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Ausgabe:

1974

Spalte:

289-290

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Dirschauer, Klaus

Titel/Untertitel:

Der totgeschwiegene Tod 1974

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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289

Theologische Litcraturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 4

■290

Dirschauer, Klaus: Der totgeschwiegene Tod. Theologische
Aspekte der kirchlichen Bestattung. Bremen: Schünemann
(1973). 207 S. 8". Kart. DM 22.-.

Diese überarbeitete Marburger Dissertation eines Bremer
Gemcindcpfarrcs fragt danach, „was die moderne Theologie
eigentlich für den Kasus der Bestattung austrägt" (11). Mangelnde
theologische Reflexion in der Kasualpraxis und kritiklose
Übernahme bisheriger Antworten, besonders der
Auferstehungsdebatte, trugen nach Meinung des Vf. dazu
bei, „dafj sich die Kirche im Bcerdigungsvollzug auf einen
objektivierten und proklamierten Bekenntnisstand zurückgezogen
hat" (12). Es bestehe ein Widerspruch zwischen
scclsorgcrlichcr Zuwendung zu den Trauernden und predigendem
Rückzug auf Bekenntnispositionen, „in denen die
Begräbnispredigt zu einem bloßen Teil der Liturgie wird".

Um diesem Wirklichkeitsverlust entgegenzutreten, beschreibt
der Vf. zunächst das Todesphänomen in der modernen
westlichen Gesellschaft. Er beobachtet eine auffallende
Verabsoluticrung und Verobjektivierung des menschlichen
Daseins und damit zusammenhängend die Verdrängung
des Todes aus dem individuellen und kollektiven Bewußtsein
. Diese These der Todesverdrängung begründet
Dirschauer durch eine Analyse privater Todesanzeigen im
„Weser-Kurier", durch eine kritische Würdigung der Arbeit
des „Volksbundcs Deutsche Kriegsgräberfürsorge", durch
Anmerkungen über die Todesthematik bei Rilke, Paul Celan
und Dürrenmatt sowie durch Hinweise auf das Todesverständnis
in der Medizin. Das Ergebnis dieser Umschau lautet
: „Die ... Desintegration des Todes in unserer Gesellschaft
- besonders in den Großstädten - spiegelt sich in
einer überstarken Aktivierung der Lebensseite. Daseinshunger
, Lebensgier und permanenter Konsum sind Ausdruck
der zum Tode hin bestimmten Existenz, die ihn fürchtet
und darum ihn zu ignorieren bemüht ist" (72).

Im 2. Teil untersucht Dirschauer den Todesbegriff in der
modernen Theologie, zunächst unter religionsgeschichtli-
chem Aspekt, sodann in der theologischen Anthropologie
von E. Brunner und Pannenberg, ferner in der Eschatologic
von Althaus, Schmaus und Sauter, schließlich in der Praktischen
Theologie von E. Chr. Achclis bis M. Mezger. Besonders
wichtig ist dem Vf. der Zusammenhang zwischen
dem Gottesgedanken und der theologischen Wertung des
Todes. Er hält es für erwiesen, „daß ein Zusammenhang
zwischen der Desintegration des Todes und der Gottesfragc
besteht" (116). Kann man deshalb aber sagen, erst die „Un-
bewältigthcit der theologischen Gottesfrage in ihrer Auswirkung
auf die Verkündigung der Kirche" habe diesen Dcs-
"Ucgrationsprozeß ermöglicht und freigesetzt? Hier wird
der theologischen Problematik doch wohl zuviel Einfluß auf
die sozialen Wandlungen zugetraut.

Im 3. Teil soll nach der etwas weitgefaßten Überschrift
»der Beitrag der modernen Theologie zum Tod und zum
Sterben" untersucht werden. Auf eine kurze Auseinandersetzung
mit Thielickc und Jüngcl folgt eine Meditation
ubcr den Tod im Alten und Neuen Testament. Der Vf. unterstreicht
damit seine These, der moderne Mensch werde
"Oll dem Sterben nicht fertig, weil er die Gottesfrage nicht
bewältige (156). Wichtig erscheint dem Rez. die Aussage,
daß nur ein trinitarischer Gottcsglaube die notwendige theo-
'°f)ische Basis für die Verkündigung am Sarg geben kann.

