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Ausgabe:

1974

Spalte:

309-310

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Martin, Gerhard Marcel

Titel/Untertitel:

Dezisionismus in der Theologie Rudolf Bultmanns 1974

Rezensent:

Martin, Gerhard Marcel

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309

Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 4

310

Taufe, der bewährte Glaube und die Rechtfertigung, folgt
der Wassertaufe, wo Gott den Menschen in inneres und äußeres
Leid führt. Erst danach kann es auch zu echtem Verstehen
der Schrift kommen, die vorher verschlossen bleibt.
Trotz wiederholter Übernahme lutherischer Begriffe bleibt
Hut allenthalben im Bann der Theologie Müntzers.

Das letzte Kapitel befaßt sich mit der vorläufigen Gestalt
der neuen Christenheit. Es klärt Kirchenbegriff und Ethik
Huts. Hut fordert eine Gemeinde der Heiligen, die Kirchenzucht
übt und sich von den Gottlosen absondert, ist aber an
ihrer Bildung durch Institutionen, obwohl Ansätze dazu
vorhanden sind, nicht interessiert. Die Selbstdarstellung
der Gemeinde geschieht im Abendmahl, dessen Verständnis
Hut von Karlstadt übernimmt, jedoch über diesen hinausgehend
den Leidensgedanken stark betont. In Huts
Ethik gibt es keine Betonung der Bergpredigt. Die Verwerfung
von Eid und Kriegsdienst durch die Schweizer lehnt
er nachdrücklich ab. Christliches Leben konzentriert sich in
Erfüllung des höchsten Gebotes. Hinsichtlich des Besitzes
würde es sich in der Gütergemeinschaft realisieren, die Hut
empfiehlt, ohne ihre Durchführung zu fordern. Die Obrigkeit
lehnt er nur ab, soweit sie die Sünder nicht straft, lehrt
aber im übrigen einen reformatorisch anmutenden Gehorsam
- freilich nur bis zum Tag des Gerichts: eine ausgesprochene
Intcrimscthik. Jede Form von Zwci-Rcichc-Lchre
ist Hut fremd. Bürgerliche und kirchliche Gemeinden sind
und sollen eins sein. Die Trennung der Versiegelten von
den übrigen brauchte er nicht zu organisieren, da er ihre
baldige Überwindung im Reich Christi erwartete.

Es kann nach dieser Untersuchung der Theologie Huts,
die ständig das Verhältnis zu den Reformatoren, zu Karlstadt
, Dcnck und Müntzer sowie den anderen Täufern berücksichtigt
, keine Rede mehr davon sein, daß die Behauptung
Luthers und Mclanchthons, das Täufcrtum wurzele bei
den .Zwickaucr Propheten', Müntzer und Karlstadt .Geschichtsklitterung
' sei. Hut war tatsächlich deren Erbe. Freilich
hat sein Täufcrtum nur kurze Zeit bestanden. Es wird
eine wesentliche Aufgabe der Täuferforschung sein müssen,
seinem Auflösungsprozeß und seinen Nachwirkungen genauer
nachzugehen. Sic könnte über unfruchtbare Typologien
hinaus zu einer Geschichte der .Konfessionsbildung' im
Täufcrtum vorgestoßen werden.

Der erste Teil der Arbeit wird um die Texte vermehrt
als Edition der Schriften Huts in den .Quellen zur Geschichte
der Täufer' erscheinen. Der zweite und dritte Teil ist als
eigener Band in den .Quellen und Forschungen zur Rcfor-
mationsgcschichtc' vorgesehen.

Martin, Gerhard M.: Dczisionismus in der Theologie Rudolf
Bultmanns? Theologische, anthropologische und logische
Probleme der theologischen Rede von „Entscheidung".
Diss. Tübingen 1972. 165 S.

Die Arbeit setzt sich mit der Behauptung K. Löwiths und
J- Moltmanns auseinander, Bultmanns Theologie - und
damit auch sein Verständnis von „Entscheidung" des Glaubens
- stünden im Kontext eines allgemeinen philosophischen
und politischen Dezisionismus der zwanziger Jahre;
Wobei als „dezisionistisch" Theorien derjenigen Handlungsweisen
gelten, die sich dadurch auszeichnen, daß sie in Bc-
frflndungt- und Kritcricnlosigkeit und in äußerster Intensität
des Willens und des Seins, kompromißlos, ohne rationalistische
Vermittlung mit vorhandenen Kräften und mögliehen
Motivationen und Gegenmotivationen vollzogen werden
.

