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Ausgabe:

1974

Spalte:

255-256

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kieffer, René

Titel/Untertitel:

Essais de méthodologie néo-testamentaire 1974

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Seite 1

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255

Theologische Litcraturzeitung 99. Jahrgang 1974 Nr. 4

256

enthalten sind. Nach den Ausführungen des Vf.s muß man
annehmen, daß dieser Inhalt nicht nur keine Bedeutung für
das paulinische Evangelium hatte, sondern in ihm gar nicht
wahrgenommen wurde.

Immer wieder betont der Vf. das Hypothetische seiner
Thesen, immer wieder aber auch bilden solche Hypothesen
den Ausgangspunkt zu weiteren hypothetischen Aufstellungen
; aber schon seine exegetischen Fundamente, die er
für die eigenen Konstruktionen voraussetzt - vornehmlich
die Aufstellungen von Schmithals und Güttgemanns -jsind
durchaus hypothetischer Natur. Es ist nur zu hoffen, daß
die Hypothesen dieses Buches nicht als die festen Fundamente
für weitere Hypothesenbildungen genommen werden.

Halle/Saale Traugott Holtz

1 Die desolate Lage der neutestamentlichen Wissenschaft wird scharf
beleuchtet, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß fast gleichzeitig G.
Friedrich, 1 Thess 5,1—11, der apologetische Einschub eines Späteren,
ZThK 70, 1973, 288-315, den Beweis antritt, daß das Stück „Allgemeingut
der christlichen Paraklese" aussagt (S. 295) und „von einem Mann
aus den Kreisen des Lukas stammen" könnte (S. 309). Es drängt sich
überdies die Frage auf, ob diese Kontroverse nicht auch einen Bezug
zu den Kriterien für die Verfasserschaft von Act hat.

Kieffer, Rene: Essais de methodologie neo-testamenlaire.

Lund: Gleerup [1972]. 86 S. gr. 8° = Conicctanea Biblica,

New Testament Serics, 4. Schw. Kr. 14.90.

Die Zeichen dafür mehren sich, daß sich die neutestament-
liche Wissenschaft gegenwärtig in einer kritischen Phase befindet
: hypothetische Konstruktionen größten Ausmaßes
werden auf Voraussetzungen gegründet, die weder einsichtig
noch durch den Konsensus der Forschung abgesichert
sind; neue Methoden, wie Linguistik und Kommunikationstheorie
, drängen auf Rezeption, während über den Stellenwert
der herkömmlichen Methoden noch keineswegs Einigung
erzielt worden ist, und der Absolutheitsanspruch der
existentialthcologischcn Hermeneutik ist in Frage gestellt
worden, ohne daß eine überzeugende Alternative in Sicht
wäre. Wenn sich in dieser Situation die Mcthodenreflexion
immer stärker in den Vordergrund schiebt, so ist dies durchaus
zu begrüßen. Vor allem dann, wenn sie in so intelligenter
und umsichtiger Weise betrieben wird wie in der vorliegenden
Studie.

Kieffer befaßt sich zunächst mit den Voraussetzungen
einer neutestamentlichen Methodologie (Kap. 1): Methodik
hat es mit Sprache und Rationalität zu tun; Sprache aber ist
ein Phänomen menschlicher Kommunikation. Freilich steht
die Methodik stets in einem Spannungsverhältnis zur Intuition
(S. 15). Wie es eine Vielzahl möglicher „Sprachspiclc"
(Wittgenstein) gibt, existiert auch eine Vielzahl von wissenschaftlichen
Methoden, die jeweils innerhalb eines vorgegebenen
Bezugsrahmens („cadre" - „framc of reference") funktionieren
. Von da aus verbietet sich die Absoluticrung einzelner
Methoden. Vielmehr kommt es darauf an, eine Vielzahl
von Methoden so anzuwenden, daß jede von ihnen auf
der ihr gemäßen Rcflexionsebene („niveau de reflcxions",
S. 2.3) zum Einsatz gelangt.

In Kap. 2 („Un exemplc concret, les beatitudes") konkretisiert
Kieffer diese Forderungen anhand eines bestimmten
Textes (Mt 5,1-12; Lk 6,20-26), wobei er Schritt für Schritt
die verschiedenen Reflcxionsebencn mit den ihnen jeweils
zugeordneten Methoden diskutiert - angefangen von Kon-
textabgrenzungen über die Textkritik, Litcrarkritik, Form-
gcschichtc, Wortcxcgcse, bis hin zur abschließenden Gesamtinterpretation
. Aus der Vielzahl der hier gebotenen Gesichtspunkte
seien hier nur zwei erwähnt: was die Litcrarkritik
betrifft, warnt der Vf. davor, gängigen Hypothesen
einen zu großen Gewißheitsgrad einzuräumen. So lasse sich
weder mit historischen noch mit philologischen oder form-
geschichtlichcn Argumenten die Priorität einer der beiden
Fassungen der Makarismcn zwingend nachweisen: „Le Probleme
des sources des beatitudes et de la redaction lucani-
enne ou mattheenne est donc aujourd'hui insoluble scienti-