Der kurze 4. Teil soll die praktischen Konsequenzen für
den Kasus erörtern, doch werden die eigentlich praktischen
Fragen nur flüchtig berührt. Zum Problem des Verhältnisses
von Nekrolog und Verkündigung wird einerseits behauptet,
"ekrologisches Handeln sei „die Abgötterei letzter Selbst-
'echtfertigung vor Gott" (164), andererseits wird festgestellt,
das gelebte Leben könne nicht übergangen werden, zumal
die Beerdigung Handeln der Kirche an ihrem verstorbenen
Glicde sei. Berechtigt ist die Warnung vor einem individualistischen
Todesverständnis, aber man kann deshalb nicht

sagen, der Tod sei in der christlichen Verkündigung nicht
Schicksal des einzelnen (163), zumal der Vf. bemerkt, in
den Todesanzeigen werde der Tod nicht ernst genommen
als der Tod eines bestimmten Menschen (171).

Dirschauer versteht die praktische Seite der Verkündigung
auschließlich als Konsequenz der theologischen Überlegung
(168). Er fürchtet, die methodischen Fragen könnten
als Vorwand für die theologische Misere gebraucht werden.
Unter der Abwertung des Methodischen leidet die Bemühung
des Autors, das Nachdenken über theologische Grundfragen
für eine konkrete Praxisaufgabe fruchtbar zu machen
. In der Methodik geht es ja nicht nur um technische
Tricks, sondern um die Möglichkeit, bestimmte theologische
Erkenntnisse unter konkreten Bedingungen mitteilbar zu
machen.

Die Arbeit läßt viele Fragen offen und gibt manche Anregung
, darüber nachzudenken. Die Lektüre wird durch zahlreiche
Druckfehler erschwert.

Halle Saale Eberhard Winkler

Hahn, Ferdinand, Joest, Wilfried, Kötting, Bernhard, u. Heribert
Mühlen: Dienst und Amt. Überlcbenafragc der Kirchen
. Regensburg: F. Pustet (1973). 103 S. 8". Kart.
DM 9,80.

Je zwei katholische und evangelische Theologen führen
mit diesen auf einer interkonfessionellen Akademietagung
gehaltenen Vorträgen in Grundfragen des Amtsverständnisses
aus exegetischer, kirchcngeschichtlicher und dogmatischer
Sicht ein. Die allgemeinverständlichen, gut lesbaren
Beiträge arbeiten Gemeinsamkeiten und Ansätze zur Verständigung
heraus, ohne die Kontroversfragen zu übergehen
.

Ferdinand Hahn zeigt, daß eine bloße Deskription der
neutestamentlichen Aussagen nicht genügt: „vielmehr müssen
wir die Frage beantworten, welche leitenden Prinzipien
im konkreten Einzelfall bei der Entscheidung zugunsten
einer bestimmten Ordnung maßgebend waren" (14).
„Die Gemeinde hat in all ihren verschiedenen Formen und
Diensten eine unaufgebbarc Mitte, die durch Verkündigung,
Mahlgemeinschaft und Gebet ausgezeichnet ist" (23). Von
diesem Ansatz aus kann Hahn die verschiedenen Ausprägungen
des neutestamentlichen Amtsverständnisses positiv
würdigen, ohne z. B. die Pastoralbriefe an der Elle des 1 Kor
zu messen und abzuwerten. Bedenkenswert ist auch das Plädoyer
für eine Aufnahme des Priesterbegriffs in ein evangelisches
Amtsverständnis.

„Amt und Charisma in Theorie und Praxis der Alten Kirche
" behandelt Bcrhard Kötting anschließend (41-60).
Er veranschaulicht die „Spannung zwischen solchen Trägern
des Geistes, die ihn durch menschliche Vermittlung empfangen
, und den anderen, die der Geist sich unmittelbar und
direkt auserwählt hat" (45) als ein kennzeichnendes Merkmal
der innerkirchlichen Entwicklung im 2. Jh., die schließlich
dahin führte, daß die Nachfolger der nachapostolischen
Charismatiker sich als Mönche und Einsiedler von der Gemeinde
isolierten.

Wilfried Joest („Die Frage des Amtes in der evangelischen
Theologie", 61-75) greift auf Thesen seines Aufsatzes
in „Kerygma und Dogma" 1/1971 zurück. These 2 faßt
das Wichtigste zusammen: „A. Der Auftrag, das Evangelium
zu verkündigen, ist der Gemeinde in allen ihren Gliedern
gegeben. B. Das schließt nicht aus, sondern ein, daß
einzelnen Gliedern der Gemeinde besondere Gaben und
Dienste an der Erfüllung dieses allen gegebenen Auftrags
besonders anvertraut sind. C. Das rechte Verhältnis der
besonderen Dienste zueinander und zu der Teilhabe der
Gesamtgemeindc ist jedoch nicht Exklusivität in der Verteilung
der Aufgaben, sondern Gegenseitigkeit und Zusammenwirken
" (65). Ein Proprium in dem Sinne, daß be-