Nach einem kurzen kritischen Literaturbericht über die
bisher vorliegenden umfangreicheren Untersuchungen zum
Begriff „Entscheidung" bei Bultmann (§ 1) bietet die Arbeit
einen chronologischen Abriß der Aufnahme und der Bcdcu-
lun3cn der Begriffe Entscheidung und Entschluß in Bultmanns
theologischen Veröffentlichungen von 1920-1930
(§ 2) und eine formale Bestimmung dieser Begriffe (§ 3).

Nach einer Typologie verschiedener Spielarten von „De-
zisionismus" (§ 4) wird die Frage diskutiert, ob sich für
Bultmann der Glaube wirklich - „dezisionistisch" - auf die
willentliche Entscheidung für oder wider den Glauben als
solchen reduziert, ob die Entscheidung des Glaubens tatsächlich
zu einer Aufhebung aller faktischen Bildung in
frei schwebende Möglichkeit und zu abstrakter Geschichtlichkeit
führt.

In den folgenden Paragraphen interpretiert die Untersuchung
das Wortfeld von „Entscheidung", das vor allem bestimmt
ist durch die Begriffe „Tat", „Faktum", „Tatsache"
und die Sachverhalte der Kritcricnlosigkeit, der Unhintcr-
fragbarkeit, der Legitimationslosigkcit, der „Autorität", des
„Behauptungs-" und „Anspruchs-"Charakters der Offenbarung
. Die Arbeit versucht, von einer Etikettierung der Bult-
mannschen Theologie als „dezisionistischer" abzuraten.
Denn in dieser Theologie ist die Möglchkeit, aus Gott zu
reden, nicht okkasionell beliebig; Glaube findet seine Konkretionen
, bleibt nicht in frei schwebenden Möglichkeiten,
sein Gegenüber ist das ihn allererst ermöglichende Geschehen
der Offenbarung; auch das Handeln der Liebe ist konkret
und inhaltsbezogen, wohingegen dezisionistische Theorie
über der Beschwörung des unendlichen Anspruchs und
des Gefordertseins überhaupt zu keinem Handeln käme;
auch ist durch die Offenbarung Gottes nach Bultmann ein
für alle Mal eine neue Möglichkeit des Selbstvcrständnisses
eröffnet worden, die von Gott weder voluntaristisch zurückgenommen
, noch alteriert oder gar in ihr Gegenteil verkehrt
werden könnte.

Bei der Abwehr des Vorwurfs des Dczisionismus stößt
die Arbeit nun aber unausweichlich auf das durchweg aktu-
alistischc Konzept in der Anthropologie des Glaubens und
der Liebe (§ 5), im Verständnis der Offenbarung (§ 6) und
im theologischen Denken selbst (§ 7).

Es ist der Aktualismus des theologischen Begriffssystems,
der das Kerygma als Kcrygma bewahren und nur als solches
zur Sprache kommen lassen will, der dazu führt, daß
in Bultmanns Theologie die ontologischc Analyse in ihrem
Neutralitäts- und Reflexionsnivcau nicht hinreichend bewahrt
wird, sondern daß in ihr oft eine zu schnelle Engführung
von ontologischcr und ontisch-theologischer Begrifflichkeit
zu beobachten ist, in der ontologischen Begrifflichkeit
nicht differenziert in Korrelation gebracht wird mit
theologischer Begrifflichkeit, sondern sogar ontisch korrigiert
werden kann.

Es ist der Aktualismus theologischen Denkens, der sich
vor der Verirrung in dogmatische Sätze hütet, der Angst hat
vor einer Reflexion, die sich vom Lebensakt ablöst, der häufig
weitere Nachfrage verbietet, im Paradox verharrt oder
Aspekte einfach addiert.

Es ist der Aktualismus der Offenbarung, der das Kerygma
als Kerygma sichern möchte, der aber gerade darin dazu
führt, daß das Kerygma in einer theologischen Theorie fixiert
und objektiviert wird, einer Theorie der Grenze der
Theologie als Reflexionsakt des Glaubens, die jeder Legitimierung
des Wortes von außen eine Absage erteilt und die
Autorität und Unhinterfragbarkcit sowie den Behauptungsund
Anspruchscharakter des Kcrygmas mit zu dessen Wesen
macht.

Gerade weil der Aktualismus dem Glauben, der Offenbarung
und dem theologischen Denken - bcrechtigterwcisc -
Spontaneität, Freiheit und Kontingenz sichern will, seinerseits
aber in Posivität umzuschlagen droht, versucht die
Arbeit schließlich, Wege anzudeuten, wie der Macht-, Geschenk
- und Gabecharakter des Evangeliums in dessen Kontingenz
zutreffend und theologisch so beschrieben werden
kann, daß der Indikativ weder ins Appellative, noch in Ver-
dinglichung, noch das Subjekt in einen imperativischen Aktualismus
gerät (§ 8).