fiquement" (S. 36). Der andere wichtige Gesichtspunkt ist
die Unterscheidung von Sinn („sens") und Bedeutung („si-
gnification") des Textes auf der Ebene der Gesamtexegese:
unter „Sinn" ist die Funktion des Textes bzw. seiner zu rekonstruierenden
Vorformen, innerhalb des jeweiligen ursprünglichen
Kommunikationsrahmens zu verstehen, während
die Bedeutung eines Textes die Wirkung ist, die er bei
einem ihm von bestimmten Verstehensvoraussctzungcn her
begegnenden Leser auslöst. Für den Glaubenden, der diesen
Text als Bestandteil eines kirchlich autorisierten Kanons
begreift, ist dessen Bedeutung eine andere als für den Ungläubigen
! (S. 48). Die Aufgabe der Forschung ist demnach
eine doppelte: sie hat durch historische Analyse den Sinn
von Texten zu ermitteln und zugleich durch Erhebung der
Auslcgungsgeschichte die Vorbedingungen seiner gegenwärtigen
Bedeutung aufzuhellen.

Im abschließenden 3. Kapitel versucht Kieffer zu einer
methodologischen Synthese vorzustoßen, wobei er das Problem
der Einheit in den Mittelpunkt stellt, und zwar unter
einem doppelten Aspekt: vom Text her ergibt sich die Einheit
als ein System komplexer Relationen zwischen den einzelnen
Worten. Hier ist der Ort, an dem die Methoden der
modernen strukturalistischen Linguistik einzubringen sind.
Vom formalen Gesichtspunkt der Analyse her bietet sich
die Einheit jedoch in Gestalt von Modellen dar, die wir auf
die zu analysierende Wirklichkeit anwenden (S. 51). Hier
hat die formgcschichtlichc Methode ihren legitimen Ort; sie
ist freilich zu ergänzen durch die Reflexion über die dem
Text jeweils angemessenen „codes", d. h. über die Denkkategorien
, die es erlauben, den Text innerhalb eines für
den menschlichen Geist „bedeutsamen" Bezugssystems zu
lokalisieren (S. 75).

Dieser anregenden, gleichermaßen zu Zustimmung und
Widerspruch herausfordernden Studie wäre dringend eine
Übersetzung ins Deutsche zu wünschen.

Erlangen Jürgen Roloff

Collange, J.-F., Dr.: Enigmes de la deuxieme £pitre de Paul
aux Corinthiens. Etüde exegetique de 2 Cor 2 : 14-7 : 4.
London: Cambridge University Press 1972. VIII, 352 S.
8" ■ Society for New Testament Studics. Monograph
Series, ed. M. Black, 18. Lw. £6.-.

Hier liegt eine Straßburgcr Dissertation (1969) vor uns,
die es schon deswegen nicht leicht haben kann, weil sie sich
einem bis in die jüngste Zeit hinein immer wieder und außerordentlich
gründlich untersuchten Textvolumen widmet.
Davon gibt die Bibliographie (S. .326-341) beredte Kunde.
Auf diesen letzten Seiten ist ja nicht einfach Literatur zusammengetragen
, sondern es findet sich hier ein hochqualifiziertes
SpezialVerzeichnis zum Thema des Buches.

Nun wendet sich das Buch einem Textabschnitt zu, der
bis auf die Schlußpassage wohl von allen Fachleuten für
eine literarische Einheit gehalten wird, was ja auch jene
Exegcten tun, die von literarkritischen Operationen an den
Korinthcrbricfcn grundsätzlich nichts wissen wollen. Hier
könnte also u. U. exegetische Kleinarbeit im Windschatten
aller Kritik gedeihen. Dem ist aber nicht so. Das Buch ist
seiner Intention nach ganz und gar auf literarkritische Probleme
hin angelegt und schließt auch mit einem literarkritischen
Ergebnis. Natürlich kann man sich fragen, ob ein
solch integerer Text geeignet ist, das literarkritische Problem
der Korinthcrbricfe zu lösen. So unbescheiden ist Collange
auch nicht (S. 6). Vielmehr ist er einem Einzelproblcm auf
der Spur und fragt - einmal zusammengefaßt - etwa so:
1. Ist der hier untersuchte Text ein selbständiger und aus
dem kanonischen Brief hcrauslösbarcr Brief? 2. Wie verhält
sich der Schlußteil 6,14-7,4 zum Brief 2,14-6,13? 3-
Ist in dem herausgelösten Brief dessen besonderer Charakter
erkennbar?