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Ausgabe:

1974

Spalte:

9-12

Autor/Hrsg.:

Fascher, Erich

Titel/Untertitel:

Zu Tertullians Auslegung von 1 Kor 5,1-5 (de pudicitia c. 13-16) 1974

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Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 1

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» Jürgen Roloff hot kürzlich in dieser Zeitschrift (98, 1973 Sp. 568)
auf Jesu „besonderes Gottesverhältnis" hingewiesen, in dem „auch der
vorösterliche Ansatzpunkt für Christologie und Soterlologie" liegt.

17 Dazu Gerhard Delling: Der Kreuzestod Jesu in der urchristlichen
Verkündigung. Berlin 1971 S. 72: Jesus habe eine Antwort auf die Frage
nach dem Sinn des ihm bevorstehenden Sterbens gefunden, „die seinen
Tod in seinen Auftrag einschloß", und er habe „diese Vollendung seines
Auftroges willentlich übernommen".

13 Eine ausführliche Darstellung findet sich u. a. bei Hans Kessler:
Die theologische Bedeutung des Tod« Jesu. Düsseldorf 1970.

14 Auch für die dogmatische Christologie ist bedenkenswert, was
Hons Conzelmann so formuliert: „Die Formgeschichte zeigte, daß jedes
einzelne Troditionsstück für sich christologischen Sinn hat" (Grundriß
der Theologie des Neuen Testaments. München 1967 S. 160).

18 Ein Beispiel für solchen Fortgang der Erkenntnis ist Ebelings

Formel vom „Zeugen des Glaubens", der (durch die Auferstehung) zum
„Grund des Gaubens" wird (Das Wesen des christlichen Glaubens.
Tübingen 1967 S. 72 u. ö.).

'« In dem schon erwähnten Themaheft „Zur Kreuzestheologie" (siehe
Anm. 8) heißt es in einem Tagungsbericht von Hans-Georg Link: „Was
zunächst die Beziehung zwischen dem gekreuzigten Jesus und seinem
Vater, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, betrifft, so sind die
notwendigen Differenzierungen zwischen Vater und Sohn von Möllmann
offenbar nicht in letzter Deutlichkeit vollzogen worden, wie dos auch
der Titel seines Buches „Der gekreuzigte Gott" zu erkennen gibt. Hier
wiesen namentlich die Exegeten (W. Schräge, E. Schweizer, F. Hahn)
auf die im Neuen Testament vorherrschende subordinationische Denkweise
hin, die es zumindest exegetisch verwehrt, das Gegenüber von
Vater und Sohn in eine undialektische Identität beider aufzuheben"
(S. 339).

Zu Tertullians Auslegung von 1 Kor 5,1-5 (de pudicitia c. 13-16)

Von Erich Fascher, Berlin

Ernst Sommerlath zum 85. Geburtstag

In seiner Auslegung des 2. Korintherbriefes hat Hans
Windisch erwähnt, daß es im 19. Jahrhundert herrschende
Meinung gewesen sei, der Apostel Paulus komme in 2 Kor 2
und 7 auf den Fall des Blutschänders von 1 Kor 5 zurück
("1924 S. 9). Der einzige Theologe, welcher allerdings ohne
jegliche Nachwirkungen gegen solche Gleichsetzung protestiert
habe, sei der Kirchenvater Tertullian gewesen (in
seiner Schrift de pudicitia Kap. 13ff). Im 19. Jh. taucht innerhalb
der protestantischen Exegese die Loslösung der
Verbindung von 1 Kor 5,1 ff mit 2 Kor 2 und 7 auf. So hat
sich F. Bleek von dieser festen kirchlichen Tradition (lt. Windisch
S. 9) emanzipiert durch den Nachweis, daß sich die
Äußerungen im 2 Kor 2,lff und 7,12 auf eine Person bezögen
, die den Apostel in Gegenwart des Timotheus gekränkt
hätte. Gegen diese Verquickung der beiden Fälle ist auch H.
Ewald (1857) ganz entschieden aufgetreten, und Karl Weizsäcker
wollte diesen Zwischenfall mit einem Zwischenbesuch
des Paulus in Korinth zusammenbringen. Der Apostel sei
dort, ohne daß die Gemeinde für ihn eingegriffen hätte, gekränkt
worden, sei abgereist und hätte dann den sogenannten
Tränenbrief geschrieben.

