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Ausgabe:

1974

Spalte:

261-263

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Philon d'Alexandrie, Les Oeuvres de Philon d'Alexandrie[Rezension] 1974

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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261 Theologische Literaturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 4 262

Wenn in der Besprechung die kritischen Bemerkungen die bei aller inhaltlichen Verbindung gegebene Unterschie-
nur zu einem Teil der Ausgabe räumlich überwiegen, so liegt denheit zwischen dem als m'^-yoniiim (Lehrschrift propädeu-
das allein an der Notwendigkeit, sie eingehend zu belegen, tischen Charakters) einzuordnenden Buch I, das in der Struk-
während sich Zustimmung mehr oder weniger mit der Nen- tur den anderen philosophischen Traktaten des Autors ent-
nung des Gegenstandes begnügen kann. Sie ändern nichts spricht, und dem in Buch II vorliegenden Dialog, der an die
an dem großen Verdienst um den Text und um Hilfen zu von Plato ausgehende Tradition anknüpft. Fern jeder Mä-
sciner Erschließung; denn auch bei kritischer Betrachtung cutik läßt er hier den Schüler (Alexander) die Einwände der
des Apparates bleibt doch die Tatsache bestehen, daß in sei- zeitgenössischen Philosophie vorbringen und gibt dem Meinen
Angaben für den Benutzer eine Menge Hinweise ent- ster (Philo) Gelegenheit, durch deren Widerlegung die in I
halten sind, die er dankbar aufnimmt, auch wenn ihm die enthaltenen Gedanken über die Vorsehung zu ergänzen und
Überprüfung nicht abgenommen ist. zu präzisieren. (Dagegen wird die in der armenischen Über-
Zimdorf Gerhard Richter Setzung mit II eng verbundene Schrift de animalibus nicht

als Epilog gewertet und bleibt ausgeklammert).

Philos Schrift zur Verteidigung des Vorsehungsgedankens
hat zwei Brennpunkte: eine am Schöpfungsglauben
|Philon d'Alexandric:) Les Oeuvres de Philon d'Alexandrie. orientierte Kosmologie und eine rationale Theodizee. Im
Publies sous lc patronagc de l'Universite de Lyon par R. ersten, apologetischen Teil werden die widerstreitenden Leh-
Arnaldcz, C. Mondesert, J. Pouilloux. 35: De Providentia. ren von der Ewigkeit der Welt (6-36), der Verneinung der
I et II. Introduction, Traduction et Notes par M. Hadas- Providenz aufgrund des in der Welt existierenden Übels
Lcbel. Paris: Editions du Cerf 1973. 373 S. 8". ffr. 92.-. (37-76) und des astrologischen Fatalismus (77-88) abge-
Dic Herausgabe des mit dem Namen des Philo verbünde- wiesen. Der Dialog behandelt das Problem der Vergeltung
nen Traktates de Providentia ist ein editorisches Unterneh- (2-44) und die gegen den Schöpfungsglauben erhobenen
nien diffiziler Art. So ist es nicht verwunderlich, daß sie im Einwände (45-112). Dem problemgeschichtlich-systcmati-
Rahmcn der französischen Philo-Ausgabe (vgl. zuletzt ThLZ sehen Teil der Einleitung mußte es deshalb um eine philoso-
98, 1973 Sp. 297f) bislang zurückgestellt blieb und erst jetzt phiehistorische Einordnung der philonischen Vorsehungsauf
der Grundlage einer 1969 präsentierten these (Promo- lehre zu tun sein, die entsprechend den vorgegebenen the-
tor: Prof. Marguerite Harl) vorgenommen wird. Die Bear- matischen Schwerpunkten unternommen wird. Jene Kosmo-
beitcrin des Bandes, Mireillc Hadas-Lebel, sah sich vor er- lo9ic- um deren Widerlegung es Philo in seinem Traktat
hcbliche Schwierigkeiten gestellt. Der Text liegt weder im 9eht, verbindet eine mechanistische und jede Finalität aus-
gricchischen Original vor, noch ist seine Authentizität all- schließende Vorstellung von der Ewigkeit der Welt mit einer
nemein anerkannt. Das Werk fehlt in den Philo-Handschrif- Leugnung der Vorsehung, die auf faktischen Atheismus hinten
, wiewohl sein Vorhandensein im christlichen Altertum ausläuft. Sie ist nach Meinung der Herausgeberin jedoch
mehrfach bezeugt ist. Vollständig erhalten ist es nur in ei- nicnt im Atomismus Epikurs zu suchen, sondern in der vor-
ner armenischen Übersetzung des 6. Jh.s, die Jean Baptiste sokratische Positionen repristinierenden Skepsis der Neuen
Auchcr, Angehöriger der um die alte armenische Literatur Akademie. Philo hält demgegenüber an der Vorstellung ei-
verdienten Ordensgenossenschaft der Mechitaristen, ins La- ner zweifachen Weltschöpfung fest, verknüpft sie mit der
teinischc übertragen hat (Venedig 1822). Nur für das 2. Buch Lchre von der Vereinigung der Elemente und einer den irdi-
üegen Partien in griechischer Sprache vor in der Praepara- schen und außerirdischen Kosmos umfassenden Ordnung,
tio Evangelica des Eusebius von Caesarea. Die Fragmente in dercn Organisation und Finalität sich die Vorsehung ma-
Verteilen sich wie folgt- nifestiert (S. 58-91). Das Problem der Theodizee hängt mit

