sich in erster Linie auf die Person des

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 5