Abgesehen von dem Zeitpunkt ist auch die Frage viel
diskutiert worden, worauf sich denn die Beleidigung des
Apostels bezogen habe. So vermutet z. B. P. Schmiedel eine
infame Beleidigung, die sich auf Geschlechtliches oder auf
Diskreditierung der Damaskusvision des Paulus bezogen
haben könnte. Abgesehen davon hat man auch in der Person
des lt. 2 Kor 7,12 Gekränkten eine andere Person als
Paulus sehen wollen. W. Beyschlag vermutete, es sei Timotheus
gewesen, während H. Ewald (1857) ganz entschieden
gegen eine Verquickung dieser beiden Fälle eintrat. Schließlich
wurde 1 Kor 6,1-11 zu 2 Kor 7,12 in Verbindung gebracht
und ein Rechtsstreit vermutet, zu dessen Schlichtung
Paulus erst nachträglich bemüht wurde. Paulus habe sich für
den Geschädigten verwendet, sei aber von dem Gewalttäter
schroff abgewiesen worden. Man sieht, wie die Kritik sich
bemüht, unklare Stellen durch Vermutungen zu erhellen.
Demgegenüber äußerte Hans Windisch (a.a.O. S. 11), daß
die meisten im 1. Korintherbrief behandelten Gegenstände
im 2. Korintherbrief gar keine Erwähnung fänden und daher
mit Zwischengliedern zu rechnen sei: Ein neuer Zwischenfall
, ein verloren gegangener Zwischenbrief und ein Zwischenbesuch
des Apostels (ebd. S. 11) seien als gebieterische
Annahme für eine leidliche Aufhellung des Hintergrundes
vorauszusetzen. Überdies hat schon der alte J. S. Semler so
auffallende Differenzen im Stil wie einen radikalen Wechsel
der Stimmung empfunden, daß er gegen die ursprüngliche
Einheit des 2. Korintherbriefes seine Bedenken angemeldet
hat. Er trennte 2 Kor 10,1-13,10 als besonderen Brief nach
der Abreise des Titus und aufgrund neuer beunruhigender
Nachrichten ab. A. Hausrath sah in diesem Stück den vermißten
Zwischenbrief - eine Hypothese, die in keiner deutschen
Einleitung oder einem deutschen Kommentar akzeptiert
wurde. Die Gründe dafür hat Windisch auf S. 14ff zusammengestellt
. Dabei ist das Problem der beiden Kollektenkapitel
8 und 9 eine Sache für sich. Wir wollen uns aber
nicht weiter in spezielle Einleitungsfragen verlieren, sondern
auf die Darlegungen Tertullians eingehen, die in vieler
Beziehung sehr interessant sind, aber in den neueren
Kommentaren kaum Erwähnung finden.

Nach Ansicht Tertullians ist die Annahme töricht (c. 13),
daß Paulus im 2. Korintherbrief eine Vergebung zugesprochen
habe für einen Unzüchtigen, welchen er in 1 Kor 5 dem
Satan zu übergeben sich genötigt sah. Mit Recht vermutet
Tertullian, Paulus würde bei einer Verzeihung sich in 2 Kor 2
präziser geäußert haben, nachdem er in 1 Kor 5 eine konkrete
Bestrafung angekündigt hatte, da er sonst »in seiner
Barmherzigkeit undeutlicher sei als in seiner Entrüstung".
Es wird sich um eine Verzeihung für ein weniger schweres
Vergehen gehandelt haben, das keiner besonders feierlichen
Strafankündigung bedurfte. H. Conzelmann (Der erste Brief
an die Korinther, 1969 S. 118: „eine dynamistische Zeremonie
", bei welcher „der Verfluchte aus dem Leib Christi in den
Raum des Zornes gestoßen wird", um sein Pneuma zu retten
) heißt diesen Vorgang eine rätselhafte Bestimmung und
stellt die Frage: Besitzt der Getaufte einen Charakter indelc-
bilis oder soll ihm der Geist gerade entzogen werden?
(S. 118 mit den Anmerkungen 39-41). Während H. von Campenhausen
die Auffassung vertritt, der Geist solle dem Verbrecher
entzogen werden, damit am jüngsten Tage die Vollständigkeit
des Leibes Christi erscheine, ist E. Schweizer
(ThWNT VI, 434) der Meinung, daß diese Deutung im Blick
auf 1 Petr 4,6 und den Hinweis auf den Gerichtstag nicht
möglich sei. Tertullian widerlegt die Versuche, aus Parallelen
, wie 2 Kor 12,7 oder 1 Tim 1,20 zu erweisen, daß die
Übergabe des Sünders von 1 Kor 5 Besserung, aber keine
Vernichtung bezwecke. Denn da würde „Verderben des Fleisches
" als eine Kasteiung des Leibes durch eine Bußübung
mißdeutet. Charakteristisch für solche Deutung erscheint
mir die Auslegung bei H. A. W. Meyer (Handbuch V, 41861
S. 120), wo es heißt: Das naQahovvai rep 2axav§ war daher
eine pädagogische Strafmaßnahme, wie sich aus unserer
Stelle und 1 Tim 1,20. . . ergibt, eine Maßnahme, bei welcher
das Pneuma außer der Gewalt des Satans und der Gnadenwirkung
Christi zugänglich blieb, indem es das Lebensprinzip
des Glaubens behielt, welches sich, so wie die aägt
zugrunde ging, zur Herrschaft entwickeln sollte. Darum sind
Rückerts Bedenken gegen dieses Verfahren, die Strafe hätte
leicht das gänzliche Verderben des Sünders herbeiführen
können, ebensowenig zwingend wie seine Beurteilung, Paulus
habe unklug gegenüber den Korinthern gehandelt, da
er sie nicht habe zwingen können, seiner Verurteilung des