H„ „ _ _„ _., „„ dieser Thematik aufs engste zusammen, da die physischen

°* Providentia 3 15 - 33 50-51 99-112 ... . _. , *_ . . TT rn* „.

über II vom Dialogpartner Alexander in 11,87-94 (im Sinne

n des Lukrez) als Instanz gegen die Providenz aufgeboten

Pracparatio VIII,14.1 VIII,14,2-42 VII,21,1~41'VIII,14,43-73 werden Ähnlich wie bei den Zeitgenossen Plutarch und

evangelica Seneca wird auf deren pädagogischen Wert verwiesen, doch

Die Editorin hat für diese Abschnitte den Text der Eusebius- erscheint das Verhältnis von allgemeiner und individueller

Ausgabe von K. Mras (GCS 43) übernommen, im übrigen Vorsehung nicht ausgewogen, wie auch der Ursprung des

die ältere lateinische Übersetzung abgedruckt („malgre sa Übels (freier Wille oder Materie) nicht ganz deutlich wird

imperfection"), nicht ohne sich des Rates eines kompetenten (s. 92-114). Die abschließende conclusion verdeutlicht die

Kenners des Armenischen, M. l'Abbe Mercier vom Pariser zentrale Stellung des Vorsehungsglaubens bei Philo: sie ist

Ir>stitut Catholique zu versichern. (Der Band erschien mit nicht Hypostase, sondern „puissance", einigendes Moment,

Unterstützung der von der bekannten exilarmenischen das die Göttlichkeit als (weltzugewandte) Tätigkeit erschei-

Familie gegründeten Fondation Caloustc Gulbenkian!) nen läßt. Philo erweist sich als gemäßigter Stoiker, wodurch

Die vor allem in der deutschen Forschung erhobenen auch das Schweigen über die eschatologische Lösung des

t"iwändc gegen die Authentizität glaubt die Herausgebe- Vergeltungsproblems erklärt wird (S. 115-117).

r'n entkräften zu können (S. 23-46). Die enge Beziehung Die der Textwiedergabe beigefügten notes sind knapper

•ttr griechischen Kultur und ihre betont positive Wertung ausgefallen und enthalten zahlreiche Verweise auf Parallelen

'st dem Alexandriner zuzutrauen, griechisch-religiöse Wen- aus der antiken Philosophie, weniger auf andere Werke

ungcn sind auch sonst bei dem überzeugten Monotheisten Philos bezügliche Querverbindungen. Zwei Stellen, an de-

•nzutreffen, auf einen Juden weist die Erwähnung (des nen der Rez., bestimmt durch seine neutestamentlichen In-

empcls) von Askalon, wo man zur Reise nach Jerusalem teressen, nähere Auskunft gesucht hat, seien herausgeho-

pn]cgtc, für Philo spricht schließlich der Stil der erhaltenen ben: P. Wendlands Wertung von I,34f als christliche Inter-

'*fll»«lte*. Das oft monierte Fehlen alttcstamentlicher Be- polation im Sinne von Mk 13,31 wird unter Verweis auf de

bei einem Autor, der uns sonst als Schriftausleger ent- vita Moys. 11,14 abgewiesen (S. 154f). Daß in 11,65-67 kein

Segentritt, läßt sich nicht durch Einordnung in ein frühes, Hinweis auf Act 17,26f steht, erschien ihm dagegen als

"v°rtheologisches" Stadium seiner Bildung erklären, son- Lücke. Für die künftige Arbeit mit diesem Band der Ausgabe

Crn durch die apologetische Zielsetzung und die Rücksicht- wird der sorgfältig dreigeteilte Index (Begriffe, Namen, Sa-

nahme auf den in II begegnenden Dialogpartner Alexan- chen) von großem Nutzen sein.

J*< in dem wir Philos Neffen, den jüdischen Apostaten und Im übrigen bestätigt die Beschäftigung mit diesem Trak-

spätcren hohen römischen Beamten Titus Julius Alexander11 tat ein vorgefaßtes Urteil: philosophisch ist Philo kein Neue-

Zu sehen haben. Die formale Untersuchung (S. 47-57) betont rer. Er wandelt auf den Spuren der Stoa und des platoni-